Seite:Die Gartenlaube (1894) 230.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

ligurischen Strandes. Während man aber dorthin eine fast dreitägige Reise zurückzulegen hat, erreicht der Reisende, der Wien morgens mit denn Eilzuge verläßt, noch am Abend des nämlichen Tages den Strand von Abbazia.“

Diese Zeilen kamen einem Manne zu Gesicht, der sich schon vielfache Verdienste um das Verkehrswesen in den deutschen Alpen erworben hatte; er war auch im Besitz jener Machtfülle, die nötig ist, um eine Kolonie, die den Bedürfnissen und Wünschen nordischer Reisender entspricht, ins Leben zu rufen. Es war dies der Generaldirektor der österreichischen Südbahngesellschaft, Friedrich Julius Schüler.

Alsbald wurden zwei große Gasthöfe, nach und nach verschiedene Villen gebaut. Sofort bemächtigte sich auch die Privatspekulation des grünen Strandes. Denn nach dem Vorgange der Südbahn fing man an, alle die Vorzüge dieser Küste einzusehen, von denen früher niemand etwas bemerkt hatte. Villa auf Villa, Pension auf Pension entstand, und seufzend mußten die Dryaden, die so manchen Wipfel des heiligen Lorbeers hüteten, zu Boden steigen, wenn die rodende Axt kam, um den braunrindigen Stamm zu fällen.

Abbazia verschönerte sich. Vielleicht giebt es jedoch manchen, der da glaubt, es sei schöner gewesen, als es noch nicht so schön war. Indessen, derlei ist überall an ähnlichen Orten zu sehen – der Fortschritt will seine Opfer haben. Und Fortschritte sind ja in der That zu verzeichnen. Abbazia ist auf dem besten Wege, sich zum Weltbad zu gestalten, das auf immer weitere Kreise seine Anziehungskraft erstreckt. Der Besuch des deutschen Kaiserpaares in diesem Frühjahr bildet den voräufigen Höhepunkt dieser Entwicklung.

Das Glück war und ist, daß der große Park eines Herrn Scarpa, in welchem schon damals die Villa Angiolina stand – in ihr sind die Kinder des deutschen Kaiserpaares untergebracht – die erste Erwerbung der Südbahn bildete. Damit ist die größte und in ihrer Pflanzengestaltung schönste Fläche den Baumfällern, Ziegelwagen und Maurern entrückt. Mit größter Sorgfalt werden hier die herrlichen Bäume, die schattendunkeln Gänge und blumengeschmückten Rasen erhalten, und auch sonst ist die Südbahngesellschaft mit Erfolg darauf bedacht, die Wald- und Gartenzierde vor Zerstörung zu bewahren. In dieser Hinsicht hat die Thätigkeit der Gesellschaft Aehnlichkeit mit der Wirksamkeit der geistlichen Herren, denen einst dieser Strand gehörte. Die „Abtei“ (Abbazia) hat ihre Hand schützend über den Wald von Lorbeer, Erdbeer- und Myrtenbäumen gehalten, sonst hätte wohl die südländische Gleichgültigkeit oder Feindseligkeit gegenüber dem wilden Baumwuchs es so weit gebracht, daß es niemals jemand im Traum eingefallen wäre, dort eine so stolze Kolonie erstehen zu lassen.

Die Villa Amalia (so genannt nach der Gemahlin des Generaldirektors Schüler), der Wohnsitz des deutschen Kaiserpaares, ist etwa dreißig Schritte von der erwähnten Villa Angiolina entfernt, steht aber etwas erhöht über dem Grunde, der sich vor der letzteren ausdehnt. Ringsum ist sie von Baumgrün und Blumen umdrängt, gegen Südsüdost aber, in der Entfernung von fünf oder sechs Metern, schlägt das Meer gegen den Felsenstrand. Hier wachsen am Küstensaum in den schmalen Mulden des Geklipps die hohen Pfriemen des Spartium oder Besenginsters, so daß an manchen Stellen mitten zwischen den von Salzstaub überhauchten Felsblöcken das Meerufer sich grün umsäumt anschaut gleich einem Fluß, der zwischen Schilf dahinfließt. Am freundlichsten muten uns aber, gerade den Fenstern der Villa gegenüber, die neben dem niedrigen Badehaus aufragenden hohen Schäfte des Schalmeien- oder Flötenrohrs an. Diese sind eines der sichersten Merkzeichen des Südens. Wir denken dabei an die Idyllendichter der Alten und die Hirtenpfeifen, welche ihre Schäfer aus solchem Röhricht anfertigten.

Die Villa Amalia ist weit stattlicher und prunkvoller als ihre bescheidene Nachbarin, doch gefällt mir die Umgebung dieser letzteren besser. Von den im Erdgeschoß gegen das Meer hin angebrachten großen Flügelthüren begiebt man sich über ein paar Stufen auf eine halbkreisförmige Terrasse, die auf zwei Seiten von dichtem Gebüsch aus Lorbeer, Oleander und Lebensbäumen eingeschlossen ist, während die südöstliche Seite sich in das Meer hinaus vordrängt. Dort, auf dem rundlichen Vorsprung, erhebt sich eine Agave von einer Mächtigkeit wie in den südlicher gelegenen Ländern des Mittelmeerbeckens. Die See bricht sich dort nicht breit und seicht, in stets niedriger werdenden Schaumlinien über der sanft gerippten Dünung einer Schlamm- oder Sandfläche sich verflachend, sondern ihre Wogen arbeiten an Blöcken und Felsstücken, an Riffen und kantigen Steinwällen. Die Salzflut übersprüht dieselben, zwängt sich schäumend zwischen sie hinein, fließt wie ein eiliger Bach gurgelnd wieder zurück, schlägt sich glatte Tunnels durch, verwandelt die Felsen in narbige Kegel, die mit lauter tiefen, nur durch dünne Scheidewände voneinander getrennten Höhlungen bedeckt sind.

Die Adria, wenigstens ihr nördlicher Teil, ist wohl das jüngste und auch eines der flachsten Meere Europas, da die Ueberflutung ihres Grundes erst nach der Eiszeit von der Jonischen See aus erfolgte, von dem früheren Zustand sind heute noch einerseits der Monte Gargano in Apulien und die Tremiti- Inseln, anderseits die äußersten Felseninseln von Dalmatien übrig, gleichsam als Brückenköpfe, zwischen welchen sich eine besonders seichte Stelle hinzieht. Bringt man diese Thatsache in Rechnung, so kann man staunen über die Macht des Wellenschlags, die sich da oft fühlbar macht. Sie läßt sich dadurch erklären, daß man die ganze Längenachse der Adria vor sich hat. Eine gegen Süden gezogene Linie würde, von den Inseln im Quarnero selbst abgesehen, erst in Apulien wieder Festland erreichen. So wurde der Uferrand eben jener Terrasse, hinter welcher den kaiserlichen Kindern ein Spielplatz vorbehalten ist, in einer stürmischen Herbstnacht des Jahres 1881 von den Wellen teilweise überflutet und zerstört.

Hier befindet sich auch, wenige Schritte von der Villa entfernt, jene berühmte Eiche, die man deshalb als ein einziges Schaustück bezeichnen darf, weil es nirgends wieder an den Rändern jenes südlichen Meeres einen mächtigen Waldbaum giebt, der sich in solcher Weise über die Flut hinausbeugt. Unten sind die vom klaren Wasser überwallten Felsen, bedeckt von Algen, namentlich von den grünen Blättern der Ulven. Auf dem Sande treiben sich die apfelgroßen Gestalten der roten Meerigel herum, fünfarmige Seesterne kleben zwischen den Ritzen des Gesteins, die fleischigen Blätter des Meersalates werden vom Salzschaum besprüht – und zwei oder drei Fuß darüber die nordische Eiche! Ein solches Zusammentreffen ist wohl nirgends mehr an der Adria oder am Mittelmeer zu sehen.

Wenige Schritte von den Wurzeln dieser Eiche entfernt ist die Kante eines großen Netzes angebracht, das über die ganze Einbuchtung hingespannt ist und die Badegäste gegen die Besuche der Haifische schützen soll – eine Vorrichtung, die man wohl in der Hauptsache als unnötig und nur auf überängstliche Gemüter berechnet bezeichnen darf, weil sich jene Tiere nicht an so seichte Uferstellen hinwagen. Daß eine deutsche Eiche und ein Haifischnetz nur ein paar Schritte auseinander liegen, das kann man gleichfalls nur in Abbazia sehen.

Wenn man unter dieser Eiche sitzt und ins Meer hinausblickt, so bemerkt man rundliche Schwellungen und Wülste, welche da und dort die glatte Oberfläche unterbrechen. Man macht hier Bekanntschaft mit der Art und Weise, in welcher so viele Wasser des über den Strand aufragenden Hochgebirges ins Meer einströmen. Richt wie sonstwo als murmelnde Bäche, in Stürzen, als Schleier, die über Felswände niederwehen, kommen diese von den grünen Hängen herab, sondern auf nächtlichen Schleichwegen. Dort unten, tief in der Nacht der Felsen geborgen, finden sie endlich irgendwo eine Schlucht, durch welche sie sich in die Heimat aller Wasser hinein oder hinaufdrängen können. Mancher dieser Ausbruchsschachte oder dieser emporsteigenden Quellen ist fast so groß und breit wie der dreiarmige Fluß Timavus, der bei Triest hervorströmt und schon von Virgil besungen worden ist, andere aber sind klein und unscheinbar; kaum daß sie hier und da einmal weit draußen im Meere den Füßen eines Badenden sich fühlbar machen. Das ganze Ufer entlang steigen diese Quellen im Meere empor. Wäre all ihr Wasser in einem Bette vereinigt, so würde wohl ein großartiger Sturz über die Steilküste herabbrausen. Aber in Wirklichkeit mündet das Bergwasser nicht als Fluß ein, sondern wie durch eine Gießkanne in zahllosen kleinen und vom Meere verdeckten Oeffnungen.

Das Klima ist in Abbazia nicht wärmer als am Gardasee, welch letzteren man als einen über die italienische Ebene hinaus

vorgeschobenen Vorposten des Mittelmeerklimas bezeichnen kann.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_230.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2019)