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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Vom nachfolgenden Break klang Ilses Stimme zu ihr herüber, die unaufhörlich plauderte und lustig lachte, zu lustig, als daß es natürlich war. Das Break war von den jungen Herren im Sturm genommen worden; kaum daß Frau Kern, als Anstandsdame, einen Platz bekommen hatte. Der flotte Ingenieur stand sogar auf dem Trittbrett, der Referendar saß schief auf dem Bock, um immer in den Wagen hinein reden zu können. Man suchte aus der Abkühlung Nutzen zu ziehen, die am Schluß des Festes und bei der heutigen Zusammenkunft der Gesellschaft zwischen dem reizenden Goldfisch und Holl sich bemerkbar gemacht hatte.

Im letzten Omnibus entdeckte Gabriele den Hauptmann und sie sagte sich, auch hier stehe eine Katastrophe bevor, die nicht mehr aufzuhalten sei. Ihr vor Schersens Augen fliehender Blick blieb auf einem dunklen Felsgebild haften, das wie ein finsterer Kopf auf den Höhleneingang herabdrohte. „Unheimlich!“ sagte sie. „Es könnte ein Schwarzelb gewesen sein, der versteinerte, als ein Sonnenstrahl ihn traf.“

„Soll damit unser Märchen beginnen?“ fragte Schersen eifrig.

Gabriele streckte abwehrend die Hand aus. „Ich habe kein Vertrauen zu dem Unternehmen,“ antwortete, sie. „Das Märchen würde einen düsteren Inhalt bekommen. Die Berggeister sind nicht unschuldig gleich Wichteln, hilfreich wie Heinzelmännchen, sondern den Menschen feind. Die Elbinnen, die Frauen der Zwerge, deren Spindeln man in den Bergen schnurren zu hören glaubte, sollten Zwietracht und schweren Sinn für die Menschen spinnen.“

Schersen lächelte zärtlich. „Ich vertraue, daß es stärkere Mächte giebt, an denen der böse Zauber der kleinen Leute kraftlos zerschellt.“

Sie fand nicht Zeit zur Antwort. Die Wagen fuhren an dem Eingang der Höhle vor, der eine eisige Luft entströmte.

Die Grubenlichter wurden verteilt. Ilses Verehrer zündeten die Lichter an ihrer unstät hin und her flackernden Flamme an. Der Führer im Bergmannskostüm sprach sein „Glückauf!“ bei der Einfahrt, und „Glückauf!“ tönte es von allen Lippen. Der Ton schien in dem niedrigen langen Eingangsstollen zu ersticken.

„Möchte das Wort von guter Vorbedeutung sein,“ sagte neben Ilse halblaut eine tiefe Stimme. Sie schrak zusammen, sah auf und in Holls Augen, die, das Halbdunkel durchdringend, sich auf ihre Züge hefteten. „Ich erwarte vom heutigen Tag die Entscheidung, ob ich noch hoffen darf oder verzichten muß,“ setzte er hinzu. Das Herz klopfte ihm bis in den Hals; er zwang sich, ruhig zu sprechen; und der Ton wurde dadurch hart und herrisch.

Ihre starke ungebändigte Natur empörte sich dagegen. „Hoffen? Auf was? Auf Subordination Ihrem Kommando gegenüber? Ich dulde keine Tyrannei; ich bin an Freiheit gewöhnt.“

„Sagen Sie lieber: ich dulde kein Gesetz und gehorche nur dem größten Tyrannen, dem wilden Trotz in der eigenen Seele,“ antwortete er mit unterdrückter Stimme, und doch schien es ihr, als wehe eine heiße zornige Lohe über sie hin.

„Ich habe Ihnen nicht das Recht gegeben, so zu mir zu sprechen,“ brach Ilse los.

Er richtete sich jäh auf. Seine, Züge wurden todesernst. Aber noch ein anderer sonderbarer Ausdruck lag darin. Es durchzuckte sie ein furchtbarer Schreck, jedoch nur einen Augenblick. Mit heftiger Schwenkung, daß die Plüschpompons an Schultern, Aermeln, Hütchen sie wie bunte Bälle umflogen, drehte sie sich auf dem Absatz herum und floh in den Kreis ihrer Verehrer hinein.

Die Wanderung begann in die unterirdische Landschaft, die feuchte Gründe, Berge, Seen und Thäler zeigte wie die Oberwelt, aber dunkel und totenstill dalag, von keinem Tier, keiner Pflanze belebt. Hier redete der Stein mit seinen übereinander getürmten Blöcken, den aufgerissenen Klüften von den Kämpfen; welche die Naturkräfte bei Gestaltung unseres Wandelsternes durchgerungen haben. Von den hohen Wölbungen hernieder hingen weiße Gipsstücke, riesigen Steintafeln gleich, auf die eine unbekannte Hand unenträtselbare Hieroglyphen geschrieben zu haben schien. Um die Felsen schlängelten sich schmale Pfade, die in tiefer lautloser Nacht sich verloren.

Die Gesellschaft war diesem ewigen Schweigen gegenüber unwillkürlich auch verstummt. Nur an Ilse und ihrem Gefolge schien der Eindruck abzuprallen. Sie half dem Ingenieur auf einem Berg griechisches Feuer anzünden, probierte mit dem Bürgermeister eine Bank, die zart abgetönte schwellende Polster vorspiegelte, aber steinhart und eiskalt war, legte auf den Gipstisch, der so weiß leuchtete, als hätten Kobolde ihn für ein Mahl gedeckt, samt allen jungen Herren ihre eingebogene Visitenkarte nieder, und in der weiten Halle, die grau schimmernde Schuppen gleich einer grotesken Stuccatur bekleideten, tanzte sie ausgelassen mit dem Referendar, der seinen Hut leichtsinnig auf dem Kopf balancierte, während der Musikdirektor einen Walzer pfiff, den in seiner Oper die Bauern aus Tilleda tanzten. Einen triumphierenden Blick warf sie über die Schulter nach Holl zurück.

Seine Höhlenkarte entfaltend, ging dieser weiter, ohne sie zu beachten. Sie hatte nun keine Lust mehr, zu walzen. Sie entfloh ihrem stürmischen Tänzer und flog, schrill auflachend, über den Steinwall hinweg, der wie ein Scherbenberg vor einem Spalt sich türmte. Als der Referendar folgen wollte, blies sie sein Licht aus. Er haschte nach ihr, aber faßte den Bürgermeister, dessen Baßstimme ihm ein „Nanu!“ entgegenrief. Lachend, suchend brausten die Teilnehmer an der wilden Jagd in andere Gänge. (Fortsetzung folgt.)



Blätter und Blüten.

Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, der neue deutsche Reichskanzler. (Zu dem Bildnis Seite 773.) Vor viereinhalb Jahren, in den Märztagen des Jahres 1890 hatte Caprivi als Nachfolger Bismarcks die Aemter des deutschen Reichskanzlers, des preußischen Ministerpräsidenten und Ministers des Auswärtigen übernommen. Nachdem er den Vorsitz im preußischen Ministerium schon vor zwei Jahren an den Grafen Botho von Eulenburg abgegeben hatte, ist er nun auch seines Postens als Reichskanzler durch kaiserlichen Entschluß entbunden worden, zugleich mit ihm hat Graf Eulenburg seine Entlassung genommen. Die vereinigten Aemter des Fürsten Bismarck ruhen nun wieder auf eines Mannes Schultern, auf denen des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, des seitherigen kaiserlichen Statthalters in den Reichslanden. Ein fünfundsiebzigjähriger Staatsmann tritt damit in einem Augenblick an die Spitze der Reichsregierung, wo Fragen von weitreichender Bedeutung einen Mann von klarer gereifter Einsicht, festem Wollen und warmem Herzen gebieterisch fordern.

Daß der Erkorene die Fähigkeit besitzt, einer großen und verwickelten politischen Aufgabe gerecht zu werden, das lehrt ein flüchtiger Blick auf seine seitherige Wirksamkeit. Mehr als einmal hat er in schwierigen Lagen sich erprobt, mehr als einmal hat man seine Person gerade in solchen Augenblicken herangezogen, die an Takt, Umsicht, Mut und Geschäftskenntnis besonders hohe Anforderungen stellten. So war’s in Bayern im Jahre 1866, als es galt, aus Krieg und Mißtrauen heraus den ehrlichen Anschluß an das siegreiche-Preußen zu finden und die Folgerungen aus dem Schutz- und Trutzbündnisse voll zu ziehen. In den vier Jahren zwischen Kissingen und Weißenburg hat Hohenlohe als bayerischer Ministerpräsident unendlich viel für die Einigung Deutschlands, in dem Sinne, wie sie heute zur glücklichen Thatsache geworden ist, gethan, so daß auch sein Sturz zu Anfang des Jahres 1870 den natürlichen Fortschritt der Dinge nicht mehr aufhalten konnte. Hohenlohe aber fuhr fort, als bayerischer Reichsrat und Abgeordneter zum Deutschen Reichstag seinen gewichtigen Einfluß in den Dienst einer nationalen Politik zu stellen.

Als dann 1874 Graf Harry von Arnim unter erschwerenden Umständen von dem Botschafterposten in Paris abberufen wurde, da erhielt Hohenlohe den heiklen Auftrag, in die Lücke zu treten; durch feinen diplomatischen Takt gelang es ihm, ein beiderseits befriedigendes Verhältnis zwischen den Regierungen herbeizuführen. Und als nach dem Tode Manteuffels 1885 die Notwendigkeit sich herausstellte, die innerliche Verbindung zwischen den Reichslanden und Altdeutschland auf einem neuen Wege zu suchen, weil der alte nicht zum erwünschten Ziel geführt hatte, da war-es wiederum Hohenlohe, dem das Vertrauen geschenkt ward, daß er diesen Weg finden werde. Beidemal hat der Erfolg gezeigt, daß die Wahl auf den rechten Mann gefallen war.

Der Fürst ist am 31. März 1819 zu Rotenburg an der Fulda geboren als zweiter Sohn des Fürsten Franz Joseph zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Seine Mutter Constantia war eine geborene Prinzessin zu Hohenlohe-Langenburg. Nach gründlichen Studien der Rechts- und Staatswissenschaften, denen er zu Heidelberg, Göttingen und Bonn oblag, wurde er 1841 Auskultator beim Gericht in Ehrenbreitstein, dann Referendar bei der Regierung in Potsdam; doch verließ er 1845 den preußischen Staatsdienst, um die ihm zugefallene Standesherrschaft Schillingsfürst im bayerischen Regierungsbezirk Mittelfranken zu übernehmen. Von seiner Gemahlin Marie, einer geborenen Prinzessin Sayn-Wittgenstein-Berleburg, besitzt er drei Söhne und eine Tochter; von seinen zwei Brüdern ist der ältere, Gustav, Kardinal in Rom, während der jüngere, Constantin, ein hohes Amt am österreichischen Kaiserhof bekleidet.

Der neue Kanzler des Deutschen Reichs übernimmt eine Verantwortung von ungeheurer Schwere vor seinem Volke und vor der Geschichte. Möge ihm, der die Schwelle des Greisenalters schon überschritten hat, Kraft zum Ausharren und eine glückliche Hand beschieden sein!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_787.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2023)