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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Halbheft 25.   1892.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1892. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Mamsell Unnütz.
Roman von W. Heimburg.
(5. Fortsetzung.)


Noch sechs Tage bis zur Hochzeit Theresens und des Doktors, Julias letzter Tag in der Heimath!

Es wehte schon ein festlicher Hauch durch das alte Haus. Das Lärmen und Treiben der Handwerker war verstummt, die Mägde aus der Krautnerschen Villa, sowie das neue Personal des künftigen Paares hatten die letzten Spuren der arbeitenden Männer getilgt, und glänzend wie ein Schmuckkästchen erwartete der obere Stock die junge Herrin.

Die Pracht begann eigentlich schon unten im Hausflur. Die alten ehrlichen Fliesen aus rothem Backstein, die den Bewohnern seit langen Zeiten den Witterungsumschlag zu verkünden wußten – sie wurden immer einige Tage vor eintretendem Regenwetter feucht – waren verschwunden, und ein blendendes Mosaik aus weißen und schwarzen Marmorplatten war an ihre Stelle gesetzt, so spiegelblank und glatt, daß die Räthin darauf einherschwankte wie ein Schlittschuhläufer, der zum ersten Male das Eis betritt. Darüber hinweg liefen bis zur Treppe zierliche strohgeflochtene Matten, und allenthalben waren an den stilvoll bemalten Wänden altdeutsch geschnitzte Bänke angebracht; das Fenster über dem Absatz der Treppe ließ nicht mehr einfach das Tageslicht hindurch – dieses sprühte farbig durch die mit Wappenmalereien bedeckten kleinen Scheiben, und die Sonnenstrahlen spielten in glühend bunten Lichtern auf dem weichen Treppenläufer, der die alten dunklen Stufen bedeckte.

Die Räthin war ganz stumm vor Bewunderung, es sah auch alles gar zu vornehm aus. Sie hatte nur einen Kummer – der eigensinnige Sohn wollte durchaus nichts davon wissen, daß sein Warte- und sein Studierzimmer dieser Pracht entsprechend eingerichtet würden. Er behauptete, sich wohl zu fühlen zwischen den trauten alten Möbeln, und für seine Person wünsche er keinen Dreier für stilvolle Einrichtung auszugeben; er hoffe und glaube auch, seine Patienten würden derartiges nicht vermissen.

Seine Mutter fügte sich seufzend; an Thereschen eine Bundesgenossin zu finden, mißlang ihr wider Erwarten. Für die Doktorstuben hatte diese entschieden kein Interesse. „Ach, das mag er doch halten, wie er will,“ sagte sie zu der Frau Schwiegermama, „wenn’s ihm gut genug ist, so kann’s mir ja recht sein.“

Ein ganz wonniger Maitag lachte heute über der Erde – ein Blüthenmeer in der


Fürst Bismarck nach Tisch.     Zeichnung von C. W. Allers.
Aus dem Prachtwerk „Fürst von Bismarck in Friedrichsruh.“
Copyright 1892 by Union Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 773. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_773.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2021)