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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

fröhlich in solcher Gesellschaft verlebt, allerdings in Kreisen mit etwas einfacheren Namen. Aber es war im Grunde ganz dasselbe; die Herren meist fade und süßlich gegen das schwache Geschlecht, hier und da auch ein ernstes Männergesicht, das zu dem Spiel gute Miene machte. Und die Frauen – nun, das wird durch keine Entwicklung der Weltgeschichte und auch durch keine ‚Emanzipation‘ anders gemacht – sie bringen ihre Schönheit noch immer gern zur Geltung, selbst die, die nicht allzuviel davon aufzuweisen haben.“

„Für viele ist es ja auch das Wertvollste, das sie besitzen,“ meinte Hermann, durch den sarkastischen Freimut des alten Herrn angenehm berührt.

„So, so; Sie sind also auch so einer?“

„Was für einer?“

„Nun, einer, der denkt, wenn er um sich blickt.“

„Ist das ein Vorzug einzelner, nicht vielmehr ein Vorrecht aller?“

„Das Sehen – ja! Aber das Denken? Ich möchte meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, selbst wenn ich dadurch von diesen verteufelten Handschuhen befreit würde. Bei den Leuten, die sich Tag für Tag in dieses Karnevalskostüm stecken, ist das Denken auch kaum möglich.“

„Sie mögen für viele recht haben, Herr Doktor,“ sagte Hermann, während seine Blicke nachdenklich über die Köpfe der Anwesenden hinwegschweiften und schließlich an Eddas Gestalt hängen blieben. Dasselbe ruhige Gesicht wie der Vater, dachte er unwillkürlich, nur hübscher, weit hübscher!

„Sieht Ihre Schwägerin nicht reizend aus, Herr von Weßnitz? Eine Perle Ihres Geschlechts, anmutig, liebenswürdig, und dabei klug genug, um selbst mich alten Kerl zu begeistern!“

„Sie lernten sich zufällig in Helgoland kennen?“

Der Alte nickte. „Ja. Und das Seltsamste ist, daß sie mit meiner Tochter Freundschaft geschlossen hat. Uebrigens, wissen Sie was, mein junger Freund? Kommen Sie doch einmal abends zu mir! Ich liebe die Leute, mit denen sich ein ernstes Gespräch führen läßt.“

„Gerne werde ich mich einstellen. Vielleicht schon in den nächsten Tagen,“ erwiderte Hermann, offenbar erfreut.

In der Gesellschaft entstand eine unruhige Bewegung. Die Herren wandten und reckten die wohlfrisierten Häupter, um die Damen zu finden, die sie zu Tisch führen sollten, und drängten sich wie ein Bienenschwarm durcheinander.

„Entschuldigen Sie, Herr Doktor, aber die Pflicht ruft mich zu meiner Schwägerin und zu Ihrem Fräulein Tochter.“

„So? Bitte sehr! Grüßen Sie beide von mir! Die Edda sieht aus wie ein Vogel ohne Schwingen.“

(Fortsetzung folgt.)


Ein Stimmungsbild aus Bayreuth.

Von Ida Boy-Ed.

Die Stätte, die ein guter Mensch betrat, ist eingeweiht! Das ist ein Ausspruch Goethes, der leider zu den wunderschönen Dichterworten gehört, die sich in der Wirklichkeit selten erfüllen. Das aber erfüllt sich allemal, daß die Stätte, die ein berühmter Mensch betrat, geweiht bleibt insbesondere der Ausnutzung durch Fremdenführer, den Reisehandbüchern und der Bewunderung naiver Reisender. Es giebt so viele Menschen, die sich das Wohnhaus oder den Lieblingsaufenthalt eines berühmten Mannes mit ehrfürchtigem Staunen ansehen, und wissen doch meist von dem Manne nichts als seinen Namen. All denen, die hier in Bayreuth im Wirtshaus „Zum Rollwenzel“ einkehren und sich das Zimmer zeigen lassen, wo Jean Paul gedichtet hat, möchte ich immer die Gewissensfrage stellen, wie viel sie denn von diesem wenigst gelesenen Klassiker kennen. Mir selbst ist es trotz heißen Bemühens nie gelungen, ihn würdigen zu können, die Aufgabe, im Spreuhaufen seines Stils nach den goldenen Weizenkörnern seiner Lebensweisheit zu suchen, ist mir zu mühevoll. Und so gehe ich denn kühl an seinen Spuren vorüber.

Die Markgräfin Wilhelmine, des Großen Friedrichs kluge Schwester, fesselt mich weit mehr. Sie hat die Art ihres Geistes, in dem sich das Fridericianische geebnet zeigt zu spielender Grazie und schlagfertiger Bosheit, hier in manchem anmutigen Architekturgebilde eingeschrieben. Aber neben diesen blassen Schatten erhebt sich der gigantische Geist eines Riesen so gegenwärtig, daß man zu spüren meint, er wirke noch persönlich, er selbst sei noch die Seele der ungeheuren Arbeit, die hier gethan wird. Und doch ist Richard Wagner tot und er ließ ein Weib als Hüterin seines Werkes zurück! Aber diese Frau heißt Cosima Wagner!

Wahrlich, selten konnte man mit mehr Recht von einer Persönlichkeit sagen: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt ihr Charakterbild“ – noch nicht in der Geschichte, doch in der Vorstellung der Zeitgenossen. Ich sage es frei heraus, ich beneide den Biographen, der einst das Charakterbild dieser merkwürdigen Frau für die Kunstgeschichte festlegen darf. Aber ich wünsche ihm zu der Aufgabe die Fähigkeiten eines Jakob Burckhardt, der die Renaissancemenschen verstand und zu schildern wußte wie keiner vor ihm.

Frau Cosima und ihr Sohn Siegfried Wagner sind in einer ähnlichen Lage wie Thronerben, die den Herrschersessel eines Welteroberers einnehmen. Dessen Thaten werden gegen seine Erben ausgespielt. Sicher ist es, daß die Erbschaft eines Weltruhmes eine Last voll psychologischer Fährlichkeiten darstellt, unter deren Druck auch kluge und starke Geister dazu kommen können, ihre Verwalterpflichten mit Schöpferherrlichkeit zu verwechseln. Dies ist der Vorwurf, den Feinde von Bayreuth der Frau Cosima machen, und diese Feinde sollten eines thun: sie sollten kommen und gleich mir, fast wie aus dem Versteck heraus, die Arbeit dieser Frau beobachten. Schon auf dem Wege der Anempfindung hätte die Tochter Liszts, deren Gatte Richard Wagner hieß, sich in einem langen, beispiellos reichen Leben die Fähigkeiten erwerben müssen, das Werk des Meisters weiterzuführen. Aber die Natur hat ihr selbst ganz außergewöhnliche künstlerische Gaben verliehen. Sie ist ein Regisseur, wie wir in Deutschland keinen zweiten haben. Und daß sie auch Wagners musikalische Vertraute war, wissen Eingeweihte. Sie z. B. war es, die das Quintett in den „Meistersingern“, jenes keuscheste, zärtlichste Hohelied noch zagender Liebesseligkeit, rettete, da Wagner es unterdrücken wollte. Der kleinliche Preßkrieg, der immer beim Herannahen einer Festspielperiode gegen Cosima eröffnet wird und der den Eindruck macht, als sei ein stechender Mückenschwarm entfesselt, beirrt sie nicht im mindesten. Auch Siegfried Wagner hat diese so übelwollende Voreingenommenheit an sich schon erfahren müssen. Es ist, als wollte eine ganze Partei, die vor den gewaltigen Erfolgen des Meisters endlich verstummen mußte, sich nun durch Taktlosigkeiten gegen Mutter und Sohn schadlos halten. Er, der Sohn des großen Mannes, wird die Welt an sein starkes Dirigententalent, welches nach Aussage urteilsfähiger Personen an das des Meisters erinnern soll, schwerer glauben machen als irgend welche beliebige Anfänger Namens Lehmann oder Schulz an das ihre. Der Sohn wächst unter der Führung der Mutter mählich zu der hohen Aufgabe empor, einst die Festspiele zu leiten. Auf der Bühne ist er immer neben der Mutter, und zum zweitenmal nennt ihn in diesem Jahr das Verzeichnis der Mitwirkenden. Gerade in diesen Probetagen ereignete sich ein bedeutsamer kleiner Vorfall, der in Künstlerkreisen lebhaft besprochen ward: nachdem Siegfried Wagner einen Akt „Lohengrin“ dirigiert hatte, brachte das Orchester ihm aus eigenem Antrieb eine Huldigung dar, gewiß ein Beweis, daß es sich von ihm beherrscht fühlte.

Es ist ein eigenes Bild, solch eine Probe. Die weite Bühne ist von modern gekleideten Menschen erfüllt; sie bewegen sich zwischen den wunderbarsten Dekorationen, die zu „Lohengrin“ hergestellt worden sind. Elektrisches Licht verbreitet Tageshelle, der Zuschauerraum liegt in mystischem Dunkel. Schon läßt sich die überwältigende Massenwirkung der Chöre erkennen, schon entwickelt sich ein Volksleben von hinreißender Gewalt. Und rastlos dazwischen bewegt sich, scheinbar unempfindlich gegen alle Strapazen, die schlanke schwarz gekleidete Frau, das kluge Auge hinter grauer Brille geborgen, ganz gesammelte Aufmerksamkeit, mit den feinen, langen Händen bald hierhin, bald dorthin deutend. Alles folgt voll Ehrerbietung ihren Anweisungen und ganz selbständige Künstler haben mir gestanden, daß sie eine Art Suggestion ausübe und ihren Willen und ihre Erkenntnis auf andere übertrage.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_523.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2023)