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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Darling“ in langen, mächtigen Sätzen, neben ihm „Faida“ leicht dahinfliegend wie ein Vogel, so daß ihre zierlichen Hufe kaum den Boden zu berühren schienen.

Da endlich gewann der Araber einen Vorsprung, der Fuchs blieb zurück, erst um Kopfeslänge, dann weiter und weiter, er schien zu ermatten. Gelang es „Faida“, vor ihm das letzte Hindernis zu nehmen, so war der Sieg entschieden. Vielleicht war es dieser Gedanke, der Bernried den letzten Rest von Besinnung und Selbstbeherrschung raubte. Die dunkle Glut in seinem Antlitz wich einer Totenblässe. Mit fest zusammengebissenen Zähnen, jede Muskel gespannt, peitschte er wie wahnsinnig sein Roß. Der Schaum floß am Gebiß „Darlings“ nieder, seine Flanken bebten, aber er gehorchte. Mit einer letzten äußersten Anstrengung gelang es ihm, den Araber wieder zu erreichen, und beide setzten fast gleichzeitig zum Sprunge an.

In weitem mächtigen Satze flog „Faida“ über das Hindernis hinweg. Ein halb erstickter Aufschrei, der in demselben Augenblick ertönte, ging unter in dem jubelnden Beifall, mit dem die Zuschauer dies tollkühne Reiterstück begrüßten, dann jagte der Reiter dem Ziele, dem Siege zu, den ihm niemand mehr streitig machte.

Niemand! – „Darling“, der nur einige Sekunden später das Hindernis zu nehmen sich anschickte, war gestürzt bei dem Sprunge. Er lag zusammengebrochen an der Hürde und sein Herr, aus dem Sattel geschleudert, lag einige Schritte davon, regungslos auf dem Boden ausgestreckt. Rasch hob man den Bewußtlosen auf, trug ihn aus der Bahn und übergab ihn den Händen eines Arztes. Das Rennen selbst erlitt keine Unterbrechung, auf dergleichen Unfälle muß man ja bei jedem Rennen gefaßt sein!

Lauter, stürmischer Jubel empfing den Sieger, der soeben durchs Ziel ritt, von allen Seiten wurde er mit Beifall und Zurufen überschüttet, und die wehenden Tücher der Damen grüßten ihn von den Tribünen her. Er hatte allerdings glänzend gesiegt, denn es vergingen Minuten, ehe die anderen Reiter anlangten.

Der junge Mann – er konnte höchstens drei- oder vierundzwanzig Jahre zählen – hatte die Mütze abgenommen, um zu danken. Es war eine schlanke aber kraftvolle Gestalt, dichtes, blondes Kraushaar legte sich in überreicher Fülle um die Stirn, das leicht gebräunte Antlitz war nicht eigentlich schön, eher das Gegenteil, aber es lag etwas eigentümlich Fesselndes in diesen vollkommen unregelmäßigen Zügen. In den dunklen feurigen Augen blitzte kecker Uebermut, stolzes Selbstvertrauen, und als er jetzt nach allen Seiten hin sich verbeugte, noch glühend erhitzt von dem wilden Ritte, strahlend im Triumph des Sieges, da erschien er wie die leibhaftige Verkörperung der stürmischen Jugend, in ihrer ganzen Kraft und Schönheit.

Er grüßte nach den Tribünen hinüber, wo in der vordersten Reihe ein älterer Herr und eine junge Dame ihm lebhaft zuwinkten. Der erstere verließ jetzt rasch seinen Platz und kam ihm entgegen.

„Das nennt man ja im Sturme siegen!“ rief er in freudiger Erregung. „Meinen Dank, Herr Ehrwald! Da überschüttet man mich mit Glückwünschen von allen Seiten nein, meine Herren, hier an diesen jungen Reitersmann müssen Sie sich wenden! Er allein hat meiner ‚Faida‘ zum Siege verholfen.“

Er hatte deutsch gesprochen und wandte sich bei den letzten Worten an einige Herren, die ihm gefolgt waren und nun den jungen Landsmann gleichfalls mit Glückwünschen umringten.

„Und Sie haben uns beiden den Sieg doch nicht zugetraut, Herr Konsul,“ sagte Ehrwald lachend, indem er auf dem Platz vor der Wage aus dem Sattel sprang. „Sie fürchteten im vollen Ernste eine Niederlage und zuckten die Achseln, als ich mich erbot, Ihre ‚Faida‘ in acht Tagen für das Rennen zuzureiten.“

„Hätte ich eine Probe Ihrer Reitkunst gesehen, ich wäre wohl zuversichtlicher gewesen,“ entgegnete der Konsul, ein älterer Mann von vornehmer Erscheinung. „Nun, in diesem Falle war die Ueberraschung eine sehr angenehme. Aber jetzt gehen Sie zu meiner Tochter, Zenaide möchte ihre ‚Faida‘ sehen, sie ist sehr stolz auf deren Sieg.“

Herr von Osmar, der augenscheinlich ebenso stolz war, winkte freundlich mit der Hand und wandte sich dann zu den beiden englischen Herren, die jetzt auch herantraten, während Ehrwald nach einer kurzen Begrüßung derselben das Pferd am Zügel nach der Tribüne führte. „‚Faida‘ möchte sich nun auch einen Dank von ihrer Herrin holen,“ sagte er, mit einer leichten Verneigung vor der jungen Dame, deren Hand sich liebkosend dem Tiere entgegenstreckte. Es senkte schmeichelnd den schönen Kopf und ließ ein leises Wiehern hören, als sei es sich bewußt, die Liebkosung verdient zu haben.

„Und der Reiter? Will er keinen Dank für seinen kühnen Ritt?“ fragte die Dame lächelnd.

„Im Gegenteil, mein gnädiges Fräulein, ich habe Ihnen zu danken,“ versetzte Ehrwald, „denn ohne Ihre Fürsprache hätte man mir ‚Faida‘ gar nicht anvertraut. Der Herr Konsul war ja anfangs entschieden dagegen und gab nur Ihrer Bitte nach.“

„Spotten Sie nur, Sie haben ja all die Zweifler glänzend geschlagen und auch den armen Herrn von Bernried. Sein Sturz ist doch nicht gefährlich gewesen?“

„Ich hoffe: nicht. Ich habe mich bereits danach erkundigt, aber Lord Marwood, den ich fragte, geruhte nicht, mir eine Antwort zu geben. Ich stand zwar nie in Gnaden bei Seiner Lordschaft, seit Sie aber gesehen haben, daß ich doch einigermaßen fest im Sattel bin, scheinen Sie mich mit Ihrer vollen Ungnade zu beehren. Ich bin ganz untröstlich darüber.“ Es lag ein übermütiger Spott in den Worten und eine gewisse Absichtlichkeit in der Bewegung, mit welcher der junge Mann jetzt dicht an die Schranke trat und den Arm darauf stützte. Er hatte recht gut gesehen, daß Lord Marwood, der drüben im Gespräch mit dem Konsul stand, ihn und die junge Dame beobachtete.

Zenaide von Osmar mochte etwa zwanzig Jahre zählen. Es war eine schlanke, zarte Erscheinung, in der trotz der deutschen Abkunft etwas von der fremdartigen, glühenden Schönheit des Landes lag, in dem sie geboren war. Auf dem tiefschwarzen Haar, das einfach gescheitelt und am Hinterhaupt in einem griechischen Knoten aufgenommen war, ruhte ein leichter bläulicher Schimmer und die großen Augen hatten gleichfalls jenes tiefdunkle, sammetartige Braun, das man nur bei den Kindern des Südens findet. Der Blick war sanft und träumerisch und doch schlummerte darin ein verborgenes leidenschaftliches Feuer. Das Antlitz erschien etwas bleich, es fehlte ihm die rosige Frische, aber mit seinen weichen, zarten Linien hatte es einen ganz bezaubernden Reiz. Die junge Dame hätte wahrlich nicht die Tochter eines der reichsten Männer von Kairo zu sein brauchen, um begehrenswert zu erscheinen.

Das mochte auch Lord Marwood finden, der unausgesetzt hinüberblickte. Seine Lordschaft konnten es augenscheinlich nicht begreifen, daß der „junge Bursche“ es wagte, so vertraulich mit der Tochter des Generalkonsuls zu plaudern. Herr von Osmar schien das jedoch nicht zu bemerken, er sprach gerade mit den beiden englischen Offizieren, die ihn gleichfalls beglückwünscht hatten, von dem Sturze des Herrn von Bernried.

„Nun, der Arme scheint noch ziemlich glücklich davongekommen zu sein,“ äußerte der Konsul. „Seine Verletzungen sind nicht gefährlich, wie ich hörte. Aber ‚Darling‘ ist wirklich verloren?“

„Leider!“ bestätigte der Oberst. „Er hat das eine Hinterbein gebrochen. Schade um das prächtige Tier, aber Bernried spornte es ja wie ein Unsinniger. Er ist selbst schuld an dem Verlust, der für ihn den Ruin bedeutet.“

„Er setzte eben alles dran, zu siegen,“ sagte Hartley. „Und dieser Ehrwald ritt ja wie auf Tod und Leben. Wer ist denn eigentlich dieser Herr?“

„Ein junger Landsmann, der sein Glück in der weiten Welt versuchen will,“ entgegnete Herr von Osmar heiter. „Viel mehr weiß ich auch nicht über ihn. Sonneck hat ihn aus Deutschland mitgebracht und will ihn auf seinem Zuge in das Innere mitnehmen. Mir gefiel er gleich bei der ersten Vorstellung. Ein prächtiger, gescheiter Junge, er sprüht nur so von Feuer und Leben!“

„Ja, solche Leute kann Sonneck brauchen,“ sagte der Oberst. „An Tollkühnheit fehlt es diesem Ehrwald jedenfalls nicht. War das ein Sprung, mit dem er über das letzte Hindernis wegsetzte!“

Der Name, auf den die Herren sich vorhin nicht besinnen konnten, war ihnen jetzt sehr geläufig geworden. Er ging ja auch seit einer Viertelstunde wie ein Lauffeuer von Mund zu Mund, der junge unbeachtete Fremde hatte sich auf einmal in den Vordergrund gestellt. Sein Gespräch mit Fräulein von Osmar wurde bald genug unterbrochen, der Konsul rief ihn ab, um ihn noch einigen Bekannten vorzustellen, und er wurde von neuem mit Glückwünschen überhäuft, während sich „Faida“ der gleichen Aufmerksamkeit erfreute.

Man war so ausschließlich mit den beiden beschäftigt, daß niemand sich um den geschlossenen Wagen kümmerte, der soeben im langsamen Schritt davonfuhr und die Richtung nach der Stadt einschlug. Nur ein einzelner Herr befand sich in der Nähe, er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0003.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)