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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 6.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Straßenbild aus dem alten Pompeji.
Nach einem Gemälde von R. Bompiani.

Die Martinsklause.
Roman aus dem 12. Jahrhundert.
Von Ludwig Ganghofer.
(5. Fortsetzung.)


8.

Sigenot überschritt auf dem Heimweg die Achenbrücke. Das Wasser rauschte und klatschte im wogenden Schilf, und der wirbelnde Sturmwind trieb den weißen Schaum über das Ufer. Kein Regen fiel, aber ohne Unterlaß rollte der Donner, und in schneller Folge zuckten die Blitze über das Gewölk. Thal und Berge leuchteten auf in grellem Glanz, um jählings wieder in tiefes Dunkel zu versinken. Zwischen den Bäumen, welche ächzten unter der Wucht des Sturmes, lag, wenn die blendende Blitzhelle erlosch, so schwarze Finsternis, daß Sigenot den Weg nur tastend fand. Als er das Hagthor seines Hauses erreichte, hörte er aus der Nähe des Stalles die kreischende Stimme der Magd. „Wicho! Heidoooh! Wicho!“ Und aus dem Inneren des Hauses klang Mutter Mahtilts schrilles Gelächter. Sigenot erschrak, denn er kannte die Sprache dieses Lachens, und eilte hastig über den Hügel empor. Matter Feuerschein leuchtete aus der offenen Hausthür. Der Fischer trat in eine weite Halle, welche Flur, Wohnstube und Küche in einem war. Die Balken der Decke waren berußt, und quer unter dem offenen Rauchfang hing die Bretterklappe, welche durch einen Kettenzug geschlossen werden konnte, um die Wärme im Raum zurückzuhalten oder dem Eindringen des Windes zu wehren. Eine Thüre führte in Sigenots Kammer, eine zweite in die Schlafstube seiner Mutter und Schwester. Zwischen den beiden Thüren war der niedere offene Herd an die Balkenwand angebaut; über ihm, auf schmalem schwarz berußten Gesims, standen die den Herd beschützenden Alraunen und geschnitzten Feuermännlein. Auf der Herdstatt flackerte, den dampfenden Dreifuß umzüngelnd, eine rauchlose Flamme. Ihr Schein beleuchtete Sigenots Mutter, welche neben dem Herd in dem mit einem Wolfsfell überhängten Lehnstuhl saß. Das Kleid aus gelblichem Hanftuch und die regungslose Ruhe der gelähmten Füße gab ihrem Körper den Anschein eines steinernen Bildes. Aber die Arme waren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_085.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2021)