Seite:Die Gartenlaube (1894) 435.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Hoffnung und neue Kraft gegeben. Er fürchtete nicht mehr um die Schwester ... er wußte, daß er sie retten würde. War doch Einer. .mit. ihm, Einer, stärker als tausend Arme in Wehr und Eisen! Wer sonst als dieser Eine hatte ihm die treue Gesellin geschickt, die ihm feind gewesen bis zur Stunde, die ihm freund geworden um der Schwester willen! Mit raschen Sprüngen holte er Recka ein, und heiße Röte schlug bei ihrem Anblick über seine Wangen ...

Um die gleiche Stunde geschah es, daß Wicho, der mit dem Schwerte seines Herrn bewaffnet vor dem Fischerhaus die Wache hielt, den sorgenden Blick zum Kreuz erhob und murmelte: „Jetzt muß er weisen, ob er gar so stark ist, wie die da draußen sagen!“ Das Eisen im Arm, schritt er zum Lugaus und spähte über den Weg, der von der Ache kam. Er harrte des Sennen und des Knechtes, die er nach Eigels Rat in die Schönau gesandt.

Doch die beiden dachten nicht der Heimkehr. Beim Hag des Richtmanns standen sie in einem Haufen schreiender Männer und Weiber, die sich um Ulla drängten. Mit kreischendem Hohn weckte die Magd in den Männern die Erinnerung an jede Unbill, die Herr Waze ihnen zugefügt, in den Weibern das Gedenken an jede Schmach, die ihnen gedroht oder die sie erlitten von Wazemanns Söhnen. Lachend zog Ulla weiter und suchte sich neue Lauscher, während hinter ihr der schreiende Haufe blieb. Wirr klangen die heiseren Stimmen durcheinander, einer schürte die Wut des anderen, sie hoben die geballten Fäuste und schrien laut am Tage, was zu anderer Zeit kaum einer im stillen zu denken gewagt. Und über alles Geschrei hinaus hob sich noch die Stimme des Hanetzer, der in seinem verschwollenen Gesicht die blauen und grünen Male der Faustschläge trug, die er von Sindel und Hartwig beim Verhör empfangen. Fast mit den gleichen Worten wie damals auf der Reginalbe vor dem in Schlingen liegenden Bären schrie er auch jetzt. „Raitet! Raitet! Was thun wir ihm an? Ihm und seinen Buben!“

„Raitet, Mannerleut’, raitet!“ schrillte eine Weiberstimme. „Und thut, was Fäust’ vermögen! Soll geschehen, was mag ... ich weiß, was ich thu’: ich lauf’ zum Lok’wald, auf der Stell’, ich geh’ zu den Gottesleuten!“ Um die Schreiende drängten sich mit lautem Zuruf alle anderen Weiber, und der kreischende Haufe wälzte sich über die Halden und wuchs bei jedem Hag.

Bruder Wampos „Wunder“ und der Salmued Fluch, den die verstörte Magd als zweites Wort auf den Lippen geführt: diese zwei Dinge übten stärkeren Zug auf diese Menschen aus als die Botschaft der ewigen Liebe und der fromme Ruf der Glocke, den sie seit Tagen mit verschlossenen Ohren hörten – und tiefere Macht als die schreiende Not des Nächsten und die mahnende Stimme des Rechtes, welche Sigenot im Thing erhoben! Jetzt freilich, als sie durch die reine sonnige Morgenluft vom Lokiwald die Glocke tönen hörten, fiel es in ihre Gemüter wie Raserei, und schreiend rannten sie dem Hall entgegen.

Die Glocke klang. Sanft schwoll ihre freundliche Stimme über die stillen Wälder hin und brach sich an den weißen Bergen. Auch ein Einsamer hörte sie, der in atemloser Hast von der Ache durch den Lokiwald emporeilte über den steilen Hang: der Kohlmann. Geradeswegs eilte er der Klause zu, welche durch die Bäume schimmerte. Als er die Rodung erreichte, hörte er Beilschläge; Bruder Schweiker zimmerte am Waldsaum die Pfähle für den Hag. Der Kohlmann sprang zur Klause, auf der Thürschwelle saß Bruder Wampo in der Sonne und schabte mit einem Holzspan die Honigflecken von seiner Kutte.

„He, Du, wo ist Dein Herr?“

Mit verdrießlichen Augen blickte Wampo auf. „Herr? Welcher?“

„Der Flachsbartige! Der mit den guten Augen!“

„Der ist fort vor einer Weil’!“

Eigel erschrak. „Fort? Wohin?“

„In die Ramsau!“

„Welchen Weg hat er genommen?“

„Sell hinunter!“ Und Bruder Wampo deutete mit dem Arm.

Ohne Wort und Gruß eilte der Kohlmann davon, in wenigen Augenblicken war er im Wald verschwunden. Er folgte der Richtung, welche der Bruder ihm angezeigt. Auf kotigem Pfad fand er die frische Trittspur einer Sandale. „Herr! Herr!“ schrie er mit keuchender Stimme, doch keine Antwort kam. Er eilte weiter, und immer wieder fand er die Spur des Weges, den Eberwein genommen. Als er das Thal der Ache erreichte und gegen die Halden der Strub sich wenden wollte, scholl ihm von dem waldigen Hang, welcher jenseit der Ache sich erhob, ein Gewirr von heiseren Stimmen entgegen. Zwischen den Bäumen tauchte eine Schar kreischender Weiber auf, über dreißig an der Zahl, nur wenige Männer unter ihnen: der Hanetzer, die Winklerbuben, der Waldhauser und Urstaller, der Schmied von Ilsank – und der Köppelecker, welcher dem zur Klause eilenden Haufen begegnet war und sich ihm angeschlossen hatte.

Eigel blieb stehen; er lachte und seine Augen funkelten, als er aus dem hallenden Geschrei vernahm, wohin der Weg dieser Menschen ging. „Ihr lauft mir gut in den Weg! Nur her zu mir! Ich will Euch Feuer in die Strohköpf’ werfen!“

Das weißbärtige Kinn auf den Stecken gelegt, so stand er und harrte. Als sie kamen, rief er sie an. „Wohin, Leut’?“

„Zum Lok’wald! Zu den Gottesmännern!“ schrien ihm die wirren Stimmen entgegen.

Er lachte hell auf. „Zum Lok’wald? Zu den Gottesmännern? So?“ Wieder lachte er. „Laufet nur zu. Ich mein’ aber schier, Ihr werdet schieche Köpf’ machen zu dem Gruß, der bei der Klaus’ auf Euch wartet!“

Wilder Lärm erhob sich, der Hanetzer packte den Kohlmann an der Brust, doch der Köppelecker stieß ihn zurück und schrie: „Red’, Eigel, red’! Was hast im Sinn?“

„Reden? Mit Euch?“ Die Augen des Kohlmanns glitten hinauf gegen den König Eismann, dann warf er einen wägenden Blick über die kleine Zahl der Männer und ihre waffenlosen Fäuste; er schüttelte den Kopf, als müßte er einen Gedanken, der in ihm aufgetaucht, von sich abwehren. „Reden? Mit Euch? Wozu denn sollt’ bei Euch das Reden noch helfen? Ihr habt ja noch all’weil’ saure Milch im Leib! Noch all’weil’ kein Blut!“ Zu greller Schärfe hob sich seine Stimme. „In der Ramsan aber hausen noch Mannerleut’! Zu denen geh’ ich! Zu denen sag’ ich: Herr Waze ist mit seinen Buben zu Berg gestiegen, sein Haus steht leer und wär’ so leicht zu werfen wie ein Strohdach. Und haben die Füchs’ erst ihren Bau verloren, so bleibt für die Jagdhund’ leichte Hatz’!“ Die Augen des Alten sprühten, und der Stecken zitterte in seiner Faust. „Das will ich den Mannerleuten in der Ramsau sagen, und ich mein’ schier, daß ich weiß, was ich zur Antwort hör’. Merket auf, Ihr Milchblüter ... ich mein’, es giebt noch ’was zu schauen, ’vor der Tag ein End’ hat! Und kommt nur morgen zur Klaus’, wenn die Ramsauer ihren Dank holen von den Gottesleuten!“ Lachend schritt er davon.

Tobendes Geschrei erhob sich hinter ihm, und das Kreischen der Weiber mischte sich mit den heiseren Stimmen der Männer. Im raschen Weiterschreiten lauschte der Kohlmann, und jedes Wort, das aus dem Lärm an seine Ohren schlug, weckte in seinem Gesicht den Ausdruck wilder Freude. Noch eh’ er den Waldsaum erreichte, sah er den schreienden Haufen über die Ache zurückweichen, und von dem Hang hernieder, das Kreischen der Weiber übertönend, klangen die Stimmen des Köppelecker und des Schmiedes von Ilsank:

„Zu Wazemanns Haus! Was die Ramsauer können, bringen wir auch noch fertig! Feuer in das Fuchsloch!“

Eigels Blicke suchten die weißen Schneefelder des König Eismann; er hob die Faust und schüttelte den dürren Stecken. „Holt Dich und Deine Buben auch keine wehrende Hand mehr ein auf Deinem heutigen Weg ... kehr’ wieder heim, und Du findest einen Gruß vom selbigen, dem Du die Salmued genommen!“ Jenseit der Ache, auf der Höhe des Hanges, verhallte der Lärm in dichtem Gehölz. „Meinem Fluch sind Füß’ gewachsen ... gieb acht, Herr Waze, er lauft Dir in die Stub’!“ Eilenden Sehrittes folgte Eigel dem Pfad.

Bei einer Furt, welche an seichter Stelle durch die Ache zog, fand er wieder die Trittspuren Eberweins. Sie führten zum Gehöft des Schapbachers. Vor dem Hagthor sah er eine Dirne und rief sie an: „Ist nicht ein Gottesmann vorbeigekommen? Ein Flachsbartiger?“

„Wohl wohl! Der ist bei uns gewesen und hat am Thor gelärmt, bis ihm der Bauer aufgethan hat. Nach dem Huzebuben hat er gefragt und ist weiter gezogen gegen die Windach zu.“

Der Kohlmann eilte davon. Durch dichtes Gehölz führte sein Weg, und schon von weitem hörte er das dumpfe Rauschen des hoch angewachsenen Wildwassers. Als er die Lichtung gewann,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_435.jpg&oldid=- (Version vom 10.3.2021)