Seite:Die Gartenlaube (1894) 037.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Nr. 3.   1894.
      Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Abonnements-Preis: In Wochennummern vierteljährlich 1 M. 75 Pf. In Halbheften, jährlich 28 Halbhefte, je 25 Pf. In Heften, jährlich 14 Hefte, je 50 Pf.


Die Martinsklause.
Roman aus dem 12. Jahrhundert.
Von Ludwig Ganghofer.
(2. Fortsetzung.)


4.

Sigenot hatte die Angelrute und das hölzerne Lägel, welches schwer war und von Wasser troff, von der Erde aufgenommen. Da stand Eberwein vor ihm. „Du bist Sigenot der Fischer?“

Sigenot nickte nur; seine Brauen zogen sich zusammen, sein Auge hing mit forschendem Blick an Eberweins Zügen. Bruder Schweiker kam herbeigegangen, neugierig mit gutmütigem Lächeln – der Fischer schien ihm zu gefallen.

„Ich habe schon gehört von Dir!“ sagte Eberwein. „Und Gutes! Hier, meine Hand zum Gruß!“

Sigenot rührte keinen Finger; es zuckte nur um seine Lippen, dann entgegnete er: „Ich biet’ meine Hand nur einem, mit dem ich gut bin. Von Dir weiß ich nicht: bist mir Feind oder Freund?“

„Ich bin aller guten Menschen Freund, also auch der Deine.“

Der Fischer schüttelte den Kopf. „Ich kenn’ Dich nicht, und bei mir macht eine linde Red’ noch keine Freundschaft.“

Schweiker bekam einen roten Kopf. „Laß Dir raten, Fischer: red’ ein lützel sanfter! Und nimm die Hand! Der sie Dir bietet, ist Dein neuer Herr!“

Sigenot trat einen Schritt zurück und maß den Bruder vom Kopf bis zu den Füßen. „Ich versteh’ Deine Red’ nicht.“ Schweiker wollte erwidern, doch Eberwein legte die Hand auf seinen Arm und winkte ihm zu schweigen. „Wie kann da ein neuer Herr sein, wo kein alter gewesen ist?“ sagte der Fischer. „Ich sitz’ auf einem Haus, das nie gezinset und gesteuert hat, und die Fischenz ist mein freies Eigen – ich hab’ keinen Herrn.“

Lächelnd blickte Eberwein in Sigenots Augen. „Das mag ich nicht glauben, Fischer.“

„Ich sag’, ich hab’ keinen Herrn, und meine Red’ ist wie Stein.“

„So wär’ auch jener Dein Herr nicht, der aller Menschen Herr ist, alles Lebens Schöpfer und Erhalter – jener Eine dort oben?“

„Der?“ Mit sinnendem Blick hob Sigenot die Augen empor zum blauen sonnleuchtenden Himmel. „Wohl wohl, den laß’ ich mir schon gefallen als Herrn – wenn’s derselbig’ ist, den der alte Hiltischalk in der Ramsau meint. Aber ich glaub’ schier, es müssen Zwei sell droben hausen: dem Hiltischalk der seinig’ und der ander’ … derselbig’, den der Schwarze mit dem Kreuz gemeint hat.“ Sigenot winkte mit dem Kopf gegen die Bäume, in deren Schatten Waldram verschwunden war. „Derselbig’, der die Pferd’ scheu macht und die Weiber zornig, wenn von ihm gered’t wird, der gehört schon Euch – wenn ich denk’, ich müßt’ da droben einen Herrn haben, so halt’ ich zu dem, den der Hiltischalk meint. Und jetzt laß’ nach in Fried’, ich muß meiner Fischweid nach!“ Er nickte einen stummen Gruß, ließ die Angelschnur durch die Finger gleiten und schritt dem Ufer der Ache zu.


Der zerstörte Liebesbrief.
Nach einem Gemälde von M. Stocks.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_037.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2021)