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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

zahlender Besucher, welche sich in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 1893 in die Ausstellung ergießen sollen. Das sind durchschnittlich täglich gegen 110000 Personen!

Versuchen wir nun durch einen Rundgang über das Ausstellungsfeld ein Bild von der ganzen Anlage zu gewinnen und uns über die Bestimmung der einzelnen Baulichkeiten klar zu werden, wobei wir zu näherem Anhalt auf die Zahlen in unserer Uebersichtsskizze auf Seite 560 und 561 verweisen.

Das Kasino am Hafen.

Der Flächenraum, den die Ausstellung bedeckt, umfaßt ungefähr siebzig Hektar. Mächtige Bäume und gefälliges Buschwerk füllen malerisch die Räume zwischen den Gebäuden, immer wieder aber öffnet sich der reizende Ausblick auf die weitgedehnte Wasserfläche des Michigansees. Zahlreiche Kanäle und Wasserstraßen durchziehen das Gelände, und wer will, der kann in bequemer Gondel sich von Ort zu Ort umherführen lassen.

Wir benützen einen der zahlreichen Schnellpassagier-Dampfer, welche uns die angenehmste Verbindung der Stadt Chicago mit Jacksonpark bieten, und landen am Hafen, der durch einen in den See hinausgebauten Damm (22) gebildet wird. Eine Gruppe kleinerer Gebäude, von einem Thurme überragt, fällt uns ins Auge: es ist das Kasino, Cafés und Wirthschaften, die uns neben leiblichem Genuß eine entzückende Fernsicht über den See bieten. Vom halbrunden Quai gegenüber grüßt eine seltsame Säulenreihe: es sind venetianische Säulen, welche allegorische Darstellungen der dreizehn ersten Unionsstaaten tragen; sie umziehen das Ostufer eines großen Wasserbeckens (11), in dessen Rundung eine hohe, von dem amerikanischen Bildhauer French in Paris modellierte Statue der Republik (13) sich erheben soll.

Jenseits, in der Verlängerung des durch allerlei farbige Springbrunnen belebten Bassins, steht das architektonisch hervorragendste Gebäude der ganzen Ausstellung, das Verwaltungsgebäude (10). Vier in ionischem Stile gehaltene Pavillons werden von einer flotten Riesenkuppel überragt, die eine Spannweite von sechsunddreißig und eine Höhe von achtzig Metern über der Grundfläche erreicht. Durch eine Thoreinfahrt in der stattlichen Breite von achtundzwanzig Metern betreten wir die mächtige Rotunde im Innern, von der aus die Zugänge zu den zahllosen Bureaus der verschiedensten Art führen. Das Dach der Pavillons ist flach, und alle vier sind durch äußere Galerien miteinander verbunden, so daß sich den Besuchern hier oben ein prächtiger Spaziergang bietet.

Südlich von dem erwähnten Wasserbecken dehnt sich das Gebäude für die Landwirthschaft (8, 12) mit einem kolonnadengeschmückten Anbau (6) für Versammlungen und Kongresse. Dem letzteren Zwecke dient auch die amphitheatralisch angelegte Versammlungshalle (2). Dem Landwirthschaftsgebäude gegenüber liegt der Industriepalast (17), naturgemäß das größte und umfangreichste Bauwerk der Ausstellung, das allein eine Fläche von 12 Hektaren bedeckt und 6 Millionen Mark kostet.

An Größe folgt dem Industriepalast zunächst das riesige Maschinenhaus (7) südlich vom Verwaltungsgebäude. Ihm gegenüber stehen die ebenfalls recht stattlichen Hallen für Bergbau und Metallurgie (14) und für Elektricität (15). Zwischen beiden, etwas weiter rückwärts, münden in einen geräumigen Bahnhof (9) die eigens für die Ausstellung angelegten Zweigstränge der Eisenbahnlinien, und wiederum nicht allzu weit entfernt erheben sich die Wände des Kolossalgebäudes für die Verkehrsmittelausstellung (16). Im Stile einer riesigen romanischen Basilika wird sie uns entgegentreten, von einer mächtigen Kuppel überwölbt und mit einem Zugang, dem man den stolzen Namen „Das Goldene Thor“ gegeben hat.

Diesem Bauwerk schließt sich an die Halle für den Gartenbau, ein besonders bevorzugtes Glied der Ausstellung, denn Chicago heißt nicht umsonst die „Gartenstadt“. Ein breit überkuppeltes Palmenhaus wird die riesigsten Exemplare dieser Gattung aufnehmen können, während ein eigener Raum für Prachtexemplare der „Victoria regia“ vorbehalten ist.

Ehe wir weiter schreiten, müssen wir einen Blick zur Rechten werfen. Aus glänzender Wasserfluth grüßt uns eine liebliche Insel, von freundlichem Grün bewachsen. Wir stehen an der „Lagune“ (18), dem zweiten großen Wasserbecken des Ausstellungsgeländes, und die menschenfreundlichen Veranstalter haben mit Rücksicht auf den reizenden Anblick, welchen sie bietet, in die Pavillons der Gartenbauhalle zweckmäßig Erfrischungsräume geplant.

Nun aber weiter!

In der Verlängerung der Gartenbauhalle liegt ein gefälliger, fast kokett schlichter Bau (21), der doch das merkwürdigste und absonderlichste Stück der Ausstellung birgt. Wir sind hier nämlich eingetreten in das Reich der Frau: eine junge Dame, Mrs. Sophia Hayden, hat den Plan zu dem Gebäude entworfen; was die Frauen Amerikas leisten in Kunst und Gewerbe, Wohlthätigkeit und Krankenpflege, Haus- und Küchenwesen, das wird hier zur Anschauung gebracht werden und sich messen mit dem, was ihre Schwestern in Europa erreicht haben. Eine Frau, die Gattin des Ausstellungspräsidenten Palmer, steht an der Spitze dieser Abtheilung und das Komite, das mit ihr zusammenarbeitet, setzt sich ausschließlich aus Frauen zusammen.

Im Rücken der beiden letzterwähnten Gebäude erstreckt sich Midway Plaisance (20). Hier ist Raum gelassen für die Fremden aller Nationen, sich mit kleineren Bauten ihrer heimischen Art den Besuchern vorzustellen; hier wird man durch eine Straße von Kairo wandern, in Indianerwigwams treten, chinesische, javanische, mexikanische, siamesische, polynesische und wer weiß was für Gehöfte bestaunen, im übrigen aber auch von einem deutschen Dorfe und von der getreuen Nachbildung einer mittelalterlichen deutschen Stadt sich anheimeln lassen.

An der Nordseite der „Lagune“ hat sich der Staat Illinois für seine Sonderausstellung ein eigenes Heim eingerichtet (25), ein Vorzug, den auch die Bundesregierung der Vereinigten Staaten genießt (23). Zwischen beiden, rings vom Wasser der Lagune umgeben, liegt die Fischereiausstellung (24) mit ihren Riesenbehältern für lebende Fische. Hinter dem Gebäude des Staates Illinois endlich erstreckt sich einem breiten Kanal entlang der Kunstpalast (26). Die Parkanlage (27), die von diesen Bauten und dem See umschlossen wird, ist vorläufig noch für Sondergebäude fremder Staaten vorbehalten.

Die Marineausstellung.

Der Weg am Leuchtthurm vorüber führt zur Marineausstellung. Man hatte den sinnigen Gedanken, diese Ausstellung in einer naturgetreuen Nachbildung eines großen Küstenkriegsschiffs unterzubringen, welches da gleichsam im Hafen vor Anker liegt. Der Bau ist vom Seedepartement der Vereinigten Staaten entworfen und wird alle Fortschritte des Seekriegswesens, Schiffsgeschütze aller Kaliber, Drehthürme, Torpedos etc. zur Anschauung bringen. Und wer sich von den grausenerregenden Eindrücken dieser Höllenmaschinen erholen will, der kann hinaufsteigen auf den 23 Meter hohen Mast und seine erhitzte Phantasie kühlen an der erfrischenden Brise vom See her.

Noch haben wir, ehe wir diesen Rundgang schließen, einige Gebäulichkeiten am Südende des Platzes ins Auge zu fassen, es sind die Forstausstellung (4) mit der Dampfholzsägerei (3), bei dem Holzreichthum Nordamerikas ein hochwichtiges Glied des Ganzen, die ausgedehnten Viehställe (1) und die Molkerei (5).

Alle diese Gebäude, deren äußere Wandungen zumeist mit einer farbigem Marmor täuschend ähnlichen Masse, einer amerikanischen Erfindung (Staff), bekleidet sind, befinden sich zur Zeit in einem mehr oder minder vorgeschrittenen Stadium der Ausführung; doch nimmt man, wie schon erwähnt, an, daß sie sämmtlich am 12. Oktober fertig sein werden, so daß noch im Herbste dieses Jahres mit der inneren Ausstattung wird begonnen werden können. Selbstverständlich wird in der Erleichterung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_557.jpg&oldid=- (Version vom 30.10.2022)