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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

nun: „Sie sprachen vorhin, als Gegensatz, von Ehen, die keine wirklichen seien. Lassen Sie aber eine wahre Ehe noch gelten, wenn die Liebe bewußt ein Ende hat? Mir scheint doch, Sie gehen in Ihrer Verurteilung zu weit, Herr Armstrong! Verdammen Sie denn jede Lösung eines vielleicht übereilt geschlossenen Bundes, wenn die Voraussetzung, unter der er geschlossen wurde, die Liebe zwischen Mann und Weib, nicht mehr zutrifft?“

„Ich verdamme überhaupt nichts und niemand – dafür hat jeder, der die Augen offen hält, mit vierzig Jahren schon viel zu viel Widersprechendes in sich selbst wie durch andere erfahren. Erinnern Sie sich übrigens meines Wortes, daß ich es für richtig halte, wenn Menschen auseinandergehen, die einander nicht mehr zu fördern vermögen. Das ist der entscheidende Punkt. Es mag schwer sein, sowohl im Fieber einer Leidenschaft als auch im Unmut augenblicklicher Mißverständnisse diesen Punkt fest im Auge zu behalten – ein rechter Mensch wird das aber vermögen. Was auch Mann und Frau eine Zeit lang trennen und die Wage niederziehen mag, wirkliche Lebensgemeinschaft wiegt am Ende doch schwerer, wenn ihre große befruchtende Macht von den Beteiligten je begriffen wurde, und wer seine Pflichten liebt, dem bringen sie Entschädigung für die größten Entbehrungen. Darin allein liegt das Entscheidende! In diesem Sinn stehe ich nicht an, zu sagen, daß ich eine Frau, deren Charakter mir die Bürgschaft dieser Erkenntnis giebt, sofort freigeben würde, sobald sie glaubte, ihre Lebensziele an der Seite eines anderen sicherer zu erreichen. Immer vorausgesetzt, daß keine Kinder da sind, denn in solchem Falle ist, nach meiner Ansicht, überhaupt kein Abkommen möglich; die Familie als solche hat unumstößliche Rechte, die nicht angetastet werden dürfen.“

„O!“ machte Johanna, und dann, die Augen etwas zudrückend: „Das ist also Dein Glaubensbekenntnis. Mit Vorbehalt der Gegenseitigkeit, natürlich –“

„Das will ich nicht behaupten. Als Mann wäre ich mir der stärkeren Verantwortlichkeit bewußt. Doch hat es wohl keine Gefahr.“

Er blickte Johanna liebreich an, erhob sein Glas und ließ es an das ihrige klingen. „Sprechen wir von wahrscheinlicheren Dingen: auf ein frohes Wiedersehen!“

„Auf frühes Wiedersehen!“ sagte sie bewegt. Müssen es denn wirklich Monate sein? Noch kommt mir das unglaublich vor.“

„Ist nicht zu ändern, Kind. Von Jahr zu Jahr habe ich den Besuch meiner Plantagen hinausgeschoben, das darf nicht länger versäumt werden und läßt sich nicht in wenigen Wochen abmachen. Ich hoffe, es soll Dir nicht allzu schwer fallen, den Sommer hinzubringen. Deine Schwester wird nächste Woche eintreffen, ich denke, die Rücksicht auf ihre Unterhaltung soll Dich bewegen, nicht gar so abgeschlossen zu leben. Mister Ruhdorf hat mir zugesagt, sich treulich nach Dir umzusehen, in jedem außergewöhnlichen Fall statt meiner einzutreten, also wird es Dir auch an Schutz und Rat nicht fehlen.“

Johanna blieb wortkarg, bis sie sich, nachdem der letzte Gang abgetragen war, zurückzog. Die Männer saßen noch ein Stündchen beim Glase Wein. Armstrong gab seinem Geschäftsführer die letzten Weisungen für längere Vertretung und schloß mit den Worten: „Wir arbeiten nun seit zwei Jahren miteinander, Mister Ruhdorf, und ich denke, wir haben uns genügend kennengelernt. Nach meiner Heimkehr beabsichtige ich, mein Geschäft zu erweitern, und habe dann eine selbständigere Stellung mit entsprechendem Gewinnanteil für Sie im Sinne. Dies vorläufig für den Fall, daß Sie die Gründung Ihrer eigenen Häuslichkeit an diese Aussicht knüpfen wollten.“

„Das steht noch in weitem Felde,“ sagte der junge Mann ablenkend, dankte seinem Chef mit voller Wärme und verabschiedete sich dann für heute. Am nächsten Morgen sollten sich beide vor Armstrongs Abreise nach Südkarolina noch im Comptoir sprechen.

Armstrong arbeitete noch eine Stunde oder zwei in seinem Zimmer und suchte dann seine Frau auf. Johanna hatte geweint. Was die meisten Frauen entstellt, kleidete sie; ihre vollen, etwas blassen Wangen waren leicht gerötet, gleich den Augenlidern, unter denen die feuchten Augen in vertiefter Färbung schimmerten. Als ihr Mann eintrat, legte sie, ohne sein Wort abzuwarten, beide Hände auf seine Schultern und bat mit ihrer wohlklingenden Stimme: „Nimm mich mit, Gerhard, noch ist es Zeit, ich rüste leicht über Nacht.“

„Es kann nicht sein, Hanna, Du weißt es. Nach den erhaltenen Nachrichten giebt es dort viel zu schlichten, das meine völlige Freiheit bedingt. Und davon abgesehen, setze ich Dich in keinem Falle den schädlichen Einflüssen des südlichen Klimas aus.“

Sie wußte, daß jedes weitere Wort vergeblich sei, wenn er sie mit diesem festen Blicke ansah. Als sich neue Tropfen von den dunkeln Wimpern lösten, strich er ihr leicht über den Scheitel. „Mach’ uns das Herz nicht schwer, Hanna! Die Frau eines amerikanischen Kaufmannes muß stets auf zeitweise Trennung gefaßt sein. Ich weiß Dich wohlgeborgen, also – Kopf in die Höhe!“

„Warum hast Du Mister Ruhdorf so ausdrücklich verpflichtet, sich um mich zu bekümmern?“ sagte Johanna nach kurzer Pause. „Das ist mir nicht angenehm.“

„Ich sah es Dir an, ohne recht zu begreifen, was Du gegen diesen doch selbstverständlichen Wunsch haben kannst. Dein Vorurteil ist mir überhaupt kaum erklärlich. Mister Ruhdorf ist nicht nur ein verlässiger, er ist ein durch und durch anständiger Mensch, dazu Dein Landsmann. Das sollte ihn Dir näher bringen. Statt dessen bist Du in seiner Gegenwart merkwürdig wortkarg. So häufig er auch bei uns aus- und eingeht, möchte ich doch sagen, daß er Dich noch gar nicht kennt, denn Du verstummst sofort, wenn er da ist. Woher diese Abneigung?“

„Keine Abneigung, Gerhard. Mister Ruhdorf würde mir im Gegenteil recht gut gefallen, wäre er nicht so – ich habe es nie aussprechen mögen, um nicht von Dir ausgelacht oder für empfindlich eitel gehalten zu werden, aber Du mußt doch selbst bemerkt haben, daß dieser Herr eine ziemlich geringe Meinung von meinem Verstande hat. Du schildertest ihn mir von Anfang an als einen besonders gescheiten, vielseitig gebildeten Mann, seine Unterhaltungen mit Dir bestätigen das auch; für wie unbedeutend er mich hält, geht aber aus seiner ganzen Art und Weise deutlich hervor. Das machte mich von vornherein scheu, Du weißt, ich habe Fremden gegenüber stets die angeborene Schüchternheit zu überwinden.“

Armstrong lachte. „Ursache und Wirkung! Weil Du jederzeit scheu warst und bliebst, ist er nun wieder der Meinung, Dir unangenehm zu sein, das verriet mir manches Wort. Nun, ich hoffe, Ihr werdet Euch dennoch vertragen, und bitte Dich, mach’ es dem Manne, der mein volles Vertrauen hat, nicht allzu schwer, seinen Auftrag auch hier im Hause zu erfüllen. Ein wenig Freundlichkeit – ich bürge dafür, Du wirst es nicht zu bereuen haben.“




Die erste Woche nach der Abreise ihres Mannes füllte sich für Johanna durch Uebersiedelung des Hausstandes nach dem an der Inselbucht gelegenen Landhaus, das alljährlich bezogen wurde, sobald der heute frostige, morgen schwüle Mai zu Ende ging und damit das dort so plötzliche Hereinbrechen der Sommerhitze vor der Thüre stand. Armstrongs geräumige Villa bot bei herrlicher Lage jede Bequemlichkeit. Sich dort wieder einzurichten, war dem vorwiegend häuslichen Sinne der jungen Frau um so erwünschter, als sie in den nächsten Tagen dem Eintreffen ihrer jüngeren Schwester entgegensah, die zugesagt hatte, ihr bis zu Armstrongs Rückkehr Gesellschaft zu leisten – eine erfreuliche Aussicht, denn von der Nähe einer Tante ihres Mannes, die, halb als Ehrendame, halb zum eigenen Behagen, mit ihr hierher übersiedelte, durfte sie sich wenig Anregung versprechen. Die alte Dame sprach und verstand nur Englisch und gehörte zur weltbekannten Sippe der komischen guten Tanten. Zur großen Enttäuschung Johannas traf statt der sehnlich erwarteten Schwester eine Absage ein; unvorhergesehene Hindernisse hielten sie noch für unbestimmte Zeit daheim zurück. Es galt, sich zu bescheiden. Johanna nahm ihre Zuflucht zu ihrem Flügel, zu Büchern, ließ sich aber, obgleich sie dann und wann einen Besuch empfing, ebenso wenig hier wie in der Stadt zu regerem geselligen Verkehr verlocken, wozu es nicht an Aufforderungen fehlte. Die nächste Nachbarin, Frau Anny, war trotz der früheren Ablehnung hierin am hartnäckigsten, sie hatte sich in den Kopf gesetzt, die Einsiedlerin „aufzumuntern“, deren „Grille“ ihrem eigenen Vergnügungsbedürfnis völlig unbegreiflich war. Doch zog auch diese sich bald geärgert von der „langweiligen Deutschen“ zurück. Es war kein Eigensinn, der Johanna ihren Entschluß so unbeirrt durchführen ließ. Sie hatte während der ersten Jahre ihrer Ehe die Erfahrung gemacht, in welches ruhelose Getriebe jede Frau unrettbar verfiel, die sich der unter den tonangebenden Familien der großen Handelsstadt üblichen Geselligkeit überließ, und wie wenig diese Jagd nach

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