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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


prächtigen Palast. Sie ist von Rietschel modelliert und von Howaldt in Kupfer getrieben. Die früher vorhandene ging bei dem Schloßbrande im Jahre 1865 zu Grunde.

So schlecht die Wasserverhältnisse Braunschweigs sind – es wird darüber mit Recht bitterste Klage geführt – so schön sind die Brunnen, deren sehenswertester der freilich erst aus neuester Zeit stammende Heinrichsbrunnen (mit dem Standbilde Heinrichs des Löwen) vor der Katharinenkirche ist, ein Werk der bildenden Kunst, das mit den besten seiner Art sich messen kann. Der Springbrunnen auf dem Kohlmarkt ist eine aus dem Mittelalter stammende „Wasserkunst“, die aber in neuerer Zeit zum größeren Teile umgestaltet worden ist und das Ueberladene der Spätrenaissance zeigt. Ein schönes Denkmal gotischer Kunst ist dagegen der im Anfang des 15. Jahrhunderts errichtete Brunnen auf dem Altstadtmarkte, der in trefflicher Stilharmonie zu dem Altstadtrathause und der Martinikirche steht.

Es ließe sich noch viel von interessanten alten Häusern mit merkwürdigen Bildwerken (auch der cynisch derbe Humor des Mittelalters ist dabei zur Geltung gekommen) erzählen, von der entzückenden Pracht, welche die Mondscheinbeleuchtung in unseren altertümlichen Gassen und Straßen dem empfänglichen Wanderer darbietet. Auch ein Blick in die Umgebung, auf die nur ein halbes Stündchen entfernte alte Cisterzienserabtei Riddagshausen mit ihrer schönen Kirche würde sich lohnen. Allein, was nützen Beschreibungen bei solchen Dingen, die man selbst anschauen und genießen muß, um sie richtig zu würdigen! Man reist jetzt viel, und jedermann glaubt es seiner Bildung schuldig zu sein, auch einmal in Nürnberg gewesen zu sein, um darüber mitreden zu können. Nun wohl, wer dieses Mekka der Romantiker sehen will, der möge auch Medina nicht unbesucht lassen! Auch in Braunschweig giebt es noch Genüsse, die über Honigkuchen, Schlackwurst und Spargel erheblich hinausgehen!




Die Perle.
Roman von Marie Bernhard.
(7. Fortsetzung.)


Der Wagen, der Herrn von Montrose und dessen Angehörige ihrem künftigen Besitz entgegenführte, war eine richtige Stadtequipage, die Pferde zwei feurige Traber, ganz schwarz, ohne Abzeichen, der Kutscher ein graublonder Engländer, der tadellos fuhr und in korrektester Haltung auf seinem hohen Sitz thronte.

Im Fond des Wagens lehnte Herr von Montrose in seiner vornehmen, ein wenig lässigen Weise, die Augen halb gesenkt, gleichwohl die ganze Umgebung beobachtend, nichts außer acht lassend. An seiner rechten Seite saß seine Tochter Clémence, ein etwa zweiundzwanzigjähriges Mädchen, höchst elegant und für eine Fahrt über Land nicht ganz zweckmäßig in helle Seide gekleidet, ein reizendes Spitzenhütchen auf dem Kopf, einen kostbaren Spitzenschirm in der Hand. Trotz ihrer Jugend und Eleganz konnte man aber Clémence von Montrose nicht hübsch nennen, die Offiziere in St. hatten recht. Ein farbloses eckiges Gesicht, unruhige graue Augen, spärliches strohblondes Haar, eine oft bemerkbare Falte zwischen den Brauen und einen Mund, der auf starke Leidenschaftlichkeit deutete. Ihr gegenüber saß ihr Verlobter, der „schöne“ Botho von Jagemann, auch heute, da er sich nicht in Uniform befand, eine auffallend gute männliche Erscheinung, brünett, die Züge groß und regelmäßig geschnitten. In seiner Haltung wie im Ausdruck seiner Augen lag etwas Erzwungenes; er hörte verbindlich seiner Braut zu, die lebhaft auf ihn einsprach, und beantwortete ihre vielfachen Fragen so gut er konnte. Dann und wann streifte sein Blick scheu über seinen zukünftigen Schwiegervater hin, der sich nicht an dem Gespräch beteiligte. Wie ein glücklicher Bräutigam sah Botho nicht aus.

Georges von Montrose, gleichfalls in Zivil, ein hübscher blonder Mann, in dessen Gesicht nur der zudringliche, gleichsam alles in Besitz nehmende Blick der kalten grauen Augen störte, unterhielt sich damit, beim Vorüberfahren Blätter von den Bäumen am Wegrande abzureißen, sie in Fetzen zu zerpflücken und in den Wind zu streuen. An dem Gespräch des Brautpaars beteiligte er sich nur selten durch ein hingeworfenes Wort oder ein Achselzucken. Die ganze Fahrt langweilte ihn – seines Vaters Gutskauf interessierte ihn nicht im geringsten. Erwartete der Alte etwa, daß er fortan jeden Urlaub da draußen zwischen Kartoffelfeldern und Runkelrüben zubringen, daß er gar eines Tages selbst hier seinen Acker pflügen und seinen Kohl bauen sollte? Gräßlicher Gedanke! Aber einstweilen hieß es für Georges, den liebenswürdigen gehorsamen Sohn spielen, denn er war völlig abhängig von seinem Vater und wußte recht gut, daß mit diesem nicht zu scherzen war. Das hatte ihm seine Versetzung von Berlin hierher in dies „Nest“ bewiesen. Herr von Montrose hatte seinem Sohne kurz und trocken geschrieben, daß ein längerer Aufenthalt in der Reichshauptstadt ihm nicht dienlich sei, es fehle ihm die nötige Mäßigung und Selbsterziehung. Darauf war die Versetzung erfolgt, die Montrose für seinen Sohn erbeten hatte. Dieser hatte damals vor ohnmächtiger Wut geschäumt – er fand sich überaus schätzenswert, wenn er mit genauer Not, ohne sich strenge Rügen von seinen Vorgesetzten zuzuziehen, seinen Dienst versah, denn das war wahrlich schon Plage genug! Aber da man am Ende doch etwas „vorstellen“ mußte, ging es so noch am besten. Daneben „amüsierte“ er sich natürlich nach Kräften. Und nun diese Bevormundung, dies tyrannische Verfügen über ihn! Der Vater war doch ohne Zweifel schwer reich – freilich, wie reich, das wußten seine Kinder nicht, er hütete sich wohlweislich, sie einen Einblick in seine Vermögensverhältnisse gewinnen zu lassen! Da konnte es ihm doch auf ein paar tausend Thaler jährlich mehr für seinen einzigen Sohn nicht ankommen! Aber eben, es kam ihm ganz entschieden darauf an, und Georges mußte sich fügen. Daß er dies mit heimlichem Zähneknirschen that, schien sein Vater nicht zu beachten. Der junge Mann hatte sich nun in St. „zur Not“ eingelebt, hatte natürlich auch hier nicht aufgehört, sich zu amüsieren, denn das gehörte nach seiner Meinung notwendig zu seinem Dasein. Neue Schulden waren das Ergebnis gewesen, und Herr von Montrose hatte sie gleichmütig beglichen, mit der kurzen geschäftsmäßigen Bemerkung gegen seinen Sohn, daß er ihm diese Summe von seinem mütterlichen Erbe abgezogen habe. Empörenderweise hatte nämlich die Mutter ihren Gatten zum Vormund der Kinder eingesetzt und ihm den Nießbrauch ihres Vermögens zur freien Verfügung überwiesen – die Kinder waren mithin ganz abhängig vom Vater. Dadurch, daß Herr von Montrose die „Perle“ kaufen wollte, ein Gut, dessen ungefähren Wert man in den militärischen Kreisen recht gut zu schätzen wußte, war Georges in stand gesetzt, auf die väterlichen Verhältnisse einen Rückschluß zu ziehen, der ihn umsomehr mit stummem Ingrimm erfüllte, je weniger er den Vater seinen Ansprüchen geneigt fand.

Zwischen diesem Vater und diesen Kindern hatte es niemals ein inniges, kaum je ein leidlich gutes Verhältnis gegeben. Frau von Montrose war gestorben, als Georges zwölf, Clémence acht Jahre zählte; sie hatte beide Kinder in unvernünftiger Weise verhätschelt und ihnen jede Laune erfüllt, denn sie war eine schwache charakterlose Frau gewesen, die einzige Tochter ihrer in Pernambuco lebenden Eltern und die Erbin eines enormen Vermögens. Sie war gewöhnt, alles zu erhalten, was sie sich nur wünschte, und war daher auch weiter nicht erstaunt, Eugéne von Montrose, der ihr über die Maßen gefiel, zum Ehemann zu bekommen. Als sie sich aber außerdem auch noch seine leidenschaftliche Liebe wünschte und mit aller Heftigkeit ihres unerzogenen Naturells auf diesem Wunsch bestand, da mußte sie es erleben, daß dieser Artikel nicht zu erlangen war. Ihr Gatte behandelte sie rücksichtsvoll, umgab sie mit allem Luxus, aber ihrem unermüdlichen Werben um seine Liebe setzte er einen ebenso unermüdlichen Widerstand entgegen. Sie geriet in Verzweiflung, machte ihm die aufregendsten Scenen und verleidete ihm so vollends die Häuslichkeit. Dann kamen auch wieder Stunden der Selbstanklage über die Frau, sie bereute ihre Leidenschaftlichkeit, zerfloß in Thränen und bettelte auf den Knien um ein zärtliches Wort, eine Liebkosung ihres Mannes. Solcher Auftritte entsannen sich die Kinder noch recht wohl; sie wuchsen inmitten dieser Verhältnisse auf, sahen und hörten hundert Dinge, die ihnen noch jahrelang hätten verborgen bleiben müssen,

und wußten, daß ihre Eltern in unglücklichster Ehe miteinander

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_127.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)