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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Die Verarbeitung der Kohlen im Ruhrgebiet.

Mit Abbildungen von Ewald Thiel.

Auf Grund der verschiedensten Berechnungen haben die Gelehrten geschlossen, daß in einer nicht allzufernen Zeit die letzten schwarzen Diamanten dem Schoß der Erde entnommen und durch unsere und voraussichtlich auch unserer Nachkommen Leichtlebigkeit in Form von Kohlensäure und leider auch als Rauch der Atmosphäre zurückgegeben sein werden. Auch sie gehen dahin zurück, von wo sie genommen sind, soweit wenigstens, als sie menschlichen Händen erreichbar und für die Gewinnung lohnend erscheinen. Wenn alsdann ein Geschichtschreiber nach ein paar Schlagwörtern suchen wird, um die Faktoren zu bezeichnen, welche um die Wende des 19. Jahrhunderts das Kulturleben der Völker beherrschten, so wird er wohl die beginnende Herrschaft der Elektricität hervorheben müssen, die zutreffenden Ausdrücke aber werden Kohle und Eisen sein. Und Kohle noch in höherem Sinne als Eisen. Wir können uns wohl eine Kohlengewinnung in großem Stil vorstellen, ohne die gewaltige Entwicklung der Eisenindustrie unserer Tage, nicht jedoch die massenhafte Eisenproduktion ohne Kohle. Kohle ist angehäufte Kraft in schlummerndem Zustande, welche aber jeden Augenblick durch den Verbrennungsprozeß aufgeweckt zu werden vermag. So ist der Kohlenbergbau das belebende Element für jede Großindustrie.

Diese und ihnen nahestehende Gedanken dürften in dem Jahrhundert der Technik und der Naturwissenschaften Gemeingut aller Gebildeten sein. Weniger allgemein bekannt jedoch pflegt es zu sein, daß ein großer Theil der aus dem Erdinnern herausgeholten Kohle vor dem Verbrauch eine Reihe von Vorbereitungsarbeiten durchzumachen hat, so daß die in den Handel kommenden Formen der Kohle bereits die Bedeutung eines Fabrikats erlangt haben. So bringt eine große Zeche des Ruhrgebietes, welche mit einer Belegschaft von 1800 Arbeitern täglich 24 000 Centner Kohlen gewinnt, nur 6000 Centner als „Förderkohle“, d. h. in der Form, wie sie aus dem Schacht gehoben werden, zum Verkauf. Die übrigen 18 000 Centner werden erst einer umfangreichen Bearbeitung unterworfen. Diese „Aufbereitungsanstalten“ machen den „über Tage“ liegenden Theil einer Zeche vielleicht noch sehenswerther als die bekannteren Einrichtungen, welche die Förderung der Kohle aus dem Schacht, die Entfernung des Grubenwassers, die Lüftung der unterirdischen Bauten etc. zum Zweck haben.

Noch vor etwa 20 Jahren war von einer Aufbereitung der Kohlen nur in ganz beschränktem Sinne die Rede. Man fand wohl hier und da Siebe, welche die Kohlen in Sorten von verschiedener Stückgroße zerlegten, so wie sie für besondere Verwendungsarten sich vorzugsweise eigneten. Die heutigen ganz gewaltig vervollkommneten Einrichtungen sind, wie so häufig, ein Ergebniß der Noth, des Kampfes ums Dasein. Als in den siebziger und achtziger Jahren die große Geschäftsstille eintrat, als die Menge der geförderten Kohlen die Nachfrage weit überstieg und die Preise soweit herabgingen, daß von einem Gewinne nicht mehr die Rede sein konnte – hat es doch Zeiten gegeben, in denen der Preis auf den fünften Theil des jetzigen Werthes herabgesunken war – da suchten einzelne Zechen einen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern dadurch zu gewinnen, daß sie den Abnehmern eine Ware von außergewöhnlicher Reinheit und diese noch in einer Sortierung der Stücke darboten, welche den Wünschen der Kunden in weitgehender Weise entgegenkam.

Am Förderschachte.

Natürlich wuchsen dadurch die Ansprüche des Publikums, und gleichzeitig wurde auch die Konkurrenz zu denselben Einrichtungen gezwungen. Soweit kam es wohl nicht, wie uns auf einer Zeche scherzhaft gesagt wurde, daß die Käufer jedes Stück Kohle – jede „Nuß“ – für sich in Watte verpackt und in Seidenpapier gewickelt verlangten: richtig jedoch ist, daß kleine Steinchen, die in der Kohle zurückgeblieben waren, auf dem Wege der Beschwerde als corpus delicti mit Postpaket den Zechen eingesandt worden sind. Diese Fluth der Ansprüche hat sich gegenwärtig verlaufen. Was sie jedoch erzeugt hat, ist geblieben, nämlich ein hoher Grad von Vervollkommnung in der vorbereitenden Verarbeitung der Steinkohle. Diese mag im Folgenden betrachtet werden.

Ein Förderschacht enthält zwei Räume – „Trümmer“ – in denen sich zwei eiserne Gestelle, „Förderkörbe oder Förderschalen“, an kräftigen Drahtseilen auf- und abwärts bewegen. Jedes Gestell, selber etwa 2000 bis 3000 kg schwer, pflegt 4 bis 8 kleine Förderwagen zu tragen, von denen jeder etwa 300 kg wiegt und etwa 500 kg Kohle aufzunehmen vermag. An beiden Seiten der Förderschale sehen wir noch die sogenannten „Fangeinrichtungen“, dazu bestimmt, wenn ein Seilbruch eintreten sollte, das Gestell auch dann noch an den Führungsbalken, zwischen denen dasselbe auf und ab gleitet, zum Stillstand zu bringen und vor dem Fall in die Tiefe – die tiefsten westfälischen Kohlenschächte erreichen jetzt über 700 Meter – zu bewahren.

Wir stellen uns vor den Schacht und sehen zu unserer Rechten ein Fördergestell heraufsteigen. Dasselbe trägt mit Kohlen gefüllte Wagen. Die Arbeiter ziehen dieselben herunter, fast gleichzeitig schieben andre Arbeiter leere Wagen wieder an deren Stelle, und die Förderschale versinkt in die Tiefe, um, dort angelangt, ihre leeren Wagen wieder durch gefüllte zu ersetzen. Nach kurzer Zeit taucht zu unserer Linken ein Gestell, wieder mit gefüllten Wagen, empor, um wie das vorige behandelt zu werden. Das Spiel wiederholt sich so in kurzen Zwischenräumen; jedesmal werden etwa 2000 bis 4000 kg Kohlen ans Tageslicht heraufgehoben. Die durchschnittliche Schachttiefe kann man etwa zu 400 Metern annehmen – 100 Meter mehr oder weniger spielen hier keine entscheidende Rolle; dieselbe kann von dem Fördergestell, welches etwa 9 Meter in der Sekunde durcheilt, bequem in einer Minute durchmessen werden, und ebensoviel Zeit mag das Herausziehen der vollen und das Nachschieben der leeren Wagen beanspruchen. Der Leser vermag nun selber auszurechnen, wie ein solcher Schacht stündlich 6 bis 12 Doppelwaggons Kohlen, jeden zu 10 000 kg, zu fördern vermag.

Verfolgen wir nun die gewonnenen Kohlen auf ihrem weiteren Wege! Ein Theil derselben, „Förderkohle“ genannt, wird sofort auf eine geneigte Ebene entleert und gleitet ohne weiteres in untergestellte Eisenbahnwagen – jede Zeche hat ihre besonderen Anschlußgeleise an die Eisenbahn –, um den Verbrauchsstellen zugeführt zu werden. Der Inhalt der meisten Wagen jedoch wird auf ein schwach geneigtes Sieb, „Rätter“, gestürzt, welches Löcher von 80 mm Weite enthält und durch regelmäßige Stöße fortwährend in Erschütterung versetzt wird. Nur die größeren Stücke vermögen über diese Oeffnungen hinwegzugleiten. Ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_848.jpg&oldid=- (Version vom 13.2.2023)