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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Am 9. Juli zählte man von Mitternacht bis 6 Uhr abends elf Erdstöße allein in Catania, und der Hauptkrater des Berges, von den Leuten hier Mongibello genannnt, sandte eine Riesenwolke von Rauch und Asche hoch in den klaren Himmel hinein, die sich blitzend und grollend über Catania herüberwälzte. Der Hauptkrater jedoch hatte wie der zürnende Jupiter nur die Locken geschüttelt, die eigentliche Zerstörungsarbeit überließ er den Titanen zu seinen Füßen. Unter entsetzlichem Donnern und Beben der Erdrinde öffneten sich hinter dem Monte Nero, am Südhange des Berges, nur wenig nördlich von der Ausgangsquelle der Lava von 1886, fünf neue Feuerschlünde, deren Lava in gabelförmig getheiltem Strome sich sofort heftig in der Richtung von Belpasso, Nicolosi und Pedara ergoß. Der westliche Arm überspringt das Thal von Rinazzo, der östliche erreicht bald die Höhe des Monte Albano; beide umgehen die Monti Nero, Gemmelli, Grosso und drohen unterhalb dieser sich zu vereinigen. Vom 9. auf den 10. hat der feurige Strom bereits zehn Kilometer zurückgelegt und befindet sich nur noch 6 Kilometer von Nicolosi. Glücklicherweise fließt dieser Oststrom bald bedeutend langsamer, denn er ist auf die Lavaberge von 1886 gerathen und muß dieses Hinderniß überwinden. Die Bevölkerung von Nicolosi, in höchster Aufregung, ruft in einem Hochamt alle Heiligen an, knieend auf dem Platze vor dem Dome, das Innere aus Furcht vor einem plötzlichen Erdbeben meidend. Das arme gläubige Volk steckt neben den von der Lava am meisten bedrohten Gärten und Weinbergen an langen Stangen Heiligenbilder aus. Schon aber sind die Kastanienwaldungen des Herzogs von Ferrandina niedergebrannt und mehrere Vignen, in denen die Trauben sich schon gefärbt hatten, verwüstet.

Der Aetnaausbruch im Jahre 1892.
Nach der Natur aufgenommen am 16. Juli 1892.

Die Feuerschlünde werfen indeß nicht bloß Lava, sondern unter fortgesetztem donnernden Gebrüll, das an das Dröhnen schweren Belagerungsgeschützes erinnert, auch gewaltige schwarze Blöcke, Lapilli, Sand und Asche aus, oft bis zur Höhe von mehreren hundert Metern. Zur Nacht ist das höllische Flammenspiel überwältigend, entsetzlich erhaben. Monte Nero und Monte Grosso erscheinen wie glühend, der Monte Gemmelli schwimmt inmitten eines Feuersees, der Himmel ist wie von blutigem Nordlichtschein bis in den Horizont hinein geröthet. Tausende von Zuschauern aus Catania und den umliegenden Ortschaften säumen die Hänge der ungefährdeten Höhen, erschüttert von der mächtigen Größe der entfesselten Gewalten, denen keine Macht der Erde einen Damm entgegensetzen kann. Die Erde bebt, neue Feuermassen schießen in die Nacht empor, dazwischen knattert’s und knistert’s wie Kleingewehr- und Mitrailleusenfeuer in den Wäldern und Weinbergen, und in den Dörfern fließen die Thränen und packen die so plötzlich Verarmten ihr Bündel. Aengstlich mißt man, meterweise, die Fortschritte der Lava. Heute verlangsamt sie ihren Lauf und die Hoffnung jubelt; morgen aber holt sie das Versäumte nach und die Verzweiflung packt die Herzen aufs neue. ...

Das war das schauerlich erhabene Schauspiel, welches der unheimliche Berg in den heißen Julitagen des Jahres 1892 darbot. Und noch in dem Augenblick, da diese Zeilen zum Drucke gehen, weiß man nicht sicher, welches das Ende sein wird. Wohl schien sich zu Ende des Monats die Kraft des Ausbruchs zu erschöpfen, aber immer noch warfen die Krater von Zeit zu Zeit Steine und Lava aus und vulkanischer Sand- und Aschenregen ging wiederholt bis Catania nieder. Hoffen wir, daß, bis diese Schilderung in die Hände der Leser gelangt, alle Gefahr verschwunden sei und die unglücklichen Bewohner wieder aufathmen können nach den schweren Wochen der Angst und des Schreckens! Woldemar Kaden.     




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 573. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_573.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2020)