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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Zwei Kinder hatte der alte Graf Sabran, als er in Reims bei der Krönung Ludwigs XVI. im Juni 1775 vom Schlage gerührt wurde, seiner jungen Gattin hinterlassen, einen Sohn Namens Elzear und eine Tochter, Delphine. Frau von Sabran ward durch ihre Neigung für die Genüsse einer Weltdame nicht abgehalten, sich ihren beiden Kindern mit mütterlicher Liebe zu widmen. Delphine wurde zwar, wie es die Sitte erheischte, einem Kloster zur Vollendung ihrer Erziehung übergeben; doch nahm die Mutter sie frühzeitig wieder zu sich, um die verheißungsvoll erblühende Rose in dem Sonnenschein und der Luft ihres Hauses und seines gesellschaftlichen Lebens sich entfalten zu lassen.

Mit der Eitelkeit einer jungen Mutter, die immer von Verehrern umschwärmt war, immer etwas wie für ihren Geist so auch für ihr Herz bedurfte, verfolgte sie die Entwicklung ihrer Tochter. Selbstverständlich plante sie eine glänzende Verheirathung derselben.

Delphine, am 18. März 1770 in Paris geboren, trat in ihr sechzehntes Jahr, es war also Zeit für die Brautkrone. Der Sitte gemäß hatte die Mutter den ihr geeignet erscheinenden Gemahl für ihre Tochter zu suchen. Gräfin Sabran lernte einen hohen und mit Ehren genannten Offizier der königlichen Armee kennen, den Marquis von Custine, und mit ihm zugleich seinen achtzehnjährigen Sohn Philipp. Dieser bot eine vortreffliche Partie für Delphine, denn die Custines gehörten zu den ersten Familien Lothringens und waren bei Metz sehr begütert; jedes der beiden Kinder des Marquis hatte auf ein Vermögen von 700000 Livres mütterlicherseits zu rechnen.

Die Unterhandlungen begannen, und in der That wurde der Marquis für die Verbindung beider Familien gewonnen. Die jungen Leute faßten überdies Neiguug zueinander. Philipp von Custine war ein trefflicher, ernster, hochbegabter junger Mann, der Delphinens holde Anmuth zu würdigen wußte, und sie mit ihrem kindlichen Sinn konnte in ihm wohl das Ideal eines Mannes finden, an dessen Seite sich glücklich leben ließ. Am 22. Juli 1787 fand die Trauung in Anisy statt. Der bischöfliche Oheim gab dabei nicht nur den Segen, sondern seiner Nichte auch 200000 Livres Mitgift. Die Hochzeit wurde gefeiert mit ländlichen Festen à 1a Trianon, wie Marie Antoinette sie in Mode gebracht hatte. In arkadischer Idylle verlebte das junge Ehepaar seine ersten Jahre, und die junge Frau schwelgte in der Wonne, welche ihr das neue Dasein bot. Gab es einen Verdruß für sie, so war es höchstens der über die wiederholte längere Abwesenheit ihres Mannes, wie sie dessen diplomatischer Dienst und seine Pflicht, als Abgeordneter der Nationalversammlung, zu welcher er ebenso wie sein Vater gewählt worden war, manchmal mit sich brachte. Wie klein aber war dies Wölkchen an ihrem Himmel, während dunkel und mächtig schon die Wetterbank der Revolution am Horizonte emporstieg!

In Anisy machte man sich darüber keine Sorgen.

Die ersten Blitze zuckten, die Donner der neuen Zeit ließen jene Gesellschaft erbeben, die durch alte Privilegien, Reichthum und Genuß geistiger wie sinnlicher Art sich ein Paradies auf Erden zu schaffen gesucht hatte. Es floß Blut in Paris; wilde Sturmstöße riefen Schrecken und Angst hervor, und das Flüchten der Vorsichtigen aus der königlichen Umgebung begann. Auch die Gräfin von Sabran ließ sich von ihrer Tochter nicht mehr zurückhalten und floh mit dem heimlich ihr vermählten Marquis von Boufflers nach Rheinsberg zum Prinzen Heinrich von Preußen, ihrem und ihres Mannes Gönner. Der Krieg brach aus. Der Marquis von Custine zog als General mit den Revolutionstruppen siegreich über den Rhein bis nach Mainz und Frankfurt, und mit ihm zog in patriotischer Begeisterung als sein Adjutant sein Sohn, der Gemahl Delphinens.

Sie beunruhigte sich über dies alles nicht. Die Idylle, welche seit dem Tage ihrer Hochzeit dank der Sorgfalt ihrer Mutter und der Aufmerksamkeit ihres Gatten sie umgab, war wie etwas Unantastbares, wie eine geweihte Oase in der Welt, die ringsum zur Wüste wurde. Ja, die Mutterfreude über den ihr geschenkten Sohn Astolfe vermehrte und vertiefte noch das Glück der reizenden juugen Frau. Der bischöfliche Oheim sorgte für alles, was die von ihrem Gatten und ihrer Mutter Verlassene an gewohnter gesellschaftlicher Unterhaltung bedurfte. Es gab bei der kleinen heiteren liebenswürdigen Marquise Besuche nach wie vor, noch aus den Kreisen, die zur alten Gesellschaft gehörten, liebliche Feste, geistreiche Abendunterhaltungen, verliebtes Necken, galante Huldigungen. Und während der französische Feudalstaat schon in allen Fugen krachte, die jäh unter vulkanischen Stößen aufklaffenden Abgründe schon den Thron verschlangen – in Anisy herrschte noch der sorglose Sinn der alten Zeit, und man ahnte kaum, daß eine furchtbare Umwälzung begonnen hatte.

„Man ist hier sehr wohl,“ schrieb Delphine ihrer Mutter; „ich versichere Sie, man vergnügt sich sehr viel.“


Auf einmal schlug der Blitz auch in dieses Arkadien. Der General Custine hatte Mainz wieder aufgegeben und sich zurückgezogen; die Jakobiner schrieen Verrath und klagten ihn im Konvente an. Er eilte nach Paris, um sich zu rechtfertigen. Vergebens! Er hatte Mainz preisgegeben und darum war er ein Verräther an Frankreich. Die Guillotine war längst mit dem Blute des Königs gefärbt und stand auf dem Revolutionsplatz, um täglich ihre blutige Arbeit an den Feinden der Republik verrichten zu können. Jedem Verdächtigen drohte der Tod. Am 22. Juli 1793 wurde Custine verhaftet und vor das Revolutionstribunal verwiesen, wo der fauatische Ankläger Fouquier-Tinville bereits allmächtig geworden war.

Voller Bestürzung darüber kam Philipp von Custine nach Paris, um den Vater zu retten. Delphine eilte, sich mit ihrem Gatten zu verbinden. Und derart aufgestört aus ihrem häuslichen Glücke, begriff sie sofort, daß es sich darum handelte, den Henker von den Ihrigen abzuwehren. Aus der graziösen jungen Frau von 23 Jahren wurde eine zum Kampf entschlossene Heldin.

Delphine lief zu allen, die sie kannte und von deren Verwendung sie sich einen günstigen Einfluß auf das Geschick ihres Schwiegervaters versprach. Sie täuschte sich. Die Großen von früher galten nichts mehr und standen selbst unter dem Damoklesschwert. Neue Menschen regierten, übten die Macht, führten die Prozesse, fanatische, niedrige, blutgierige Menschen. Auch zu ihnen brach sich das tapfere Weib den Weg, es suchte die Richter auf, steckte Gold über Gold in die Hände derer, die vielleicht etwas thun konnten, den General seinen Henkern zu entziehen. Sie drang bis zu seinem Gefängniß vor, setzte sich über die Rohheiten hinweg, mit denen man ihr hier begegnete, wartete auf dem schmutzigen Flur, bis er seine Zelle verlassen durfte, und warf sich ihm dann schluchzend an die Brust. Laut vor den Wächtern und Pikenträgern sprach sie für seine Unschuld. Tag um Tag that sie es, in und vor dem Gefängniß, so daß sie dort eine bekannte Erscheinuug wurde.

„Das ist die Custine!“ hörte sie um sich her. „Bald wird’s ihrem Vater an den Hals gehen!“

Man hielt sie für die Tochter des Generals.

Im August wurde sein Prozeß mehrere Tage lang im Saale des Justizpalastes verhandelt. Sie wußte es möglich zu machen, den Sitzungen beizuwohnen. Inmitten des Gedränges der Zuhörer, die alle meist der müßiggängerischen Bande der Sansculotten und ihrer Weiber angehörten, in der erstickenden Luft hockte sie auf einem Platz, den sie sich vom Gerichtsdiener theuer erkauft hatte. Ihr Anblick rührte und tröstete den General; er konnte auch zuweilen Worte mit ihr wechseln.

Ingrimmig verfolgten sie einmal Pöbelmassen, als sie den Justizpalast verließ. Sie war ja eine „Aristokratin“, schon darum des Hasses und der Beschimpfung werth. Eilig schritt sie durch die böse Menge vor dem Gerichtshause, um den Miethwagen zu erreichen, der in einer Nebenstraße auf sie wartete. Man drängte sich murrend näher an sie heran; kreischende Weiberstimmen riefen ihren Namen wie ein Losungswort zum Angriff. „Das ist die Custine, die Tochter des Verräthers!“ Flüche erschollen, drohende Fäuste erhoben sich dicht vor ihrem Auge, Säbel funkelten in der Luft. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe vor Angst; sie sah sich bereits gepackt und ermordet, ihren blutigen Kopf auf einer Pike durch die Straßen getragen wie den der unglücklichen Prinzessin von Lamballe und so mancher anderer Opfer der entfesselten Blutgier.

Eine Schwäche, und sie war verloren. Sie wußte es und darum hielt sie sich aufrecht. Verzweiflungsvoll aber schaute sie um sich, wie sie vor der wilden Bande sich retten könne. Da

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 860. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_860.jpg&oldid=- (Version vom 22.7.2023)