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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

süßen und sauren Kirschen von unerreichter Vorzüglichkeit auch Erdbeeren, später Johannis-, Stachel- und Himbeeren, schließlich Pflaumen, Aepfel und Pfirsiche. Wein zieht man eigentlich nur, um die letztgenannte Edelfrucht in seine Blätter einwickeln zu können. Die vorhin genannte „Ausfuhrziffer“ von 700000 Tienen verteilt sich natürlich auf wenige Monate des Jahres, und zur Höhezeit der Saison, im Spätsommer und Frühherbst, gewährt die Brücke Werders nachmittags einen ungemein fesselnden Anblick.

Sind die Obstdampfer, die man auf gemeinschaftliche Kosten erbaut hat und die meist einen, selbst zwei gefüllte Kähne noch hinter sich herschleppen, von Berlin eingetroffen, so stürzen sich die Bootsleute begierig auf ihren Inhalt, die leeren Tienen. Jeder kennt genau die Marke oder die Farbe, welche die einzelnen Händler für ihre Gefäße wählten, und fein säuberlich werden am Strande die Tienensäulen aufgeschichtet. Und nun kommen auch schon die mit gefüllten Tienen hochbeladenen Obstwagen der Gärtner heran; während die Bootsleute noch damit beschäftigt sind, das Schiff zu leeren, packen sie es schon wieder voll, und in weniger als einer Stunde ist die ganze Arbeit vollendet. Ein Signalschuß dröhnt, sechs Schläge vom Kirchturm hallen über die Stadt, und der beuteschwere Dampfer mit seinen Anhängseln ächzt langsam auf Potsdam zu, nach Berlin weiter. Die Werderanerinnen begleiten ihr Obst in die Reichshauptstadt, und mit Schlaf, Strumpfstricken, Häkeln und Kaffeetrinken aus allerlei Tassen und Töpfen verbringen sie die Nacht. Gegen Morgen kommt man in Berlin an, bei der Markthalle in der Dorotheenstraße, dem „neuen Werderschen Markt“, wird gelandet, und hier entwickelt sich dann allmählich das immer befriedigende, glatte Verkaufsgeschäft. Diese Ware lobt ja den, der sie feilbietet, nicht umgekehrt …

Noch mancherlei Interessantes bietet die Stadt Werder, mancherlei freundliche Erinnerungen haften an ihr. Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. ließ ihr eine tragfähige Brücke bauen, dank welcher sie erst mit der Außenwelt in regere Verbindung trat; er schwang sich zu dieser Ausgabe nicht aus Liebe zur Insel auf, sondern weil ihm gemeldet wurde, daß der alte, völlig zermorschte Steg kein Bataillon mehr zu tragen vermochte. Er ließ nachher Werders morastige Straßen, deren Schrecken er am eigenen Leibe erfahren hatte, pflastern; auch die von den Lehniner Mönchen erbaute, stimmungsvolle gotische Kirche baute er in seiner Art um. Diese Kirche glänzte früher durch ein eigentümliches Altargemälde, „Christus als Apotheker“, das nicht gerade geschmackvoll, aber werderisch naiv den Heiland darstellte, wie er auf einer Wage die menschliche Schuld auswog gegen „Kreuz-Wurtz“, das Gnadenmittel. Büchsen mit den Aufschriften: Liebe, Hilfe, Geduld, Friede, Beständigkeit, Hoffnung, Glauben ergänzten die Einrichtung der seltsamen Pharmacie. –

Aber soviel Kurioses wir auch von den Eigentümlichkeiten und Lebensgewohnheiten der Werderaner noch gehört haben, für heute müssen wir unsere Wißbegierde bezwingen. Die Nacht bricht herein, ungewisses Mondlicht rinnt über die Dächer, Werder geht schlafen.

So besteigen wir denn den bereit liegenden Kahn, der uns nach Potsdam zurückbringen soll. Eine wunderherrliche Fahrt. Von herbem Duft umwittert, leuchtend in silberner Klarheit, wandelt die Septembernacht über die Wasser. Wir hören nichts als das Geräusch der taktmäßig in die Flut tauchenden Ruder und das Klatschen und Gurgeln der Wellen, die sich am Kiel brechen. Im Mondenglanz sehen wir die weißen Nebel wallen, die Havel blitzen und funkeln, als bereite sie etwas Wundersames, Großes vor, als schicke sie sich an, das Märchenschloß emporsteigen zu lassen, das in ihrer Tiefe liegt. Noch einmal, ehe sie sich zu langem Winterschlafe niederlegt, öffnet die Natur ihr Schatzkästlein und zeigt ihre schönsten Juwelen. Und wir trinken, den Blick zu den Sternen gerichtet, den feuchten Odem der Nacht, und wie das Boot dahinschaukelt, dünkt uns, wir seien entschlummert und der Traumgott fahre uns thulewärts übers Meer, und gleich müsse aus süßen Düften und wehendem Licht die silberne Grotte aufsteigen, die hinunterführt in den Palast … Wir gleiten an den schlafenden Ufern vorbei, hören die jungen Kiefern, die noch nicht zur Ruhe gekommen sind, leise miteinander raunen und atmen ihren würzigen Duft. Und immer nebliger wird es, immer breiter der durch die Dämpfe flimmernde, schwankende Silberstreifen auf der Flut. Zuweilen sprüht’s und funkelt’s fern von ihm auf, als blinzle eine Nixe im Schlaf. Vorn aber, weit vorn glühen zwei rote Augen durch die weiße Nacht – das sind die Lichter der Werderschen Obstdampfer, die wie zum Dienst der Menschen gebändigte Ungetüme der Hauptstadt zu schleichen …

Keiner von uns spricht ein Wort, kein Herz offenbart laut sein Entzücken; alles sinnt und träumt und lauscht. O märkische Natur, schlichte, bescheidene, wie machst du Tausende zu Dichtern, die nie einen Reim geschrieben haben und nie einen schreiben werden!


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Sonnenlicht und Sonnenkraft.

Von Prof. Dr. L. Büchner.

Wenn wir heute lesen, daß so viele Völker des Altertums, wie Inder, Ägypter, Phönizier, Perser, Römer, Peruaner u. s. w., die Sonne als einen Gott angesehen und ihr göttliche Verehrung erwiesen haben, und daß dieses ganz oder teilweise bei manchen wilden oder halbwilden Völkern, wie Negritos, Ainos, Tungusen, Lappen, Samojeden u. s. w., bis auf den heutigen Tag der Fall ist, so lächeln wir wohl über solche Einfalt, da wir wissen, daß die Sonne kein Gott, sondern nichts anderes ist als dasjenige, als welches sie bereits der griechische Philosoph Anaxagoras im 5. Jahrhundert vor Christus mit einer für seine Zeit bewunderungswerten Voraussicht bezeichnete, d. h. ein „feuriger Klumpen“. Freilich paßt der Ausdruck „Klumpen“ schlecht für einen Körper, der so groß ist, daß man beinahe anderthalb Millionen solcher Kügelchen, wie unsere Erde eines ist, daraus drehen könnte, und deren Größe auch schon Anaxagoras im Widerspruch mit den Naturphilosophen seiner Zeit als eine den Augenschein weit überragende bezeichnet hatte. Wenn nun aber die Zeitgenossen des großen Philosophen seine Meinung nicht anerkennen wollten, ihn vielmehr mit der Anklage der Gotteslästerung aus Athen vertrieben und fortfuhren, die Sonne für einen Gott oder wenigstens als von einem Gotte geführt und gehalten anzusehen, so hatten sie dazu genügenden Grund in dem wohlthätigen Einfluß, den der strahlende Himmelskörper auf das ganze menschliche Leben und Dasein übte. Hätten sie wissen können, was wir heute wissen, daß nämlich die Sonne nicht bloß ein wohlthätiger Himmelskörper, sondern auch die letzte Ursache für alle auf der Erde wirksamen Kräfte und alle auf derselben vor sich gehenden Bewegungen ist, so würden sie wohl darin einen noch mächtigeren Beweggrund ihrer Sonnenverehrung gefunden haben.

Mag es nun Instinkt, Ahnung oder Zufall gewesen sein, was die Ursache für die so weit verbreitete Anbetung der Sonne als einer Gottheit geworden ist, man kann nicht leugnen, daß unter den verschiedenen religiösen Naturdiensten des Altertums keiner eine so große innere Berechtigung gehabt hat wie gerade der Sonnendienst. Ist es doch heute keinem wissenschaftlichen Zweifel mehr unterworfen, daß nach Maßgabe des großen Gesetzes von der Erhaltung oder Unsterblichkeit der Kraft die Strahlen der Sonne in der That jenen unerschöpflichen Behälter bilden, aus welchem der gesamte Kraftvorrat der Erde sein Dasein herleitet. Wollte heute die Sonne aufhören zu leuchten, so würde – auch ganz abgesehen davon, daß Leben ohne Licht überhaupt unmöglich ist – sehr bald ein mit jeder Art von Leben unverträglicher Stillstand aller Kraftwirkungen oder Kraftumwandlungen eintreten. Beinahe jeder Schulknabe weiß heute, daß die Kraft als solche nur eines Wesens ist, und daß die uns bekannten Einzelkräfte nur verschiedene Formen oder Erscheinungsweisen dieser einzigen Urkraft sind. Alle Kräfte ohne Ausnahme können nach dem Grundsatz der Aequivalenz oder Gleichwertigkeit ineinander umgewandelt werden oder auseinander hervorgehen. Niemals kann dabei die geringste Menge von Kraft verloren gehen oder zu „nichts“ werden oder aber umgekehrt aus nichts, d. h. ohne daß eine andre Art von Kraft ihr vorangegangen wäre, entstehen. So geheim oder verborgen mitunter auch die Wege sein mögen, auf denen Kraft kommt oder geht, so ist man bei genauerer Nachforschung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_699.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2023)