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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


bleib’ bei ihr! Ich fahr’ davon und lauf’ ins Ort hinein ...“ Er hatte schon den Kahn gewendet und trieb ihn mit eilenden Ruderschlägen über den See.

Ulei war auf einen Steinblock niedergesunken. Mit beiden Armen drückte er den entseelten Körper an seine Brust, als könnte er die Kälte des Todes noch verscheuchen durch die Wärme seines eigenen Lebens. Von Kind auf war sie ihm lieb gewesen. Doch immer gingen ihre Wege an ihm vorüber. Sein Herz aber geduldete sich und hoffte. Wenn er in seiner stillen Werkstatt bei der Arbeit saß, stand es immer und immer vor ihm wie ein Traum, der sich einst noch erfüllen müßte: daß er sie umfangen hielte mit seinen Armen und dürfte sie herzen und küssen . . .

Jetzt hatte sein Traum sich erfüllt! Nun lag sie ja in seinen Armen! Mit scheuem Zögern neigte er das Gesicht und drückte seine thränennassen Lippen auf ihren kalten Mund. Und sie duldete seinen Kuß . . . und wehrte sich nicht . . .

„O du mein liebes, liebes Schatzl!“ schluchzte er. Mit zitternder Hand strich er ihr blutiges Haar beiseite und flüsterte ihr ins Ohr. „Und wenn ich gleich hundert Jahr’ alt werd’ ... ich bleib’ Dein treuer Bub’! Gelt?“

Auf weichem Rasen legte er sie nieder, ordnete ihr das Kleid und die Haare und schob ihr seine Joppe als Kissen unter den Kopf. Einen Zweig mit blühenden Alpenrosen, den er von der nahen Felswand holte, legte er in ihre Hände.

Auf den Knien sprach er ein Gebet. Dann setzte er sich neben der Toten auf die Erde und zog aus seiner Tasche das hölzerne Köpfchen und das Messer hervor. Zähre um Zähre tropfte ihm auf die Hände. Vor jedem Schnitt, den er führte, hing sein Blick lange, lange an dem stillen Antlitz des Mädchens.

Das Schwesternheim in Wiesbaden.

Zwei Stunden vergingen. Dann kam ein Schiff mit Leuten, unter ihnen der Eggebauer. Als er mit kalkweißem Gesicht und schlotternden Knien an das Ufer stieg, mußten ihn zwei Männer stützen.


28.

„Wo nur die Zenza bleibt?“ So fragten sie immer wieder, wenn sie für kurze Weile aus ihrem wortlos träumenden Glück erwachten. „Wo nur die Zenza bleibt?“

Sie traten vor die Hütte und riefen Zenzas Namen über das Almfeld und gegen den Bergwald. Alles blieb still.

„Wirst sehen, sie kommt nicht ... und ich mein’, ich weiß warum!“ flüsterte Haymo.

Gittli blickte ihn mit fragenden Augen an; dann schüttelte sie das Köpfchen. „Sie wird halt müd’ gewesen sein und hat sich an einem stillen Platzl schlafen gelegt.“

„Meinst?“ sagte er. „Aber gelt, wirst auch recht müd’ sein!“

„Nicht ein lützel! Ich mein’ völlig, ich hätt’ tausend Jahr’ lang geschlafen und wär’ mit einmal aufgewacht, und derweil ist alles anders geworden, und ich selber bin auch eine andere!“

„Was? Eine andere bist? So, schön, jetzt hab’ ich gar zwei Schätzlein. Ich weiß nur nicht, welches ich lieber hab’: das selbig’, das gewesen bist, oder das selbig’, das geworden bist.“ So scherzte Haymo und wollte sie umfangen. Sie aber schlüpfte in die Hütte und wehrte ihn zurück, als er folgen wollte. Er mußte sich auf die Bank setzen und warten . . . bevor sie ihn rufe, dürfe er beileib nicht kommen.

Er saß noch keine zwei Minuten, da fragte er schon. „Darf ich noch allweil nicht hinein?“

„Untersteh’ Dich!“ hörte er sie ganz erschrocken stammeln.

So weilte er nun geduldig, schaute mit leuchtenden Augen hinauf ins Blau und lauschte dabei jedem leisen Geräusch, das sich in der Hütte vernehmen ließ.

Jetzt trat sie kichernd aus der Thür. Er machte zuerst große Augen, dann schlug er mit glückseligem Lachen die Hände ineinander. Sie stimmte fröhlich ein. „Ich hab’ ein lützel in der Zenza ihrer Truhen gekramt. Meinst, sie wird harb sein? Gelt, nein? Sie hat ja selber allweil über das dumme Häs gescholten. Was sagst, wie ich ausschau’?“ Sie hob die Arme und drehte sich. Er wollte kaum aus dem Lachen kommen. Gittli sah aber auch gar zu drollig aus. Das weiße, bis an den Hals geschlossene Pfaid und das kurze Röcklein hätten ihr wohl leidlich gepaßt. In dem schwarzen Mieder aber hätte ihr schlankes Persönchen noch ein zweites Mal Platz gefunden und jedes ihrer Füßchen stak in dem plumpen Schuh wie ein Spatz im Hühnerkorb. „Was sagst, wie ich ausschau’?“

„Aber lieb! So lieb!“ Er haschte sie mit beiden Armen und zog sie auf die Bank. „Da hast einen gescheiten Einfall gehabt. Ich hab’ mich ja ehnder schier nicht getraut, daß ich Dich anrühr’!“ Wie sehr ihm jetzt der Muth gewachsen war, das fühlte sie aus dem ungestümen Kuß, mit dem er ihre stammelnden Lippen schloß.

So saßen sie in der hellen Sonne, bald still versunken in ihr zärtliches Glück, bald wieder in traulichem Geplauder. Kein Wort, das sie sprachen, kein Gedanke, den sie dachten, ging über den Augenblick hinaus. Sie fragten nicht, was vor diesem Tag gewesen, fragten nicht, was nach diesem Tag kommen sollte ... eine selige Stunde war ihnen vom Himmel gefallen wie Sonnenschein nach Ungewitter, und sie freuten sich ihrer so recht als zwei Glückliche, die zusammengehören, einzig und allein deshalb, weil der liebe Herrgott sie für einander geschaffen. Ihr Glück und ihre Liebe war so still zufrieden wie eine Blume, die in dem Augenblick, da ihr Kelch sich dem warmen Licht erschließt, auch nicht fragt, wer ihren Samen in die Erde legte ... oder wer sie brechen wird in der nächsten Stunde. Sie blüht und freut sich.

Endlich löste sich Gittli, tief aufathmend, aus den Armen des Jägers. Ihre Wangen glühten wie zwei Rosen. Mit zitternden Händen strich sie die Haare von den Schläfen zurück.

„Schau’, Haymoli, die Sonn’ steht schon über Mittag. Hast denn keinen Hunger?“

Er schüttelte lachend den Kopf.

„Aber ich!“ sagte sie kleinlaut.

Da sprang er ganz erschrocken auf. „Ja komm’ doch,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_541.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)