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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

ward Regensburg Jahre hindurch eine Lieblingsresidenz Karls des Großen, wie späterhin Ludwigs des Deutschen. Reichstage versammelten sich hier, fremde Gesandtschaften und fürstliche Gäste erschienen, Staatsaktionen spannen sich ab, große Kirchenfeste wurden gefeiert. Als der schwertfrohe König Arnulf, siegreich aus dem Normannenkriege heimgekehrt, 891 die Stadt besuchte, war sie, von schwerem Brandunglück verheert, fast völlig zur Ruinenstadt geworden, aber nur, um sich in wenigen Jahren prächtiger aus dem Schutte zu erheben.

Dreihundert Jahre lang, im zehnten, elften und zwölften Jahrhundert, blieb Regensburg die bedeutendste Stadt des Deutschen Reiches. Seine Lebensader war der Donaustrom, auf welchem der Handelsverkehr westwärts nach Ulm, ostwärts nach Ungarn und den andern Donautieflanden ging. Aber bis nach Rußland und über die Alpenpässe nach Italien reichten die Handelsverbindungen, bis späterhin die Stadt durch Wien im Osten, durch Augsburg und die Rheinstädte im Westen, durch Magdeburg im Norden wirtschaftlich überflügelt ward.

An der alten Steinernen Brücke in Regensburg.

Politische Größe behielt sie noch lange. Wiederholte Kämpfe der bayrischen, hier hausenden Herzöge gegen die Träger der Reichskrone führten unter den Königen Konrad I., Heinrich I. und Otto I. Reichsheere wider die alten Wälle von Regensburg, wobei auch die Bürger der Stadt ihren Waffenmut aufs glänzendste erwiesen. Nach schwerer Kriegsnot lebte die Stadt unter den Kaisern Heinrich II., Heinrich III. und Heinrich IV. neu auf, dafür wahrte sie auch dem Letzteren in drangsalreicher Zeit die edelste Treue. Im Jahre 1147 sammelten sich hier auf zahllosen Donauschiffen die Kreuzfahrer zu dem unglücklichen Kreuzzuge König Konrads III.; und auf einem Reichstage zu Regensburg ward 1180 Heinrich der Löwe des bayrischen Herzogtums entsetzt.

So stand unter den Hohenstaufen Regensburg auf der Höhe seiner politischen Bedeutung und behielt diese Bedeutung auch noch bis zum Interregnum. Vom Ende des vierzehnten Jahrhunderts an aber schwanden Wohlstand und politische Macht. Hussitenkämpfe, Judenverfolgungen, innere Zwistigkeiten der Bürgerschaft, Streitigkeiten zwischen den bayrischen Herzögen und dem Reiche trugen dazu bei, das Ansehen Regensburgs nach und nach zerbröckeln zu lassen. Wohl ward in den folgenden Jahrhunderten noch mancher Reichstag hier abgehalten; aber nichts vermochte den Rückgang der Stadt zu hemmen. Die Drangsal des Spanischen Erbfolgekrieges und der Franzosenkriege vollendeten diesen Niedergang. Um die Neige des vorigen Jahrhunderts war die einst so stolze freie Reichsstadt nur noch ein Schatten ihrer einstigen Größe.

Erst während der letzten achtzig Jahre erfolgte wieder allmählich ein Aufschwung. Die Bürgerschaft bemühte sich, mit der Thatkraft anderer Städte zu wetteifern; die bayrische Staatsregierung that das Ihre dazu. Aber gewisse Triebkräfte, die der Stadt zu ihrer einstigen Größe verholfen hatten, waren eben unwiderbringlich verloren: die Gunst der Kaiser, die politische Stellung als Mittelpunkt eines großen Reiches, die Kreuzung von Welthandelswegen. Das war dahin und läßt sich nicht mehr schaffen!

Die Geschichten längstvergangener Zeiten umgaukeln uns mit ihren Bildern, während wir uns dem Herzen der Stadt nähern. Bald stehen wir, auf dem Alten Kornmarkt (vgl. Abbildung S. 72 u. 73), tief im Mittelalter, das uns aus den Fenstern des Herzogshofes, eines burgähnlichen Bauwerks, träumerisch anschaut. Die Sage führt diesen Bau bis auf das uralte Herzogsgeschlecht der Agilolfinger zurück; die Geschichte läßt ihn als ein Besitztum Kaiser Ottos III. erscheinen. Der hart neben ihm stehende gewaltige „Römerturm“ aber stammt nicht aus Römertagen, sondern aus frühmittelalterlicher Zeit.

Riesenhaft schauen über die alten Gassen und Plätze der Stadt die beiden Domtürme herein und der ganze schöne Bau dieses

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0077.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2023)