Seite:Die Gartenlaube (1894) 822.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Ganz hoch im Birnbaum, wo das Kästchen war,
Das Brütekästchen, saß sie oft verschwiegen
Und sang ihr Lied und sah die Schwalben fliegen
In Licht und Luft –- so ging es Jahr um Jahr.
Bald war sie groß ... und scholl zur Sommerzeit
Auch noch so hell das frohe Finkenschmettern,
Sie seufzte nur -- sie trug ein langes Kleid
Und durfte nicht mehr nach den Nestern klettern.

So kam der Herbst, das müde Laub ward falb,
Sie saß allein und sang die alten Lieder,
Sie lachte laut, bald weinte sie auch wieder,
Und quälte sich, und wußte nicht, weshalb.
Doch endlich dann – es war ihr erster Ball,
Im braunen Haar lag die Kamelienblüte,
Ihr Herz ging auf, ihr ganzes Köpfchen glühte,
Die Lust war groß und süß der Walzerschall.
Da sah sie ihn im alten Burschenband,
Voll Jugendkraft, im Glanz der Girandolen,
Und ihre Lippen bogen sich verstohlen
Und zitternd fiel der Fächer aus der Hand.
Dann tanzten sie. Wohl war sie kurz, die Zeit,
Da sie so schwebten, Brust an Brust mitsammen,
Doch lag ein Glanz drauf wie von goldnen Flammen
Und ihre Herzen wurden wach und weit. –
Spät fuhr sie heim; ihr roter Mädchenmund
Sprach süß und irr noch vor dem Schlafengehen,
Sie sah im Glas auf ihrer Augen Grund
Ein großes Leuchten, das sie nie gesehen.
Schwer schlief sie ein und träumte bunt und viel
Und sprach im Traum und ihr Gesichtchen glühte,
Derweil im Schrein auf matt gewordnem Stil
Verloren welkte die Kamelienblüte.

 *  *  *

Es schien ein Stern in nie geseh’ner Pracht,
Es war ein Glanz vor ihren Mädchenblicken,
Sie hörte selig jede neue Nacht
Den Herzschlag gehn, die heisre Stutzuhr ticken.
Wohl schlug die Nachtigall nicht mehr im Baum
Und an die Scheiben fuhr Dktoberregen,
Doch voll in Blüten stand ihr Liebestraum
Und ihre Seele beugte sich vor Segen.
Kein Morgen ging, wo sie zu Gott nicht bat,
Daß ihre Wege sich zusammenfänden,
Und daß sie still und mit verschlungnen Händen
Hinwandeln dürften ihren Erdenpfad.
Und einst geschah’s – sie floh’n die dichten Reih’n,
Den weiten Saal, das grelle Licht der Kerzen,
Und was so wild ersehnten ihre Herzen,
Das fügte Gott: sie sahn sich bald allein. –
Im Wintergarten unter Palmen war’s,
Die schmalen Blätter bogen schwül sich nieder,
Sacht mischten in den Duft des Mädchenhaars
Sich Parmaveilchen und gefüllter Flieder.
Fern scholl gedämpft die Walzermelodie,
Die war so süß, und plötzlich bangte jedem,
Da hielt er sie und wollte zitternd reden
Und fand kein Wörtchen – und er küßte sie.

Still war es rings; nur der Fontäne Strahl
Stieg auf und fiel mit immer gleichem Laute,
Und sacht verklang die Tanzmusik im Saal,
Da sie ihm gläubig in die Augen schaute.
Und Wort um Wort drang jubelnd jetzt hervor,
Sie wußte nichts, als still ihm zuzuhören,
Noch lag ein Walzertakt in ihrem Ohr,
Der schwoll in ihr zu ew’gen Jubelchören.
Und ihren Handschuh gab er ihr vom Fest,
Den sie verloren und den er gefunden,
Und sprach davon, wie er in stillen Stunden
Ihn tausendmal an seinen Mund gepreßt.
Sie aber hörte süß berauscht ihm zu,
Es klang in ihr: Lieb’ soll mit Liebe lohnen,
Da ging ein Rauschen durch die Palmenkronen
Und heißen Herzens scholl das erste Du!
Der Handschuh sank – so ganz vergessen heut’,
Ihm war es doch, als ob er Bess’res wüßte:
Wo ist der Narr, der einen Handschuh küßte,
Wenn warm und willig sich ein Mund ihm beut?!

 *  *  *

Und Weihnacht ward’s. Des Tages Lärm verscholl,
Die Magd war fort und Dämmrung schlich im Runde,
Da sprach sie stockend und mit scheuem Munde,
Was wochenlang ihr schon im Herzen schwoll.
Sprach wirr und zag, wie gut er sei und groß,
Wie nur in ihm ihr Leben und ihr Sterben,
Und barg des Hauptes purpurnes Verfärben
Um Segen flehend in der Mutter Schoß.
Die aber schwieg. Da ward ihr totenbang,
Ihr Herz schrie auf und wollte weh verzagen,
Doch Gott war treu, – und mächtig und getragen
Scholl ins Gemach der Weihnachtsglocken Klang.
Das war ein Läuten, groß und wunderlich,
Das rief vom Turm, das rief und nahm kein Ende,
Und wie bezwungen legten segnend sich
Auf ihren Scheitel fromme Mutterhände.
Kein Engelchor sang in der Höh’ zu Hauf,
Nicht Psalmen tönten und nicht Hirtenlieder,
Ihr aber ging das Heil des Himmels auf,
Und vor dem Christkind sank sie betend nieder.

 *  *  *

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_822.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)