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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

wurden. Aus einem solchen vom Jahre 1564, das sich im Germanischen Museum in Nürnberg befindet, rührt das hier wesentlich verkleinerte Christkind mit der Erdkugel in der Hand her. Es führt den Titel: „Schöne Trostsprüche von dem Kindlein Jesu Christi, den lieben Christen Kindlen zum Neuen Jar zusammengezogen.“ Rings um das Bild sind religiöse Sprüche eingedruckt, deren Inhalt sich auf die Weihnachtsfeier, auf die Geburt und Sendung Christi bezieht und die Kinder zum christlichen glaubensfesten Lebensgange ermahnt. Der Neujahrswunsch war also zunächst für Kinder bestimmt und bildet demgemäß einen Beleg für die weitere Ausbildung der Neujahrswünsche.

Holzschnitt aus dem 16. Jahrhundert.

Die Plakatform behielten diese gedruckten Wünsche auch noch im 17. Jahrhundert bei. Infolge dieses großen Formates heftete man dieselben meist an Zimmerthüren oder an die Wand, wie es auf dem Lande mit „Haussegen“ und ähnlichen Blättern heute noch geschieht. An der Wand sind sie dann auch allmählich zu Grunde gegangen, wodurch sich ihre heutige große Seltenheit erklärt. Ihren religiösen Charakter haben die Neujahrswünsche auch noch im 17. Jahrhundert beibehalten; sie danken Gott für das Gute, das er im abgelaufenen Jahre beschert hat, und bitten um ein gutes neues Jahr. Auch hiervon eine Probe:

„Ach, laß dir auch forthin der Zeit
In deinen Schutz und Gütigkeit
Mich und die Mein empfohlen sein,
Thu wohl dem Rat und der Gemein,
Die Kirch und Priesterschaft erhalt,
Im Haus auch mit Ehleuten walt,
Die Handlung, Handwerk, Vieheszucht,
Den Feldbau segne mit der Frucht
Und hab also bei allem Stand
Dein himmelbreite Gnadenhand.
Behüt für Sünden, Schand und Spott,
Für Wasser, Feur und andrer Not,
Daß wir das Jahr in stiller Ruh
Und dir zum Lobe bringen zu,
Und wann der Jahre Ziel vollendt
So hilf uns an der Himmel End.“

Das Christkindchen aber, das die Neujahrswünsche des 15. und 16. Jahrhunderts zierte, ist verschwunden; es hat dem Geschmacke der Zeit entsprechend einer Anzahl schwülstiger Sinnbilder weichen müssen.

Buntdruck aus dem 18. Jahrhundert.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts nahmen auch die regelmäßig erscheinenden Zeitungen ihren Anfang und auch diese nahmen die Sitte an, ihren Abonnenten zum Jahreswechsel Glückwünsche darzubringen. Einer der ältesten der Art findet sich im Jahrgang 1624 der Frankfurter „Postzeittungen“, die wahrscheinlich eine Fortsetzung der im Jahre 1617 vom Postmeister von der Birghden gegründeten Zeitung waren. Der Glückwunsch lautet also: „Demnach das 1624. Jahr hierbei nahet, Als wünsch ich dem gutherzigen Leser durch das Neugeboren Christkindlein unsern lieben Emanuel und Frieden-Fürsten ein frölich antrettend und vielfolgender glückselig fried- und freudenreicher Neuer Jahr, in welchem man Fried und Einigkeit im Heil. Röm. Reich und unter des Adlers Flügeln geruhig und friedlich wohnen und leben mögen, Amen, Amen, Amen.“

Die Neujahrsbriefe wurden in diesem Jahrhundert zahlreicher; man schrieb solche an alle möglichen Gönner, Freunde und einflußreiche Personen, an deren Wohlwollen dem Gratulanten gelegen war. Unterbeamte schrieben sie in „ersterbender Demut“ an ihre Vorgesetzten, die Angestellten der Handelshäuser an ihre Gcschäftsherren etc. Oft waren diese Begrüßungen eine Förmlichkeit, die von der andern Seite mit der Auszahlung vertragsmäßig feststehender „Gratifikationen“ erwidert wurde. Die Neujahrsbriefe, Welche die Beamten, Honoratioren etc. unter sich austauschten, strotzten vom schwülstigen Phrasentum übertriebener Höflichkeit, wobei das Prunken mit Fremdwörtern sich häßlich hervordrängte. Natürlich folgten auf diese Briefe ebenso steife und schwülstige Erwiderungen: „Ich kann nicht anders als mit einem Widerschall antworten,“ schreibt ein Rat in Stettin an einen hohen norddeutschen Geistlichen, „und wünsche mit solchem ardeur als je gewünscht werden kann, daß der Höchste Gott meinem hochgeehrten Herren Ober-Kirchenrath mit aller prosperité an Leib und Seele beglücken und denselben et Ecclesiar et Reipublicae causa noch lange, lange Zeit erhalten, stärken und erquicken wolle.“

Gepresste Rosaseidenkarte aus dem 18. Jahrhundert.

Das 18. Jahrhundert brachte Europa eine merkwürdige Neuerung; aus China gelangte der Gebrauch der Visitenkarten zu uns herüber. Und diese Karten gaben dann – zunächst vornehmlich in England – den Anstoß zur Entstehung einer Reihe anderer, nachdem man gesehen hatte, daß diese Kärtchen, wenn auch etwas gar zu winzig im Format, doch recht praktischer Natur waren. Auch die Neujahrskarten im modernen Sinn, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bereits in Massen Verbreitung fanden, dürften aus den Visitenkarten hervorgegangen sein. Freilich sind die Neujahrskarten der Zeit der Aufklärung grundverschieden von ihren Vorgängern; das religiöse Moment, das die alten beherrschte, verschwindet vollständig. Die neuen Karten zeigen dagegen Obelisken, Pyramiden u. ä. als Symbole edler Empfindungen, und vor allem Opferaltäre, Altäre mit der Göttin der Freundschaft, dem rosenstreuenden Amor, mit den Grazien, den Musen u. dergl. Eine ganz andere Welt sieht uns aus diesen Kärtchen entgegen. Der Geschmack einer Zeit, in welcher die deutschen Dichter ihre Geliebten, wenn sie sie besangen, mit klassischen Namen, wie Chloë und Phyllis, anredeten, und die ihre Bildersprache dem Wortschatz der griechischen und römischen Mythologie entnahm, spiegelt sich in ihnen. In Goethes und Schillers Jugendzeit,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 883. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_883.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2023)