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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

beide innig verschmolzen waren, zu spielen hatte. Sein Genosse war ein entlaufener Mönch, ein Tiroler Namens Graben zum Stein, im Spott Graf zum Stein genannt und ebenfalls hoher Ehren gewürdigt; denn er wurde Vicepräsident der Akademie und Ceremonienmeister. In dem Diplom, das dem Vicepräsidenten am 19. Januar 1732 ausgestellt wurde, mußte sich nicht nur dieser „Astralicus“, wie sein Spottname lautete, sondern auch die ganze Akademie den bittersten Spott gefallen lassen; sie sollte darüber wachen, daß die Kobolde, Alpen, Irrwische, Wassernixen, verwünschte Leute und Satansgesellen ausgerottet würden; wenn der Graf zum Stein dergleichen Ungethier tot oder lebendig bei dem König einliefern würde, solle er für das Stück sechs Thaler Belohnung erhalten. Die vergrabenen Schätze sollte man mit der Wünschelruthe durch Segenssprüche, Allrunken und auf andere Art heben, wobei der Graf zum Stein den vierten Theil davon erhalten werde. Die Kalender müsse er so einrichten, daß die Prognostica glücklich getroffen, der guten Tage soviel als möglich eingesetzt, die bösen aber vermindert würden. Der Graf habe ferner Anzeige zu machen, wenn der Thierkreis sich am Himmel verrücke, Mars einen freundlichen Blick auf die Sonne werfe oder mit der Venus, dem Saturn und dem Mercurius im Quadrat stehe.

Es scheint in der That, daß die schlimmste Erbschaft Gundlings auf die Schultern des „Grafen“ abgeladen wurde, während der Knirps Morgenstern trotz seiner ihn zum Hofnarren stempelnden Erscheinung ein gewisses Ansehen zu behaupten wußte. Das hinderte freilich nicht, daß der König unter Beiziehung des Tirolers auch mit ihm einen Hauptspaß veranstaltete, um zu zeigen, wie gründlich er die Gelehrsamkeit verachte. Morgenstern und Astralicus sollten an der Hochschule zu Frankfurt an der Oder ein wissenschaftliches Duell ausfechten über das Thema „Gelehrte sind Salbader und Narren“.

Am 10. November 1737 kam der König in einem Jagdwagen, neben welchem Morgenstern einherritt, nach Frankfurt. Tags darauf fand die Disputation statt. Der König war mit seinen Offizieren frühzeitig erschienen; Morgenstern hatte das Katheder bestiegen und zwar in einer merkwürdigen Kleidung. Er trug ein mit lauter silbernen Hasen gesticktes blausamtenes Kleid mit großen rothen Aufschlägen, eine rothe Weste, eine sehr große über den ganzen Rücken herunterhängende Perücke, statt des Degens einen Fuchsschwanz und auf dem Hute statt der Federn Hasenhaare. Der König hatte den Professoren durch die Pedelle ansagen lassen, sie möchten erscheinen, um Morgenstern zu opponieren; doch fehlten viele Professoren, als der König schon an Ort und Stelle war. Er ließ sie holen und sagte zu den Offizieren: „Morgenstern ist klüger als alle Professoren. Ein Quentchen Mutterwitz ist besser als ein Zentner Universitätsweisheit.“

[Morgenstern in seinem Studierzimmer.]

Man erstaunt, wenn man in diese Komödie berühmte Namen mitverwickelt sieht, welche der Wissenschaft zur Ehre gereichen. Der Rektor der Universität war der Geheime Rath Johann Jakob Moser, ein Württemberger, mit Recht der Vater des deutschen Staatsrechts genannt, zugleich ein Mann von unabhängiger Gesinnung, der später für seinen Mannesmuth im Kampfe für die ständischen Rechte Württembergs gegenüber dem gewaltthätigen Herzog Karl mehrere Jahre lang in der Festung Hohentwiel eingekerkert wurde. Auch in Frankfurt gab er sich nicht dazu her, die Wissenschaft zum Harlekinsspiel zu erniedrigen und weigerte sich entschieden dem Dr. Morgenstern zu opponieren. Dieser Mannesstolz vor Königsthronen schien doch seine Wirkung nicht zu verfehlen; wenigstens hielt es der König für angebracht, etwas zu äußern, was fast wie eine Entschuldigung klang. „Was ist’s denn?“ meinte er. . „Jeder Mensch hat seinen Narren; ich habe den Soldatennarren. Einer (auf Moser deutend) hat den geistlichen Hochmuthsnarren, ein anderer einen anderen; es ist ja nur erlaubter Spaß!“ Nachdem er sich so mit seinem Gewissen abgefunden hatte, rief er den Studenten zu: „Scheut Euch nicht, Jungen, tretet näher und beweist Morgenstern, daß er ein Narr ist.“

Jetzt begann ein unbeschreiblicher Tumult; Morgenstern wußte sich vor dem Andrang der beweiskräftigen Jugend nicht zu helfen, und der Rektor selbst mußte eingreifen, um die Ruhe wieder herzustellen. Es fanden sich mehrere Professoren die den Stolz Mosers nicht theilten und auf den Spaß des Königs eingingen. So entwickelte sich ein scharfes Wortgefecht, bis nach einer Stunde der König innehalten ließ. Er machte Morgenstern ein großes Kompliment, drehte sich um, pfiff und klatschte in die Hände. Alle Anwesenden folgten seinem Beispiel.

Morgenstern blieb bis zum Tode Friedrich Wilhelms I. dessen Vertrauter, das erfahren wir aus seinen eigenen Aufzeichnungen. Der König schloß sich mehrmals mit ihm ein und ließ sich von ihm ungestört über alle Hof- und Familiengeschichten Auskunft geben. Morgenstern war eben darin aufs beste bewandert, wie er denn überhaupt zum Spionieren ein angeborenes Talent hatte. Doch war er unparteiisch in seinen Berichten und trat niemand zu nahe. Die Königin wußte dies wohl; sie ertheilte ihm eine Belohnung und sagte ihm ihren Schutz zu.

König Friedrich Wilhelm I. dachte schon im Jahre 1738 ernstlich daran, abzudanken – darüber lassen Morgensterns Denkwürdigkeiten keinen Zweifel übrig. Es war dem König vollkommen Ernst damit, und in langen Gesprächen mit seinem Günstling wurde erwogen, was nach der Abdankung geschehen solle. Anfangs wollte sich der König nach Wusterhausen zurückziehen, dann aber in die Niederlande, und es wurde von ihm und Morgenstern ein genauer Plan ausgearbeitet, wie das alles künftig eingerichtet werden, wo der König seinen Wohnsitz aufschlagen, ja sogar, welche Kleider er tragen solle. Es war da von einem ganz braunen Tuchkleid und schwarzseidenen Strümpfen mit Wickeln die Rede. Noch auf seinem Kranken- und Sterbebett kam der König auf diesen Plan zurück und verhandelte darüber aufs neue mit Morgenstern, der auch in der letzten schweren Zeit nicht von seiner Seite wich.

Der kleine Gelehrte war ein findiger Kopf und sehr verwendbar fürs Auskundschaften und Vorbereiten großer Pläne, das erkannte auch Friedrich II., der Morgenstern in seinen Stellungen beließ, nachdem er die Regierung angetreten hatte. Kaum hatte er die Absicht gefaßt, Schlesien zu erobern, als er den Vertrauten seines Vaters, das unscheinbare Männlein, in die schlesische Hauptstadt schickte, um dort die nöthige Stimmung für den beabsichtigten Staatsstreich hervorzurufen, der die gute Stadt Breslau, die sich, so abhängig sie von österreichischen Einflüssen war, doch ihrer Unabhängigkeit rühmte, in eine preußische Stadt verwandeln sollte. Und nun zeigte sich das merkwürdige Schauspiel, daß ein in Hofkreisen heimischer Gelehrter, der sich zu allerlei Narrheiten hatte hergeben müssen und unter dem Stockregiment eines Gewaltherrschers zu stehen gewohnt war, sich auf einmal in einen Volksredner und Volksverführer zu verwandeln wußte und auf die Bürger und Handwerker von Breslau den größten Einfluß gewann. Morgenstern war der beredsame Wühler, welcher dem Vorgehen des Königs Friedrich II. von Preußen in Schlesien die Bahn öffnete.

Friedrich hatte das Schwert gezogen, die Preußen waren in Schlesien eingerückt. Das Oberamt in Breslau und ein Theil des Rathes waren österreichisch gesinnt und unterstützten die Forderung der Oesterreicher, Breslau möge die kaiserlichen Truppen aufnehmen. Dagegen aber wandten sich die Zünfte und die Bürgerschaft, sich auf das alte Recht der Stadt stützend, neutral zu bleiben, eigene Besatzung zu haben und beiden feindlichen Heeren die Pforten zu verschließen. Einer der eifrigsten Vorkämpfer dieses Rechts war der Beischuster Döblin, der sein Handwerk längst beiseite geworfen sich auch nie in der Schusterzunft großen Ansehens erfreut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_737.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2023)