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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

wohlthun.“ Sie hob die Hand mit dem Falken. „Blick’ ihn an, wie er trauert!“

„Was sollt’ ihm fehlen? Er steht in reichem Futter und in guter Pfleg’ und war noch gestern frisch und wohlauf. Nichts fehlt ihm ... aber ich kenn’ den Vogel: stützig ist er, so wie Du!“

Ein müdes Lächeln zuckte um Reckas Lippen; schweigend, mit großen Augen sah sie den Vater an und setzte das Pferd in Gang. Herr Waze starrte ihr nach. „Wie ihre Mutter war! Das gleiche Lächeln und der gleiche Blick!“ Zornig stieß er dem Roß die Stachel in die Flanken und sprengte dem offenen Thor entgegen.

Eine Stunde später zogen zwei berittene Knechte aus Wazemanns Haus. Als hinter ihnen die Fallbrücke sich wieder gehoben hatte, fragte der eine mit leisem Wort: „Wohin, Gesell?“

Ich hol’ den Rimiger im Lok’wald. Wir reiten nach der Salzaburg zum Haunsperger. Und Du?“

„Zum Fuchsloch auf dem Totenmann. Ich hab’ stille Arbeit heut’ nacht.“ Sie lachten und setzten die Pferde in Trab. Als sie zur Achenbrücke kamen. hörten sie vom Fischerhaus die Beilschläge herüberklingen.

„Was die wohl schaffen mögen?“ fragte der eine, und der andere sagte: „Wie Du, so neugierig ist unser Herr auch; ich muß vorbeireiten und Umschau halten.“

Sie trennten sich; während der eine dem Lauf der Ache folgte, ritt der andere über die Brücke und der Lände entgegen; als er unter den Bäumen hervorritt, sah er seitlich neben dem offenen Hagthor eine Grube ausgeworfen. Und Sigenot kam aus der Hofreut, auf seiner Schulter zwei Schwere, zum Kreuz gefügte Balken schleifend; Wicho mit einer Schaufel und die beiden Sennen mit Beilen und kurzen Pfählen folgten ihm. Sigenot ließ den Kreuzstamm in die Grube gleiten und richtete ihn auf; Wicho schaufelte, und die beiden Sennen trieben rings um das Kreuz die Pfähle in den lockeren Grund. Mit verblüfften Augen sah Wazemanns Knecht den Schaffenden zu. „He, Fischer! Bist denn Du ein Ramsauer worden?“ rief er. „Wäs machst denn da?“

Sigenot blickte auf. „Ich leg’ einen Riegel vor mein Thor und stell’ vor meine Hofreut einen Wächter.“

„Hui, Du“ lachte der Knecht, „vor dem werden die Wölf’ aber laufen im Schnee!“

Die Sennen blickten dem Knechte nach, welcher lachend davonritt; der eine, dem der Bart schon grau war, kratzte sich hinter dem Ohr, lugte an dem Kreuz hinauf und fragte leise: „Wicho, was meinst denn?“

„Ich mein’, was mein Herr meint!“ erwiderte Wicho und stampfte mit den Füßen um das Krenz her die Erde fest. „Was der gered’t hat, ist noch allweil Eisen gewesen. Wenn er sagt: das Holz hilft, so hift’s auch!“

Sigenot war über den Hügel emporgestiegen und hatte die Halle betreten. Mutter Mahtilt saß im Lehnstuhl, Edelrot vor ihr auf dem Herdrand, neben dem flackernden Feuer; ihre Gesichter waren bleich und ernst ... seit dem Morgen kannten sie die Gefahr, die über ihren Häuptern schwebte und über dem Dach ihres Hauses. „Mutter, schau’ hinaus durchs Fenster,“ sagte Sigenot, „schau’ nur: es stehet schon!“

Mutter Mahtilt aber schüttelte den Kopf und wandte die Augen zur Herdflamme; sie griff nach einem Bündel dürrer Kräuter, welches neben dem Herd in einer Ecke lag, zog eine Himmelbrandstaude hervor und warf sie in das Feuer, zu stummen Worten die Lippen rührend. Sigenot atmete tief, und Kummer sprach aus seinen Zügen. „Was rufst Du noch die guten Holden, Mutter? Schau’ hinaus ... von allen Guten der Best’ hat seine Kreuzarm’ wehrend ausgestreckt vor meiner Hofreut! Und sein einschichtiger Arm ist stärker als tausend Männer in Wehr und Eisen. Das hat mir einer gesagt, der die Treu’ ist und der nicht Lügen redet.“

Stumm saß Mutter Mahtilt und legte eine neue Staude in die Flammen, während Sigenot zum Steintisch ging, die Eisenhaube über den Scheitel drückte und mit dem Schwertgurt die Hüften umschloß. Zum Herde zurückkehrend, streifte er mit der Hand über das graue Haar der Mutter und küßte ihre Stirne. „Komm, Rötli!“ Er faßte die Hand der Schwester und verließ mit ihr die Halle. Schweigend, Hand in Hand, stiegen Sie über den Hügel hinunter und traten vor das Hagthor.

„Schau’, da steht es!“ sagte Sigenot, die Schwester zum Kreuze führend. „Jetzt leg’ Deine Hand an das Heilholz!“ Edelrot that es, und über die Hand der Schwester drückte Sigenot die seine. „Jetzt schau’ hinauf und sag’: ‚Mein guter Herre, Du mein Gott!‘“

Edelrots Lippen zitterten. „Mein guter Herre, Du mein Gott!“

Aufatmend legte Sigenot den Arm um Rötlis Schulter. „So, Schwesterlieb, jetzt hadt einen festen Hüter! Jetzt geh’ hinein zur Mutter und bleib’ bei ihr – jetzt thu’ ich ohne Sorg’ den Weg, auf den der Schwur mich ruft!“ Er führte die Schwester zum Hagthor, küßte ihr Haar und schritt der Ache zu.

„Wohin geht er?“ fragte der jüngere der Sennen. Und der ältere murmelte: „Ich mein’ wohl, daß ich es rat’.“ Aber Wicho fiel ihm ins Wort: „Wenn Du’s weißt, so schweig’!“ Der Alte nickte, und seine grauen Augen spähten hinaus an die Ferne, in welcher eine dunkle Waldkuppe aus dem Thal emporstieg, der Totemann.

Sigenot folgte dem Pfad am Ufer der Ache und erreichte den Untersteiner Forst. Da hörte er das Gelärm zweier Hunde. Es waren Reckas Bracken, welche die auf weiter Lichtung gelegenen Achensümpfe durchstöberten. Am Rande des Röhrichts hielt die Wazemannstochter auf ihrem Rappen und spähte mit scharfen Augen über das Schilf, auf erhobener Hand den stillen trauernden Falken. Die Hunde jagten; einzelne Stücke Rotwild, die im Sumpfe Kühlung gesucht, flüchteten dem Walde zu, behängt mit Schlamm und triefend von Wasser. Eine Weile war Stille, dann wieder läuteten die Hunde; es rauschte im Schilf, und eine Kette Rohrhühner stob nach allen Seiten auseinander. Recka enthaubte den Falken und schwang ihn unter lautem Ruf: „Holiiih! Holiiih!“ Edilo schlug wohl mit den Schwingen, aber nur, um den Halt nicht zu verlieren und seine Fänge klammerten sich auf dem Handschuh fest. Erschrocken blickte Recka auf ihren Liebling. Er schüttelte das Gefieder, zog den Kopf zwischen die Schwingen, und während er lechzend den Schnabel öffnete, folgte sein unruhiger Blick den entschwindenden Hühnern.

„Edilo! Mein Trautgesell! Was ist Dir?“ stammelte Recka und ihre Augen wurden naß; sie ließ die Zügel sinken, drückte den Falken an ihre Brust und streichelte ihm Kopf und Schwingen; aber so sacht ihre Hand auch glitt, sie schien den Falken zu drücken, denn er sträubte sich wider die Zärtlichkeit seiner Herrin. Die Hunde jagten und mit ängstlichem Kreischen hoben sich zwei Wildenten über das Röhricht. „Holiiih! Holiiih!“ Mit kräftigem Schwung warf Recka den Falken in die Luft. Edilo taumelte, doch er breitete die Schwingen und begann zu schlagen, flatternd hielt er sich einen Augenblick auf der gleichen Stelle, dann klang sein gellender Schrei, und pfeilschnell flog er den kreischenden Enten nach, welche sich über die Baumwipfel erhoben hatten und dem Schönsee entgegenstrebten. „Er gesundet!“ jauchzte Recka, und auf jagendem Roß, durch aufspritzendes Wasser und brechendes Röhricht folgte sie ihrem Trautgesellen.

Im Schatten des Hochwaldes wanderte Sigenot; er hatte den Pfad verlassen, um die Lichtung zu vermeiden, auf welcher er die Bracken läuten hörte. Da klang über ihm in den Lüften das klagende Geschrei einer Wildente; er blickte auf ... es rauschte und knackte in den Wipfeln und wenige Schritte vor ihm stürzten zwei zum Klumpen geballte Vögel mit dumpfem Fall auf den Moosgrund. Die Flügel gespreizt, den Hals mit offenem Schnabel auf die Erde gestreckt, so lag die Ente im Verenden unter dem Falken, der die eine „Hand“ in ihren Rücken, die andere in ihren Hals geschlagen hatte; er hielt die Schwingen steil erhoben und hackte langsam und matt mit dem Schnabel nach dem Kopf der Ente. Festgebissen hing er an seiner toten Beute, sein Gefieder blähte sich auf, seine zitternden Schwingen fielen, und lautlos sank er in das Moos, mit den scharfen „Händen“ noch verkrampft im Fleische seines Opfers.

„Ihr Liebling!“ Sigenot eilte auf den Falken zu. Aber da sprengte Recka zwischen den Bäumen einher, mit dem zornigen Ruf: „Laß Deine Hand von meinem Falken!“

Die Stirn von dunkler Röte übergossen, trat Sigenot zurück, während Recka aus dem Sattel sprang. Nun sah sie den Falken liegen, leblos. „Edilo!“ jammerte sie und warf sich auf die Knie. Mit zitternden Händen löste sie die Fänge des Falken und rüttelte ihn, als könnte sie ihn gewaltsam wieder zum Leben erwecken! „Edilo!“ Aber die Schwingen des Vogels hingen schlaff, sein Kopf baumelte, und über die erloschenen Augen waren halb die dünnen gelben Lider gefallen. Recka ließ den toten Falken sinken und starrte ihn an. „Mein Einziges, mein Letztes und Liebstes!“ Zähren perlten über ihre Wangen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_223.jpg&oldid=- (Version vom 24.6.2020)