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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Ein heißes Erröthen ging über sein Gesicht, als er des jungen, romantisch angehauchten Lieutenants gedachte, der vor Jahren seinen letzten Weihnachtsurlaub in diesem Hause verlebte, in das ihn nun gerade heute der Zufall –

Der Zufall? Hans, großer Hans, hast du da draußen auch gelernt, zu lügen?

Wer hatte ihm den Reiseweg vorgezeichnet, der ihn gerade heute durch dieses Städtchen führte? Wer und wo erwartete man ihn so dringend? Auf seinem Gute mit dem einsamen Herrenhaus? Er hatte seine Ankunft nicht gemeldet, und, schwerlich würden sich selbst in diesem Falle der mürrische Inspektor und die bequeme „Gutsmamsell“ zu irgend welchen Empfangsfeierlichkeiten verstanden haben. Hatte sich doch auch ihr wunderlicher alter Herr, so lange er lebte, nie um den armen jungen Mann gekümmert, trotzdem er sein einziger Verwandter war! Daß Hans nach seinem Tod sein Erbe wurde, war keinem überraschender gekommen als diesem selbst. Keinem aber auch gelegener – hatte er nun doch einen Grund gehabt, in die alte Heimath zurückzukehren.

Heimath!

Alle Glocken seiner Jugend hatten in dem einen Wort zusammengeklungen. Und daß er sie nun wiedersah im Winterschmuck, im weißen Feierkleid der Weihnachtszeit! „O Weihnacht! Deutsche Weihnacht!“

Hans schüttelte den Kopf und blickte hinaus. Die von Millionen Kinderherzen herbeigesehnte Dämmerung war da, nur noch im Westen schimmerte ein leiser Strahl des geschiedenen Tages. Ihm dünkte, daß es seine Kindheit wäre, seine Jugend, das Glück, das ihm einmal gewinkt und das er nicht errungen hatte.

In diesem Augenblick endete die kurze Stille, die im Nebenzimmer eingetreten und nur gelegentlich durch ein entzücktes leises „Ah!“ oder ein: „Duck ’mal!“ unterbrochen worden war. Drüben wurde lebhaft eine Thür aufgerissen und eine helle Frauenstimme rief in das Zimmer:

Hier find’ ich Euch? Seid wohl schon längst wieder da und habt inzwischen die Tante wieder recht gequält?“

„Mama! Mama! Ist’s fertig? Dürfen wir jetzt kommen?“

„Bewahre, Kinder! Aber werft mich nur nicht um! Erst wollen wir zusammen Kaffee trinken. Inzwischen wird es richtig Nacht, und dann – –“

„Hurra, erst Kaffee trinken – dann kann’s losgehn!“

„Ja! Aber nun geschwind ins Wohnzimmer! Papa sitzt schon am Tisch, der schenkt Euch ein.“

Im Handumdrehen war die kleine Schar davongestoben, und Hans hörte, wie „Mama“ zu „Tante“ trat.

„Kann man Dich endlich allein haben, ohne diese Kletten?“ rief sie mit einem Seufzer komischer Erleichterung, um dann ernster fortzufahren: „Den ganzen Tag geh’ ich um Dich herum – ich wollte Dich fragen, ob Du es erlaubst, daß wir den Doktor – er wäre so glücklich, wenn –“

„Ihr habt ihn eingeladen?“

„Nicht doch, und wenn Du es nicht willst, geschieht’s auch nicht. Obschon er einen dauert – so allein am Weihnachtsabend. Und Du, ein Mädchen, so geschaffen, einen Mann glücklich zu machen –“

„Als ob wir nur dazu da wären!“

„Nein, das sind wir nicht – aber sieh, der Doktor –“

„Lucie!“

Es war etwas schmerzlich Vorwurfsvolles in dem Ausruf, das den Hörer wunderlich bewegte; die Sprecherin jedoch fuhr munter fort:

„Nun ja, ich bin schon still, still wie ein Fisch. Obgleich ich Dich nicht begreife. Sag’ mir nur, auf wen Du wartest. Sitzest Du nicht hier wie weiland Frau Penelope inmitten ihrer Freier? Was gilt’s, Du hast auch einen Schwur gethan wie jene vielgerühmte Mustergattin des durchaus nicht immer musterhaften Herumstreichers! Wie Du roth wirst! Hab’ ich’s errathen? Und da ist ja auch die ewige grüne Börse, die nie fertig wird, so oft Du auch vor Weihnachten daran häkelst oder so thust, als ob Du daran häkeltest – – was hat’s denn für eine Bewandtniß mit dem Ungethüm?“

„Lucie!“

„Wie, Thränen? Nicht dran rühren? Das wird ernsthaft! So steckt hier wirklich etwas dahinter? Etwas, was Dich unglücklich macht? Denn Du magst sagen, was Du willst – glücklich bist Du nicht. Oder hältst Du mich für so – so oberflächlich, daß ich das nicht merken sollte? Und hast Du denn gar kein Vertrauen zu mir? Bin ich nicht Deine treueste und beste Freundin?“

„Die einzige! Ach, wenn ich Euch nicht hätte, Dich und die Kinder –“.

„Hab’ nur ’mal eigene! Aber sprich, was ist’s eigentlich mit dieser Häkelei?“

„Lach’ mich nicht aus … vor Weihnachten such’ ich mir jedesmal die Arbeit, will sie fertig machen, an irgend wen verschenken, und – kann es nicht, weil sie – nein, nicht sowohl die Arbeit als der kleine Seidenrest auf dem Karton – er ist – so eine Art von Andenken an – doch horch! Dein Mann ist drüben in der Stube!“

„Mein Mann in seiner Stube? Heut’ am Weihnachtsabend? Denkt nicht dran, den lassen schon die Kinder nicht los! So, so – ein Andenken? An wen denn, Serena?“

Hans, der schon seit mehreren Minuten, die Hände krampfhaft um die Armlehnen geklammert, in fieberhafter Erregung dagesessen hatte, sprang bei der Nennung dieses Namens mit einem halb erstickten Ausruf in die Höhe. Schon bei Erwähnung der grünen Börse hatte es in seinen dunklen Zügen gezuckt, jetzt stand er und starrte wie ein Trunkener auf die Tapete, hinter der die beiden Stimmen weiter sprachen.

Im nächsten Augenblick besann er sich, daß er schon längst seinen Lauscherposten hätte verlassen müssen, daß er nicht länger zaudern dürfe, wollte er nicht alles Zartgefühl verleugnen. Und hoch aufathmend eilte er aus dem Zimmer. Er wußte, wo der Freund zu finden war, nun mußte er eine Unterredung mit ihm haben – einerlei, ob auch seine ganze Weihnachtsordnung darüber umgeworfen wurde.

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Es war ein schmales einfenstriges Kabinett, zu Wartezwecken für bevorzugte Klienten von dem größeren Empfangsraum abgetheilt, in dem die beiden Freundinnen jetzt unwillkürlich leiser miteinander sprachen.

„Aber allen Ernstes, Lucie, das waren Männerschritte.“

„Ach was, das war die Christel, die nach mir gesucht haben wird. Lassen wir sie suchen! Du sinnst auf Ausflüchte, um meinen Fragen auszuweichen, aber diesmal gelingt Dir’s nicht. Also heraus damit – wem gilt dieses Andenken?“

„Einem, der nicht mehr an mich denkt, wenn er es überhaupt je gethan hat. Er – – nun kurz: es war einen Tag vor Weihnachten. Die Börse sollte zu dem Fest noch fertig werden. Da kam er, saß mir gegenüber – lange, lange. Ich holte mir das letzte Strähnchen Seide und hielt es, während er den Faden aufwand. Und dabei – ach Lucie, dabei hab’ ich meinen Traum von Glück geträumt, der – ein Traum geblieben ist.“

„Saht ihr Euch wieder?“

„Einmal.“

„Wann und wo?“

„Hier war’s, bei – Euch. Am Weihnachtsabend vor fünf Jahren.“

„Ah – also doch!“ Frau Lucie trat unwillkürlich einen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_810.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)