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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

trennt; an jenem Abend, an dem wir hier Abschied nahmen, kroch es zum ersten Male heran. Und der es brachte, war . . . nein, nein, ich kann es Ihnen nicht sagen, jetzt nicht – haben Sie Mitleid!“

„Bei allem, was Ihnen theuer ist, sprechen Sie!“ drängte Claire. „Dieses Verhängniß – es kann nicht düsterer sein als das, dem ich eben entgangen. Und auch ich liebe Dich, Hans, habe Dich immer geliebt . . . das zu sagen, kam ich. Und nun sprich!“

Hans griff sich an die Stirn, rang nach Fassung. „Mein Vater lebt noch,“ flüsterte er.

„Er ist arm, ein Arbeiter, uns feindlich gesinnt – ist’s nur das?“

Hans rang nach dem furchtbaren Worte „Verbrecher“ – es blieb ihm in der Kehle stecken. Wenn ihre Liebe doch nicht stark genug war, das Gräßliche zu ertragen, wenn er dies Glück verlieren mußte, jetzt eben, wo es sich ihm erschloß! Der Gedanke drohte ihn wahnsinnig zu machen. „Laß mich schweigen, nur heute noch!“ flehte er. „Dein plötzliches Erscheinen, die Worte, die Du gesprochen – meine Gedanken verwirren sich . . . ich litt so sehr in der letzten Zeit. Und dort kommen Leute – wenn man uns bemerkt! Uebermorgen schenke mir eine Viertelstunde, um diese Zeit, im Parke, bei der Fontäne, wo wir so oft zusammen spielten – dann sollst Du alles hören.“

„Gut denn! Aber was es auch sein mag, Du kannst alle Schatten beschwören, wenn Du mich zugleich das eine hören läßt, das ich ewig von Dir hören möchte: ‚Ich liebe Dich!‘ Denn ich – ich habe nur einen Wunsch – Dich!“ flüsterte sie voll Innigkeit.

Er zog sie leidenschaftlich an seine Brust. Einen Augenblick hielten sie sich schweigend umschlungen – über ihren Häuptern loderten die Feuer gleich Opferflammen. Da näherten sich Schritte.

„Uebermorgen bei der Fontäne!“ flüsterte Claire, seinen Arm lösend, und verschwand im Dunkel.

Hans folgte ihr sinnlos, er hörte ihre Tritte auf dem Kies, er sah bald ihren Schatten, bald ihre Gestalt selbst vor sich hereilen, bis sie in der Thür der Villa verschwand.

Da hielt er inne. Im Innersten erschüttert, starrte er auf das Gebäude, das von Baugerüsten umgeben war, deren Stützen schwarz in den Nachthimmel hineinragten – die Villa Berry sollte das junge gräfliche Paar in einem neuen vornehmen Gewande empfangen.

Aus den Mittelfenstern des ersten Stocks drang ein stumpfes rothes Licht durch die Spitzenvorhänge; dahinter lag wohl der Sohn des Hauses, dahingerafft in voller Kraft. Wie schwer Herr Berry diesen Verlust empfinden, wie tief die Aufklärung über den wahren Charakter des Grafen den stolzen Mann niederbeugen mußte! Und nun sollte er selbst mit seinen Enthüllungen hervortreten, sollte zu dem allem das Verlangen fügen, dem Sohne des Verbrechers das Glück der Tochter anzuvertrauen! Das war nicht bloß unverantwortlich, das war auch thöricht gehandelt. Berry, der durch die Aufhebung der Verlobung mit dem Grafen jedenfalls seine Familie schon genug bloßgestellt wußte, würde sich hüten, eine neue größere Schmach heraufzubeschwören und einen Davis zum Schwiegersohn zu nehmen. War es da nicht für alle besser, auch für Claire, die der Last dieses Verhängnisses nicht gewachsen war, wenn er allein sein Geheimniß trug und schwieg. Vielleicht daß sich für immer ein Abkommen treffen ließ mit Holzmann, mit dem Vater, wenn auch mit Berryschem Gelde! Das war ja kein Betrug, was lag an dem Gelde, wenn es sich um das Glück zweier Menschen handelte! Und er wollte ja darum arbeiten Tag und Nacht. Das leuchtende Ziel, nach dem er so lange gerungen hatte, das, schon verloren, jetzt zum Greifen nahe vor ihm lag, blendete sein Gewissen. „Zu Holzmann!“ war die Losung.

Unzählige Pläne schmiedend und wieder verwerfend, wie dieser Mensch unschädlich gemacht werden könnte, erreichte er, ohne zu einem klaren Entschluß gekommen zu sein, das „Schwarze Rößl“. Holzmann war nicht da, doch der Wirth wußte seine Wohuung – „ganz in der Nähe“, und erbot sich sogar, einen Jungen mitzuschicken; „Herr Holzmann“ war ihm ein werther Gast, der etwas draufgehen ließ, wenn der Verdienst gut war.

Hans nahm das Anerbieten an.

Der Weg führte durch dunkle Gäßchen; die Atmosphäre war noch schlimmer als die in der Kleegasse, das Volk, das sich hier bewegte, stand auf einer noch tieferen Stufe als die Gäste der „Fackel“ und des „Prassers“. Lichtscheue Gestalten, düstere Schildwachen des Lasters, standen an allen Ecken; die trüben, übelriechenden Wasser einer übergelaufenen Gosse bespülten das hölzerne Pflaster. Nun ging es durch einen finsteren, von einer Lampe spärlich erhellten Durchgang, an dessen Seite eine steile ausgetretene Treppe, mit Stricken als Geländer, in die lichtlose Höhe führte. Hier wohnte der Gesuchte.

„Herr Holzmann ist zu Hause,“ sagte der Junge, auf ein erleuchtetes Fenster in der schwarzen feuchten Mauer deutend, einem Ueberbleibsel der alten Stadtbefestigung, welche den auf der anderen Seite liegenden Häusern als Rückwand dienen mußte. Jetzt bewegte sich oben das Licht, die willkürlich vertheilten Fenster bald beleuchtend, bald ins Dunkel versinken lassend; das häßliche Gezänk eines Weibes tönte herunter. Der ganze Bau schien zu leben, zu erwachen zu etwas Entsetzlichem. Ein Schatten fiel durch eines der Fenster – das war wohl Holzmann, sein Dämon! Wenn er hinaufspränge, ihn ermordete ... ein Teufel weniger auf der Welt! Er griff unwillkürlich in die Tasche nach dem Messer; ein heißer Strom stieg in ihm auf, vor die Augen senkte sich ein rother Schleier – er mußte an den „Anfall“ des Vaters denken.

Da floß der Schatten plötzlich auseinander, es waren jetzt zwei, der eines kleinen und eines großen Mannes, Holzmanns und – –

War es Zorn, Freude oder Entsetzen? Er wußte es selbst nicht, was ihm das Herz so schlagen machte – dort oben war sein Vater! Jetzt gab es kein Besinnen mehr. Er eilte die dunkle Treppe hinauf. Von der Höhe herab klang noch immer das Gezeter des Weibes. Ein schmaler Lichtstrahl glitt jetzt über die brüchigen leiterartigett Stufen herab. Hans ging dem Lichte nach, es kam aus einer Zimmerthür des ersten Stockwerkes, die offenbar die Holzmanns war, da sonst alles still und finster dalag.

Er horchte. Es wurde nur geflüstert, das war so Sitte bei Holzmann; dazwischen hinein klirrte ein Glas. Endlich klopfte er – man rief nicht „herein“. Ein schleichender Schritt näherte sich der Thür. Nach einer kleinen Pause ward sie vorsichtig geöffnet, Holzmanns mageres Vogelgesicht erschien in der hellen Spalte.

„Wer ist’s?“

„Hans Davis.“

Drinnen wurde hastig ein Stuhl zurückgestoßen, dazu klang es wie ein unterdrückter Fluch.

Holzmann wandte sich unschlüssig zurück nach dem Zimmer, es war, als ob er gegen jemand die Achseln zuckte. Da stieß Hans selbst die Thür auf, und vor ihm, mitten im Zimmer, stand der „Schwarze Jakob“, die Hände in den Taschen, die Blicke scheu abgewendet.

Holzmann stand zwischen beiden, schlug sich auf die Schenkel, kraute sich den kurzgeschorenen Kopf und kicherte. „Das ist doch dämlich – hihihi! So ein Zusammentreffen – das bedeutet was, Jakob! So küßt Euch doch nach Herzenslust, geniert Euch nicht!“

„Es freut mich, daß ich Dich treffe, Vater!“ sagte Hans, die Hand hinstreckend, die nicht ergriffen wurde. „Es ist eine gute Vorbedeutung für das Geschäft, das mich herführt.“

„Na, mit der Freud’! Aber um einen Tag später hättest vielleicht leichter gethan mit Deinem Geschäft ... wir haben kein Glück, wir Davis’.“ Er wühlte mit den Häunen in der Tasche. „Und doch hängst Du Dich allweil an uns!“ wandte er sich an Holzmann.

„Na, warum nicht? Ihr seid ja ganz brauchbare Leut’,“ kicherte der. „Ein Geschäft, sagen Sie, Herr Davis, führt Sie hierher? Ja, was denn für ein Geschäft, so unter der Zeit? Sehnsucht doch nicht nach Ihrem – Liebling?“

„Ich muß frei werden von Ihnen,“ sagte Hans in festem Tone. „Werde ich es jetzt nicht, kommen Sie mir jetzt nicht entgegen, dann mag das Schicksal seinen Lauf haben, mir liegt dann nichts mehr weder an meiner Ehre noch an meinem Leben!“

„Ah, pfeift’s aus dem Loche? Aber wegen dreißig Mark monatlich so in die Stange beißen, seinen eigenen Vater opfern! Sehen Sie ihn doch an, wie armselig er aussieht – erinnert Sie das nicht an Ihre – Ihre Pflicht?“

Das Gesicht des „Schwarzen Jakob“ war noch finsterer geworden, er nagte an seiner Unterlippe, die Fäuste drückten sich

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