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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

ihrem eben geschlossenen Bund; ich trat leise in die Hausthür, weil ich glaubte – weil –“ Wieder hielt sie inne.

„Base,“ fragte ich ängstlich, „was ist Ihnen denn?“

„Nichts – es ist nur – – keinem Menschen hab’ ich’s je gesagt, und Ihnen thu’ ich es jetzt nur erzählen, damit – damit Sie nicht meinen –“

„Base,“ flehte ich, „wenn es Ihnen schwer wird; ich weiß ja, Sie verachten ihn.“

„Ja! Aber lassen Sie mich reden, Annelieseken,“ beharrte sie, „es ist auch gut für meinen alten Kopf, wenn’s ’mal herauskommt. Ich sagte, ich kam leise aus der Thür, weil ich glaubte, daß mein Schatz auf mich warte. Sie sehen mich erstaunt an? Ja, ja, Anneliese, auch ich hatte einen Liebsten, auf dessen Treue ich Häuser gebaut hätte. Hübsch war ich, glaub’ ich, obschon sechsundzwanzig Jahre alt, aber arm, arm wie eine Kirchenmaus, und deshalb, sagte er, müßten wir heimlich zuwarten, bis daß er eine bessere Stelle und besseres Gehalt bekäme. Das leuchtete mir ein, und unbeschreiblich glücklich war ich arme Waise mit meiner stillen heimlichen Liebe. Ich hatte den Tag, von dem ich rede, tüchtig Arbeit gehabt, denn es war viel Pfingstbesuch auf die Mühle gekommen, aber es flog mir alles nur so von den Händen, weil ich wußte, auf den Abend würd’s so schön, da würde ich neben ihm sitzen droben am Waldrand, wo wir uns immer trafen, und würde seinen Arm um mich fühlen, den Arm, der mich stützen und tragen sollt’ durch das ganze Leben – ach, Anneliese, Sie wissen’s leicht besser, als so eine arme alte Person es beschreiben kann, wie schön Lieb’ und Hoffnung beieinander sein können. Ich bin aber nicht aus dem Haus getreten jenen Abend, denn mein Schatz wartete nicht auf mich, der saß bei einer andern! Mein Schatz, der seiner Seele Seligkeit verschworen hatte, falls er mir untreu würde, der saß neben Hannchen und nannte sie ,sein’ und ,Liebste’, wie er mich auch genannt.“

„Base,“ rief ich empört, „Wollmeyer war – –“

„Ja, Anneliese. Ich stürzte nicht hin und riß sie auseinander, o nein; ich sank auf der Schwelle nieder, und was ich zuerst gedacht und beschloß, ich weiß es nicht mehr. Möglich, daß ich mir vorgenommen habe, Hannchen zu sagen: „Dein Bräutigam ist ein Ehrloser, ein Schurke, er betrog Dich und mich.“ Aber ich that es nicht. Deutlich, ach so deutlich klang mir Hannchens glückliches Schwatzen ins Ohr: es sei ihr zu Mute, als hätte ihr jemand die ganze Welt geschenkt, und gleich beim ersten Sehen sei sie ihm gut geworden, und wie thöricht er doch gewesen, sich vor ihrem Gelde zu fürchten; sie wäre so froh, daß sie es habe, und nun wollten sie auch recht fleißig und rechtschaffen miteinander wirtschaften, denn gerade seine Gewissenhaftigkeit und Zurückhaltung habe ihr gefallen – ach, ich weiß nicht mehr, was sie alles schwatzte in ihrem jungen Glück; sie war eben achtzehn Jahre geworden. Und gerade so, wie er mir gethan, that er ihr; er umfaßte sie und drückte sie an sich und nannte sie das Liebste, was er habe.“

Die alte Frau schwieg; todesstill war es in der Stube. Ich hatte unwillkürlich die Faust geballt. Dieser Mensch, dieser fürchterliche Mensch!

„Und,“ berichtete die alte Frau weiter, „was ich sagen wollte, Anneliese, der Hannchen ist’s gegangen wie mir, als sie innewurde, wes Geistes Kind er sei – sie schwieg. Man klagt einen Mann nicht an, neben dem man so gesessen, dem man so gut war, man kann’s nicht, Anneliese. Man lernt ihn verachten, hassen, und das ist furchtbar, aber den Mut, ihn preiszugeben, den findet man nicht; es ist, als hielten einen tausend Hände. Ich hab’ dem Hannchen nichts verraten können, hab’ kein Wort des Vorwurfs für Wollmeyer gehabt, und als er nachher seine Frau, seinen Schwager, seine Schwägerin ins Unglück riß und ich, alles vergessend, das Verbrechen aufdecken wollte, da hielt mir Hannchen die Hände fest. ‚Erbarme Dich,‘ hat sie gefleht, ,wüßt’ ich ihn im Gefängnis, ich nähme mir das Leben‘.“

Sie brach plötzlich ab und wandte den Kopf. Auch ich schwieg lange. Die alte vergrämte Frau erschien mir in einem ganz neuen Lichte. Wie mochte sie gelitten haben, erst durch den Verlust des Geliebten, dann, indem sie ihn verachtete – und trotzdem immer um ihn, alles mit ansehend, sein junges Eheglück, seinen Fall, sein sittliches Sinken, seine Heucheleien! War es möglich, das zu ertragen, ohne siech zu werden an Körper und Geist? Welche Widerstandskraft, welche Seelengröße wohnte in dieser einfachen Frau! Nie hatte ich sie anders erblickt als still und fleißig ihre Pflicht thuend; immer war sie nur für andere da.

Ich rückte näher zu ihr und streichelte die welken Wangen. Sie wischte sich die Augen und, gewaltsam sich aufraffend, sagte sie: „Ja, ja, Anneliese, Sie lachen vielleicht über die alte hölzerne Base. Doch nein, Sie nicht! Und nun will ich in die Küche und Ihnen den allerschönsten Blattsalat anrichten, den Sie je gegessen haben.“

Ich schlang die Arme um ihren Hals. „Base, Sie sind die liebste beste alte Seele von der Welt, und wenn ich den Wollmeyer bis heute schwärmerisch geliebt hätte – jetzt, nachdem Sie mir das erzählt haben, würde ich ihn glühend hassen. Aber nun haben Sie mir soviel gesagt, Base, nun müssen Sie mir noch etwas berichten – existiert der Beweis noch, das, was Hannchen damals fand?“

„Ja, und auch ein Schriftstück von Hannchen, in dem sie bekennt, wie es zuging mit dem Vermögen des Robert Nordmann. Aber sie wollte, daß nur im Notfalle, im äußersten Notfalle Gebrauch davon gemacht werde, nur dann, wenn er sich weigern sollte, Robert zu entschädigen. Doch nun fragen Sie mich nicht weiter, Annelieseken.“

„Weiß er das?“ forschte ich trotzdem.

„Er ahnt es sicher.“

„Base, Sie sind eine Seele, ein guter Engel, aber in einem haben Sie doch gefehlt: als Sie merkten, daß er sich um Mama bewarb, da mußten Sie dazwischen treten.“

Sie lächelte trübe. „So wahr ich die gnä’ Frau und Robert und Sie liebe, Anneliese, ich hab’ ihm solche Frechheit doch nicht zugetraut. Erst zuletzt, erst zu allerletzt hab’ ich’s gemerkt, und da ging ich zu ihm und hab’ ihm ins Gewissen reden wollen, aber da war’s zu spät, es war schon geschehen, und still ging ich wieder hinunter in meine Stube. Glauben Sie mir, es war nicht das Leichteste, das mit anzusehen.“

Sie nickte mir ernsthaft zu, dann verließ sie die Stube und ich hörte sie draußen mit dem Schlüsselbund rasseln.


Die Zeit, die nun für mich begann, war die traurigste meines Lebens. Ich hatte nur den einen Gedanken: wann kommt die Vergeltung für diesen Menschen, neben den mich das Schicksal gestellt, der mir ein Grauen einflößte, wenn ich nur an ihn dachte. „Mein ist die Rache, spricht der Herr,“ tröstete die Base, „wir dürfen nicht Wollmeyers Ankläger sein, Annelieseken.“

Ach, es giebt schreckliche Martern in der Welt! Diese Mahlzeiten mit Wollmeyer! Als ob ein harmloses Wort ein Verbrechen wäre, auf dem Todesstrafe ruhte, so schwiegen wir; nichts als das Klappern der Messer und Gabeln und die nicht eben manierlichen Geräusche, die mein Stiefvater beim Essen hervorbrachte.

Sein Appetit hatte sich nicht vermindert, er sah überhaupt viel wohler aus, und seine gute Laune kehrte zurück. Er schnauzte Friedrich an, wenn der Wein nicht richtig gekühlt war, er schickte Schüsseln zurück, die ihm nicht schmeckten, mit einem Kompliment an die Base, und er kommandierte mich zum Spazierengehen. Ich mußte mit an Mamas Grabe stehen und den fürchterlichen weinenden Marmorengel bewundern, den er wider meinen Willen darauf gesetzt hatte. Jeder Mensch tritt mit heiliger Andacht an das Grab seiner Mutter; in meines Stiefvaters Gesellschaft verwandelte sich mir die Andacht in ein wildes Schmerzgefühl, in Sehnsucht nach Rache, und elend und erschöpft kam ich dann heim.

So viel wie irgend möglich suchte ich allein zu sein in meiner eigenen Stube, aber auch dies Alleinsein ward mir am Ende zur Pein. Ich begann Klavier zu spielen, zu üben – sofort erschien Friedrich mit der Bitte, aufzuhören; Herr Wollmeyer könne Musik nicht vertragen. Ich wollte lesen, aber was? Papas Bibliothek kannte ich in- und auswendig, die alten zerlesenen Romane des Westenberger Leihinstituts lockten mich nicht, die Bücherei der Komtesse hatte ich längst ausstudiert; sie bestand aus Schulzes „Bezauberter Rose“, Tiedges „Urania“, einigen Werken von Jean Paul, den „Nachbarn“ von Friederike Bremer, und selbstverständlich waren auch Schiller und Goethe da. Ich hätte gern an Papas Buchhandlung in Berlin geschrieben, aber ich besaß kein Geld, keinen Groschen.

Meine Bekannten besuchten mich zuweilen. Friedrich führte sie dann in Mamas Empfangszimmer, ich saß’ mit ihnen auf dem Sofa, und der ganze Erinnerungsschmerz, den diese Räume und der Anblick der von ihr benutzten Gegenstände in mir aufwühlten, machte mich unfähig, freundlich und zuvorkommend zu sein. Sie blieben alle nicht lange, weder die kleine Käthe Tollen und ihre Genossinnen, noch die alten Damen. „Besuchen Sie uns doch auch,“ hieß es, „Wenn Sie erlauben –“, antwortete ich, aber ich dachte

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