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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

vor der Thür … weißt, da können wir allweil sitzen und Haimgart halten auf den Abend, hat der Pater gesagt. Und er selber wird auch manchmal kommen, hat er gesagt! Du, wie der uns mögen thut, ich sag’ Dir’s, ein Vater kann seine Kinder nicht lieber haben! Und schau, Haymo, schau, in das leere Nischerl über der Thür’, da kommt ein Muttergottesbildl hinein … das thut unser Haus hüten und unser Glück! So schau nur grad’, das Anwesen da drüben, das hast ja noch gar nicht gesehen … da kommen zwei Pferd’ hinein, und vier Küh’, weißt, daß wir allweil Milch haben, grad’ was wir brauchen. Und Du …“ Sie schlug die Hände ineinander, und ihre Augen gingen über vor hellem Entzücken, „das Kucherl muß ich Dir zeigen! Ich sag’ Dir, da glänzet nur alles vor lauter Kupferzeug! Und ein Schafferl um das ander’! Und Häferln und Pfannen und Schüsserln! So komm’ doch, Haymoli, komm’ doch …“

Mit beiden Händen faßte sie seinen Arm und zog ihn zur Thür hinein.

Im dämmerigen Flur stand er still, preßte die Fäuste auf die Brust und athmete, athmete …

Noch immer begriff er nicht! Aber eines schien er doch endlich zu glauben: daß wirklich und leibhaftig sein geliebtes Mädchen vor ihm stand. Und plötzlich umschlang er sie unter heißen Küssen …

Draußen standen der Propst und Pater Desertus.

„Komm’, Dietwald,“ sagte Herr Heinrich lachend. „Das warten wir nicht ab, bis es ein Ende nimmt. Komm’, laß uns gehen! Sie sollen diesen Tag für sich allein haben. Wenn sie so weit aus ihrem seligen Rausch erwachen, um nach einem Dritten fragen zu können, dann suchen sie Dich schon.“

Noch lange hing Pater Desertus mit den Augen an der Thür, bis er sich loszureißen vermochte, um dem Propst zu folgen. Zwischen goldig leuchtenden Hecken schritten sie der Straße zu. Weiß glänzte ihnen im Sonnenschein der See entgegen.

Pater Desertus legte die Hand auf Herrn Heinrichs Arm.

„Ich will Euch ein Räthsel zu lösen geben! … Was ist wärmer als diese Sonne, lichter als dieser Tag, reiner als dieser klare See?“

„Deines Kindes Glück … und Deines Herzens Freude! Ja, Dietwald, Du hast recht gethan. Ich habe Dir meinen Rath nicht aufgedrängt. Hier mußte Dein eigenes Herz die richtige Straße finden, ganz allein. Und Du hast sie gefunden!“

„Hätt’ ich mich besinnen sollen? Nur einen Augenblick? Was wollt’ ich denn mehr als meines Kindes Glück? Jeder andere Weg hätte ihr nur Weh und Elend gebracht, hätte ihr Leben zerstört und alle Blüthen abgestreift von ihrem holden Dasein … und kein Rang und Name, nicht Glanz und Reichthum hätte sie dafür entschädigt. Ist denn das Leben noch Leben, wenn ihm die Sonne fehlt, das Glück? Hätte mich in jener finsteren Nacht, die mir alles nahm, das Schicksal vor die Wahl gestellt: willst Du bleiben, was Du bist, oder willst Du ein Bettler werden und nur das Glück Deines Herzens mit hinüber tragen in die arme Hütte … glaubt Ihr, ich hätte mich besonnen? Und hätt’ ich nun anders wählen sollen für mein Kind? Was sie um ihres Glückes willen verliert … entbehrt sie es denn? Würde sie den Geliebten ihrer Liebe werther halten, wenn er den Schild am Arm und die Helmzier über den Locken trüge? Und ich?“ Pater Desertus schüttelte lächelnd das Haupt. „Haymo ist ein freier Mann, und verwahrt er auch keinen Adelsbrief in seinem Schrank … er trägt auf seiner Stirn den Adel tüchtiger Mannheit und eines treuen, redlichen Gemüths. Ich lieb’ ihn … er ist mein Sohn!“

„Und väterlich hast Du für ihn gesorgt!“ lachte Herr Heinrich. „Wär’ der Propst von Berchtesgaden nicht Dein guter Freund und hätt’ er nicht selber seine helle Freude an diesem jungen Glück … er hätte böse Augen gemacht zu dem tiefen Griff, den Du in den Klostersäckel gethan. Und ich vermuthe, es war noch lange nicht der letzte! Aber sag’ …“ Die Stimme des Propstes wurde ernst, „Du hast auch heute nicht mit ihr gesprochen?“

„Nein, Herr … ich konnte nicht!“

„Und das Dirnlein hat genommen und genommen? Und mit keinem Gedanken ist es ihr aufgefallen: woher kommt das alles?“

„Wäre ihr Glück denn voll und ganz, wenn sie fragen könnte, warum?“

Herr Heinrich nickte, und schweigend schritten sie weiter. Immer wieder blickte Pater Desertus zurück nach dem zwischen schimmerndem Laub verschwindenden Dache.

„Oft lag mir das klärende Wort auf der Zunge,“ sagte er nach einer Weile, „aber wenn ich sah, wie dieses große kleine Herzlein so übervoll war von Liebe, dann schwieg ich wieder. Hätt’ ich sie schrecken und betäuben sollen mit Neuem, Unerwartetem? Jetzt? Kommt sie in ihrem Glück erst wieder zu Athem, dann wird sich von selbst die Stunde finden, in der sie mich als Vater erkennen und Vater nennen wird. Es dürstet wohl mein Herz nach dem süßen Laut von meines Kindes Lippen. Und doch … ich will mich gern gedulden. Vaterliebe, das heißt ja nicht ‚nehmen‘ … sondern ,geben‘. Und bin ich denn nicht schon reich geworden nach aller Armuth meines Herzens? Tag und Nacht darf ich sinnen und schaffen für meines Kindes Glück, an seiner Freude darf ich mitgenießen, darf mich erquickt und getröstet fühlen durch seine traute Nähe.“ Pater Desertus blieb stehen und faßte den Arm des Propstes. „Seht, Herr, wie freundlich das Heim meines Kindes herschimmert durch die Bäume.“

„Ein schönes Plätzchen! Komm, wir wollen rasten!“

Aus dem Fuß eines Hügels, welcher dicht an die Straße reichte, schob sich eine Felsplatte gleich einer Bank hervor. Hier ließen sie sich nieder. Kleine Schatten und Lichter zitterten auf der Erde, denn durch die halbentlaubten Bäume fand die Sonne fast freien Weg. Ein leichter Windhauch raschelte durch alles Gezweig, und langsam, wie in gaukelndem Spiel, fielen die welken Blätter; mit stillen Augen betrachtete Pater Desertus ihren lautlosen Fall.

Herr Heinrich fragte lächelnd: „Stimmt es Dich trübe, daß die Blätter fallen?“

„Nein, Herr, der Winter kommt ja nur, um den Frühling zu bringen!“

„So? Es gab aber doch eine Zeit, da Du sagtest: Der Sommer blüht nur, damit all seine Bluht vom Winter verschüttet werde unter Schnee und Eis!“

In bebender Erregung preßte Pater Desertus die Hände auf seine tiefathmende Brust. „Mein Auge ist sehend worden. Ich fühle ja die Sonne wieder, und Schatten um Schatten weicht von mir. Vor dem holden Antlitz meines Kindes löst sich jeder Jammer meines Lebens in süßen Trost, und in Verklärung schweben die Gestalten der Verlorenen um mich her.“

„Ist alles Geschehene denn anders geworden?“ fragte lächelnd Herr Heinrich.

„Nein, Herr, aber ich seh’ es mit anderen Augen. Glaubet mir, so tief wie ich hat noch kein Mensch erfahren, daß wir nicht leben können, wenn wir die Sonne nicht suchen, und daß uns zum Leben so nöthig wie Luft und Brot noch ein Drittes ist: das helle Sehen!“

Eine Thräne rann ihm in den ergrauenden Bart, er faßte die Hände des Propstes und stammelte: „Herr, nehmet meinen Namen von mir! Ich will nicht länger Desertus heißen.“

„So heiße Theophilus!“[1]

Sie saßen schweigend. Ueber Thal und Höhen leuchtete die warme Sonne des Herbstes, und die sinkenden Blätter in ihrem schimmernden Gelb waren anzusehen wie fallende Flämmlein.

Plötzlich streckte der Pater in heller Erregung den Arm. „Sehet, Herr!“

Ein weißer Falter gaukelte vorüber.

„Das ist wohl der letzte!“ sagte Herr Heinrich. „Auch er wird sterben. Aber er war mit der Sonne gut Freund und darf nun einen Tag genießen, den tausend seinesgleichen nicht erlebten!“

Sie blickten dem Falter nach. Er folgte mit seinem Flug dem Lauf der Straße, flatterte um die weißen Steine, hob sich empor zu den Wipfeln der Bäume, gaukelte zurück auf die niedere Hecke, aus deren Gezweig der Wind die silberig blitzenden Spinnfäden wehte, und bald sich verhaltend, bald wieder eilig weiter fliegend, erreichte er die große Wiese vor dem neuen Haus. Hier suchte er jedes verspätete Blümlein auf und sog aus dem welkenden Kelch noch einen Tropfen Seim. Dann flatterte er an der weißen Mauer empor, und lange, lange gaukelte er um das mit Bändern geschmückte Tannenbäumchen auf dem First …

Hand in Hand, mit brennenden Gesichtern, traten Haymo und Gittli aus der Thür.

„Ja wo sind sie denn?“ stammelte Gittli. „Schau nur, Haymo, sie sind ja nimmer da!“

Mit suchenden Augen blickten sie umher. Da näherten sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_567.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2022)
  1. Theophilus – der Gott Liebende.