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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

6.
Aus Paula Meyers Tagebuch.

. . . Und wie er sich dann hernach entschuldigte – ach, er und entschuldigen!! – und sagte, es gebe für ihn nichts Unerträglicheres als diese kalte spielende Grausamkeit … Und dann lächelte er, sein herrliches Lächeln, und strich sich mit der rechten Hand über die Stirn und sagte: er habe noch eine besondere Schwäche für die Mäuse, und erzählte, wie er als kleiner Junge ’mal so krank gewesen sei und so einsam, da habe ihm der alte Hausknecht seines Vaters ein paar weiße Mäuschen in einem Käfig gebracht, ganz reizende Tierchen, schneeweiß mit rosenroten Näschen und Aeuglein, und das sei dann tage- und wochenlang seine größte Freude gewesen, und die eine konnte sogar singen, was ich entzückend finde!

Thusy sagt, er hätte mich immer dabei angesehen und mir hätten die Thränen in den Augen gestanden, was recht häßlich von ihr ist, aber ich glaube, sie hat recht. Es muß ja auch einen Indianer rühren, wenn ich mir das denke, so ein starker herrlicher Mann – er, der Herrlichste von allen!! und dann hilflos und ans Lager gefesselt und hat nichts zur Unterhaltung als zwei kleine Mäuschen! O, hätte ich ihn pflegen können! Das heißt, damals war er ja noch klein, welch ein reizendes Kind muß er gewesen sein, ich wollte, ich hätte ein Bild davon!

O, dürfte ich ihn immer pflegen und brauchte ihn nie zu verlassen!!! Aber ach, nur wenige Tage noch, und dann … Ich habe mir heute in Schillers Gedichten „Des Mägdleins Klage“ mit der Häkelnadel angestrichen – wie ganz empfinde ich da mit dem großen Dichter!! – – Oder sollte es – sollte es wahr sein, was Thusy neulich, als sie nachts zu mir herüber flüchtete, weil sie meinte, es könnten doch welche von den häßlichen alten Mäusen hier sein, und der Mondschein fiel so breit herein – da war sie wieder recht abscheulich und neckte mich und sagte – – – aber nein, erröte, meine Feder, und schweige!!!!

Thusy schläft schon, und ich will nun auch zu Bett gehen. In den anderen Zimmern ist auch schon alles dunkel und still, sogar drüben bei Hetty und Margot, wo sie gestern so einen Lärm gemacht haben mit der Katze, diesem abscheulichen Tier. Die kann lange warten, bis ich ihr wieder ein Band schenke. Wie sie ihn giftig anstierte aus ihren grünen falschen Augen, den edlen Mann!!! – Wie die anderen nur schlafen können nach so einem Tage!

Ich wollte, ich hätte ein paar weiße Mäuse. Es sind zu süße Geschöpfe!


7.

Professor Hans Seeling lehnte im Sessel vor seinem Schreibtisch und starrte träumend auf eine Photographie, die in dunklem Stehrahmen auf dem Tische den Ehrenplatz einnahm. Sie stand neben der Lampe, so, daß er beim Schreiben aufblickend sie stets vor sich sah. Vor ihr lag die thönerne Maus, und um Bild und Maus schlang sich ein junger blaßgrüner Epheuzweig.

Nach langem Sinnen reckte sich der Professor, ergriff die Feder und schrieb einen Brief zu Ende, zu dessen Fortsetzung er so viel Zeit gebraucht hatte. Er schrieb:

„Aber das ist alles nur wirres Zeug, wirst Du sagen, und giebt noch nicht einmal eine Antwort auf die höchst einfache Frage, ob ich in acht Tagen komme oder nicht. Nun, lieber Vater, Du hast immer darauf bestanden, daß Dein erwachsener Sohn Dir gegenüber offen sei wie ein junger Kamerad, und wie sollte ich vor Dir auch ein Geheimnis haben? Seit ich zu denken vermag, bist Du mir Vater und Mutter zugleich gewesen, und wenn die liebe selige Mutter, die ich kaum gekannt habe, noch lebte, ich würde vor ihr so offen sein wie vor Dir. Aber zuerst muß ich selbst klar sehen. Es giebt Dinge, die kann und soll ein Mann nur allein durchfechten. Ich bin in den letzten Wochen in mich gegangen, habe unter Verbrauch von bedenklich viel Cigarren – die letzte Sendung war herrlich! – mit allerlei abgeschlossen und möchte nun einen kleinen Sturm auf den Himmel wagen. Es ist mir, als schwebte ein großes Glück dicht vor mir, als fühlte ich den Hauch seiner Fittiche an der Stirne, und ich will greifen und sehen, ob ich es halten mag. Und also – um Dich nicht länger zu behelligen – komme ich in acht Tagen, so bringe ich Dir etwas Köstliches mit, und kommen wir nicht, so mache ein Kreuz auf diesen undisciplinierten Brief und wisse, Dein Sohn hat sich in die Wissenschaft vergraben, wo sie am tiefsten ist, und Gott weiß, wann er wieder herauskommt.

 In inniger Treue und Dankbarkeit Dein Hans.“

Nachdem der Professor dies geschrieben, den Brief adressiert und durch den Diener fortgeschickt hatte, zündete er sich eine Cigarre an, lehnte sich wieder zurück und starrte durch die blauen luftigen Wölkchen nach dem Bilde hin, mit einer Ausdauer und Hingabe, als ob er vom Staate eigens zu diesem Zwecke angestellt wäre.


8.

Um dieselbe Stuude saß Paula Meyer allein in dem traulichen Zimmer, das sie mit ihrer Busenfreundin Thusnelde teilte, vor einem kleinen Tischchen. Sie blickte lange mit verweinten Augen auf den Lampenschirm, der weiß auf grün zwei kosende Täubchen zeigte. Dann fuhr sie sich mit ihrem in Kölnisches Wasser getauchten Tüchlein über die erhitzten Wangen, strich das gestickte weiße Negligé von ihrem hübschen Arme zurück und schrieb, häufig schluchzend, in ihr silberbeschlagenes Tagebuch:

 „Freitag, abends spät.
Brich zusammen, du Gebäude schüchterner Hoffnungen, das ich auf diesen Blättern vorgestern aufgerichtet!!! Meine Liebe ist verraten, mein Herz geknickt, und ich wollte, ich wäre tot!!! O, wer hätte so etwas geahnt! Hätte ich doch nur Margot statt meiner mit Hetty Siegendorf zu ihrer Tante gehen lassen, so hätte ich wenigstens das Entsetzliche nicht mit eigenen Augen gesehen. Aber es ist am Ende besser so. Gewiß war es eine Fügung!

Hetty that so groß, als ob sie ihn zuerst erkannt hätte – o Gott, als ob ich ihn nicht mit verbundenen Augen aus Millionen heraus erkennen würde, mit seiner stolzen Haltung, seiner ungeduldigen Kopfbewegung, wie er unter der Laterne auf die Uhr sah – und dann sein großer Mantel mit der Kapuze, der graue, wo er noch vorige Fastnacht auf dem Eise drin so lieb zu mir gewesen war – der Heuchler! O diese Falschheit – aber so sind sie!! Alles Don Juans. Mozart hat ganz recht . . . Und wie es dann unter dem Thorweg so p–st machte, pst–pst– und dann er gleich hin und wir hinterdrein und da stand sie – o dieses Geschöpf, wer sie wohl sein mag, die ihn so umstrickt hat!!! Hetty sagt, sie hätte ihn zuerst geküßt, daß es nur so klatschte – und sie wollte immer noch mehr zusehen, aber ich lief fort, wie mit Furien gepeitscht … O, wenn er ahnte, wer ihn auf seiner schwarzen That belauschte. Aber morgen gehe ich wieder mit Hetty hin – ich will wissen, wer sie ist. Hetty sagt, die träfen sich gewiß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_640.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2023)