Seite:Die Gartenlaube (1894) 368.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

„Entschuldigen Sie, akademischer Maler.“

„Frau Steueramtssekretär Streckebein –“

„Sehr angenehm,“ versicherte die alte Dame.

„Frau Ida Döbler, ihre Tochter,“ fuhr Opitz fort. Er hielt die Hand vor den Mund und flüsterte beiseite: „Witwe.“

„So jung! Ist’s möglich?“ antwortete Vanhusen ebenso.

„Hm, hm – die Partie hat sich so gemacht!“

Der Maler verstand Opitz falsch, weil dieser verliebt zu Ida hinüberschielte. „Gratuliere.“

Opitz wurde ganz verlegen. „Ach nein, so ... die Landpartie mein’ ich.“

Indessen hatte Frau Schöneberg die Bedenken ihres Mannes beseitigt. „Wollen Sie nicht ein Täßchen Kaffee mit uns trinken, Herr Vanhusen?“ fragte sie.

Er setzte sich sogleich neben Martha. „Aber ich beraube Sie, gnädige Frau.“

„Durchaus nicht.“ Sie stieß ihren Mann an, um ihn zu einem freundlichen Wort zu nötigen.

„Wir haben noch eine ganze Menge übrig,“ brummte er denn auch, „bleibt doch nur stehen.“

Vanhusen nahm die Tasse. „Wenn Sie denn so liebenswürdig einladen – danke bestens.“

„Martha, reiche dem Herrn Maler den Kuchen!“ sagte die Mama. Martha gehorchte sofort. Sie war plötzlich ganz munter geworden, ihr hübsches Gesicht hatte sich belebt. Indem sie den Teller hinreichte, flüsterte sie. „Das ist aber reizend, daß Sie gekommen sind!“

„Verstand sich ja von selbst,“ versicherte er leise, „nachdem ich von Ihnen einen Wink –“

„St!“ machte sie und errötete wieder. „Wollen Sie dieses Herz –“

„Mit dem größten Vergnügen. Wenn Sie das andere da nebenbei –“

„Ich bin eigentlich schon ganz satt, aber Ihnen zur Gesellschaft esse ich –“

Der Mama schien die Auswahl etwas lange zu dauern. „Es ist alles von demselben Konditor,“ bemerkte sie.

„Der Maler und Martha verzehrten die beiden süßen Herzen mit innigstem Behagen, wie von ihren Gesichtern abzulesen. Was ließ sich nicht alles dabei denken!

Schöneberg meinte, eine Unterhaltung beginnen zu müssen; zugleich wünschte er seiner Ueberlegenheit einen launigen Ausdruck zu geben. „Na, wie geht’s denn so im allgemeinen mit der Pinselei, wenn ich fragen darf?“ warf er von oben her hin.

„Das kommt auf den Pinsel an,“ antwortete Vanhusen schlagfertig. „Wenn der Pinsel kein Pinsel ist –“

„Ha ha ha!“ lachte Opitz. „Da hast Du’s.“

„Schwärmen Sie auch für Freilicht?“ mischte Ida sich ein. Es war ihr lieb, mit ihrer Bildung glänzen zu können.

Schöneberg nahm den Ausdruck wörtlich. „Warum soll er nicht?“ fragte er. „Wenn er’s haben kann –“

„Die Sonne scheint ja zum Glück noch immer umsonst,“ bemerkte der Maler trocken.

Ida kicherte in ihr Tuch. Frau Schöneberg merkte, daß da etwas nicht in Ordnung sei. Sie stieß wieder ihren Mann an und flüsterte ihm zu: „Du blamierst Dich.“

Vanhusen sprang mitleidig ab. „Waren die Damen schon in der Ausstellung?“ fragte er. Sie schüttelten den Kopf. „Sie müssen sich ’mal meinen ‚Verlorenen Sohn‘ ansehen.“

„Den aus der Bibel?“ erkundigte sich die Frau Sekretär.

„Gewissermaßen. In moderner Auffassung natürlich. Vater Millionär, Geheimer Kommerzienrat, Ritter hoher Orden – Mutter im Vorstand von einem Dutzend Wohlthätigkeitsvereinen – sehr respektable Leute. Der Herr Sohn ein blutjunger Mensch, der schon mit liederlichem Volk ein Vermögen durchgebracht, Wechsel gefälscht, Ehrenscheine verbummelt hat, jetzt verstoßen, gänzlich abgebrannt –“

Frau Streckebein nickte zustimmend. „Ja, ja – und nährt sich nun von den Träbern.“

Der Maler zuckte lächelnd mit der Lippe. „Gerade das! Merken Sie auf! Asyl für Obdachlose, Volksküche, zwei Gänge für fünfzehn Pfennig, Jammergestalten im Halbdunkel, schattenhaft – alles genau nach der Natur. Durch die vordere Thür links tritt eben der verlorene Sohn, den eingedrückten Cylinder schief auf dem Kopf, elegant schäbig, Ruine eines Stutzers – kolossal wirksam, versichere ich Sie. Die eine Figur, nichts weiter –“

In diesem Augenblick schrie die Frau Sekretär laut auf und hielt sich die Augen zu. Die ganze Gesellschaft fuhr erschreckt zusammen. „Was giebt’s, was giebt’s?“

„Lieschen!“

„Aber was denn?“

„Sie ist an der Schaukel. Komm fort da, Lieschen!“

„Aber lassen Sie das Kind doch ein bißchen schaukeln,“ sagte Schöneberg. Die alte Dame winkte immer. „Es ist dabei schon so viel Unglück vorgekommen! Die Stricke sind gewiß alt und die Ringe durchgescheuert. Und nichts als ein kahles Brett! Wenn das Kind schwindlig wird!“ Sie stand auf und ging nach der Schaukel.

Ida folgte. „Aengstige die Großmama nicht, Lieschen!“ sagte sie. Auch Frau Schöneberg und Opitz erhoben sich und begaben sich dorthin. „Komm, spielea wir ‚greifen‘,“ sagte er. Man beschäftigte sich mit dem Kinde. Schöneberg hatte sich auf der Bank umgekehrt und sah zu. Diese günstige Gelegenheit benutzte Vanhusen, mit Martha ein heimliches Gespräch anzuknüpfen. „Wir müssen einen Spaziergang in den Wald machen,“ flüsterte er.

„Ach, das wird nicht gehen,“ antwortete sie, offenbar freudig erschrocken.

„Ich hab’ Ihnen so viel zu sagen, liebste Martha.“

„Ich Ihnen auch. Aber wie kann ich?“

„Wenn Sie nur wollen! Wir müssen etwas wagen. Ich werde verschwinden und dort hinter dem Gebüsch auf Sie warten.“

„Die Mama läßt mich nicht allein –“

„Wir fragen sie gar nicht. Nur ein Viertelstündchen! So eine Gunst des Geschicks kehrt nicht so bald wieder. In meinem Atelier wollen Sie mich doch nicht besuchen Und immer nur die zwei Worte auf der Straße und im Pferdebahnwagen ... man muß zu einem Entschluß kommen, so oder so.“

„So oder so . . . was heißt das?“

„Wenn die Alten merken, daß es doch nicht anders geht . . . man stellt sie vor eine vollendete Thatsache.“

„Vor eine vollendete . . . aber wie?“

„Das wollen wir eben beraten. Wir finden gewiß ein lauschiges Plätzchen –“

„Nein, nein!“

„Oder bleiben auch auf dem Waldwege. Es ist ja gar nichts dabei.“

„Das meinen Sie so!“

„Aber bedenken Sie doch nur, was wir einander alles zu sagen haben, liebste Martha!“ Er faßte ihre Hand und drückte sie zärtlich.

„Sie und so unvorsichtig,“ schalt sie, rückte ihm aber doch näher.

„Sie wissen ja, daß ich die ehrlichsten Absichten –“

„Ach Gott!“ Martha zog ihre Hand fort, da der Papa Anstalten machte, sich wieder zurückzuwenden.

„Ja, wenn Sie mir nicht trauen -“

Martha war in großer Unruhe. „Ich werde sehen. Verschwinden Sie denn . . .“

„Engel!“

„St!“

Frau Schöneberg näherte sich wieder dem Tisch. „Nimm Dich einmal Lieschens an, Martha!“ sagte sie.

Martha stand sogleich auf. „Ja, Mama.“ Sie nahm Lieschen an der Hand und spazierte mit ihr herum, den Maler immer im Auge behaltend. Dieser schlürfte seinen Kaffee aus und zog die Cigarrentasche hervor.

„Eine Cigarre!“ rief Schöneberg, „ganz mein Gedanke. Hast Du etwas dagegen, Schwager?“

Opitz holte auch seine Tasche heraus. „Na“ – mit einem Blick auf Ida – „der Mücken wegen, wenn Sie erlauben.“

„Darf ich Feuer . . .“

„Danke, danke! Immer versorgt.“

Die drei Herren saßen noch eine kleine Weile zusammen und bliesen den Rauch in die Luft. Dann stand Vanhusen auf, ging langsam um den Tisch herum, sagte jeder von den Damen etwas Verbindliches und war verschwunden, ehe man’s merkte. Er hatte freilich nur wenig Schritte bis zu dem Gebüsch, das den Waldweg einfaßte. Es stand da eine Tafel mit der lockenden Aufschrift: „Nach dem Schwarzen See und der Schönen Aussicht.“ Hier ging er, der Gesellschaft unsichtbar, auf und ab.

Die beiden alten Damen beschäftigten sich damit, das Kaffeegeschirr zusammenzusuchen. „Haben Sie schon an den Kutscher gedacht?“ fragte die Frau Sekretär.

„Der trinkt lieber Bier,“ meinte Frau Schöneberg.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_368.jpg&oldid=- (Version vom 7.5.2021)