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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Herr Wollmeyer wurde täglich nervöser und aufgeregter, und die Base murmelte etwas von „Verrücktwerden“ vor sich hin, als er von ihr verlangte, sie sollte sich dem Kostümfest zu Ehren in das Gewand einer altdeutschen Bürgersfrau stecken, so als Schaffnerin in Riegelhaube, faltigem Tuchrock, Halskrause und weiter weißer Schürze, in ein Gewand, wie es Frau Schwerdtlein im „Faust“ getragen.

„Wer ist denn die?“ fragte die alte ehrliche Seele, „hab’ meintag nichts von der gehört. Er soll mich zufrieden lassen!“

„Er soll mich zufrieden lassen,“ sagte auch die Komtesse, die eines Abends im Mamas Zimmer trat. Wir saßen da beide in der Dämmerung zusammen und sprachen über gleichgültige Dinge. „Er soll mich zufrieden lassen, Len’; über Mummenschanz und Verkleidung bin ich hinaus. Was ist ihm denn eigentlich eingefallen? Jeder Spatz auf dem Dache pfeift von Wollmeyers Kostümfest! Wenn Ihr noch junge Leute wär’t – aber so! Du hättest alle Ursache, recht still zu leben.“

Mama antwortete nicht.

„Und dann, Len’, noch eins! Wie kamt Ihr dazu, bei dem Erbmundschenk von Pauersleben Besuch zu machen? Ich bin überzeugt, daß Seine Excellenz recht freundlich zu Wollmeyer gewesen ist am letzten Geburtstag des Kaisers, aber – aber –“

Mama zuckte die Schultern ein wenig und schwieg, während eine Schamröte über ihr Gesicht flog.

„Na, nichts für ungut, Len’,“ fuhr die Komtesse unerbittlich fort, „ich meine nur, daß alles seine Grenzen hat. Pauerslebens – sie, die Excellenz, war nämlich vorhin bei mir – scheinen sich sehr zu wundern; Du kennst sie ja, Len’! Gegen Dich haben sie ja nichts, aber Wollmeyer ist ihnen doch schließlich völlig fremd, und versteh’, Len’ –“

„Ich verstehe ja, ich verstehe, Komtesse, aber ich kann es nicht hindern!“ rief Mama nervös.

„Ich will Dir ’was sagen, Len’ – Du bist ein weiblicher Waschlappen geworden,“ beharrte die Komtesse. „Du läßt Dich in einer Weise beeinflussen, die ich unbegreiflich finde, und hast völlig das Verständnis für das verloren – für das, was Eure Stellung verlangt. Sei nicht böse, aber einmal muß es heraus. Wenn’s so weiter geht, macht Ihr Euch lächerlich! So viel Macht mußt Du haben, daß Du sagst: hier ist die Grenze des guten Geschmacks, drüber hinaus giebt’s nichts mehr! Du hast den Sternberg zu allem gebracht, was Du wolltest, und jetzt bist Du nicht imstande – –“

„Tante“, bat ich, „schilt nicht, Mama ist krank – nicht wahr, Mama? Und siehst Du, Tante, Papa – Papa war eben – –“

„Ja, ja, Kücken, Du hast recht,“ gab die Komtesse grollend zu. „Papa war eben – – Na, darum keine Feindschaft, Len’, und sag’ ihm, wenn ich nicht kommen dürfte in meinem Schwarzseidenen, so bliebe ich daheim. Und sieh nicht so traurig aus; er hat ja auch seine Vorzüge! Schau’ mal, er steckt Dich in Samt und Seide bis über die Ohren, und alles was recht ist – gestern hat er wieder zweihundert Mark zu Kohlen für die Armen gegeben. Sei gut, Len’, auf mich kannst Du immer zählen.“

Sie strich Mama über das Gesicht und ging.

Mama lag ganz still; ich glaubte schließlich, sie sei eingeschlafen, zog mich in die tiefe Fensternische zurück und blickte nach Westen hinüber, wo nur noch ein blasser Goldstreifen von dem gesunkenen Tage erzählte.

„Helene!“ hörte ich plötzlich die laute Stimme meines Stiefvaters, „da ist wieder so ein verteufelter Brief von Brankwitz – nachgerade wird’s Zeit, daß man Ruhe bekommt. Er hofft, er finde alles geordnet oder doch die Wege hinreichend geebnet, wenn er morgen mittag eintrifft.“

Mama schwieg, ich hörte nur ein qualvolles tiefes Atmen.

„Hm! Hast Du nun eigentlich mit Anneliese geredet?“ fragte er ungeduldig.

„Nein, Bernhard, noch nicht.“

„Weshalb nicht?“

Es blieb ganz ruhig. Ich, die schon auf dem Sprunge war, hervorzutreten, setzte mich wieder, in der Meinung, daß er sich entfernen würde. Da tönten mir die Worte ins Ohr: „Ich frage Dich, weshalb nicht? Und ich bitte mir Antwort aus!“ Es klang drohend, gereizt.

„Mir fehlt die Kraft,“ sagte Mama.

„So? Dieser Ausweg ist neu. Bis heute abend wirst Du die Kraft gefunden haben, Deinem trotzigen Fräulein Tochter den Standpunkt klar zu machen, wenn Du nicht vorziehst, daß ich es thue. Und dann, weißt Du – dann fächelt der Wind nicht aus Westen,“ schloß er brutal.

Ich stand auf einmal an Mamas Seite. „Sei ruhig, Mama,“ sagte ich, „ich werde schon selbst mit dem Herrn Wollmeyer reden! Bitte,“ wandte ich mich an ihn, „vielleicht in Ihrem Zimmer?“

Er war so verblüfft und überrascht, daß er mir folgte. Ich schloß die Thür hinter uns und zündete ein paar Kerzen vor dem Spiegel an, sie verstreuten ihr Licht in dem hohen großen Zimmer, ohne es zu erhellen.

„Bitte, wollen Sie mir mitteilen, um was es sich handelt!“

Er hatte sich gefaßt, und in scherzhaftem Ton sagte er, die Hände reibend: „Sie thun ja als ob Sie hier zu Hause wären, Anneliese!“

„Das liegt mir jedenfalls gänzlich fern! Ich möchte nur meine Mutter verschont wissen von Auseinandersetzungen, die voraussichtlich doch nicht zu dem von Ihnen gewünschten Ende führen.“

Nun, das wollen wir abwarten. Bitte, nehmen Sie Platz! Erlauben Sie, daß ich mir eine Cigarre anzünde? Es ist eine Art Beruhigungsmittel – – Was willst Du hier, Helene? Ich ersuche Dich dringend, geh!“ rief er jetzt, da Mama, zitternd vor Angst, auf der Schwelle erschienen war.

„Bitte, Mama, ich kann besser ohne Dich sprechen,“ sagte nun auch ich und drängte sie zurück. Sie warf mir noch einen unsäglich angstvollen Blick zu, dann ging sie wirklich. Ich blieb ruhig stehen an dem großen Bücherschrank mit den prunkvoll gebundenen Büchern, deren Inhalt ihrem Besitzer höchst wahrscheinlich gänzlich unbekannt geblieben war, ausgenommen „Doktor Qualms sämtliche Werke“, die er beim Kaffee seinen Gäste immer mit dem nämlichen Behagen an dem abgebrauchten Witz präsentierte.

„Na also, meine gute Anneliese, es handelt sich um Ihre Heirat.“

„Ich dachte es mir.“

„So? Sie dachten es sich? Also, Brankwitz hat – –“

„Herr Wollmeyer, ehe Sie weiter sprechen, möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich in Bezug auf diese Angelegenheit noch genau so gesonnen bin wie vor einigen Wochen, als ich abreiste, daß mir Herr von Brankwitz unsympathisch ist und bleiben wird.“

„Augenblicklich mögen Sie noch so denken, aber ich könnte Sie bald bekehren,“ meinte er anscheinend gemütlich.

„Das bezweifle ich!“

„Ich nicht!“

„Ich bin fest überzeugt, daß Sie das nämliche Mittel, mich gefügig zu machen, anwenden werden, das Sie bei Mama anzuwenden für gut fanden; aber bei mir dürfte seine Wirkung versagen.“

„Ach? Ich habe übrigens bis jetzt kein Mittel Ihrer Mutter gegenüber angewendet, das dürfte erst noch kommen!“ Er blies große Wolken weißlichen Dampfes gegen die Decke. „Nun Anneliese, auf vernüntige Vorstellung zu hören, sind Sie also nicht gesonnen?“

„Mit dieser Angelegenheit hat die sogenannte Vernunft nichts zu thun. Ich heirate nicht gegen meine Neigung, noch viel weniger mit einer ausgesprochenen Abneigung.“

„Nun, dann will ich davon absehen, die Vorteile dieser Verbindung Ihnen noch einmal vorzuführen, und nur die Nachteile einer Weigerung besprechen. Sie gehen einer äußerst bedrängten Zukunft entgegen. Da ich für meine eigene Familie zu sorgen habe, kann und darf ich Ihnen gar nichts versprechen als einen Aufenthalt hier im Hause; bei Ihrem ausgesprochenen Stolz nichts Leichtes für Sie.“

„Versprechen Sie nur nicht zu viel,“ sagte ich ironisch. Die ganze herzlose Art ließ mich nur mit äußerster Anstrengung meinen Zorn bemeistern.

Er sah mich an und stutzte. „Was soll das heißen?“

„Nun, kein Mensch ist seiner Zukunft Herr, meine ich.“

„Eine faule Redensart der Base,“ schaltete er ein. „Also Sie bleiben bei Ihrem Nein?“

„Ich bleibe dabei.“

Er gab sich keine Mühe mehr, scherzhaft auszusehen. Er stand auf, ging an alle Thüren, die er leise öffnete und schloß, um zu sehen, ob jemand lausche, dann trat er dicht vor mich hin. „Die Ehre Ihrer Mutter wie die Ihrige, Ihrer beider Existenz knüpfen sich aufs engste an meine Ehre und meine Existenz – begreifen Sie das?“

„Es ist nicht zu leugnen, Herr Wollmeyer,“ sagte ich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 806. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_806.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2022)