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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

kleiner und kleiner, nun glich es schon einem winzigen Stern, und jetzt ... die Scheibe mußte auf einen Fels gefallen und zersplittert sein ... jetzt sprühte der Stern in hundert Funken auseinander, welche sacht erloschen.

Zwei Zähren rollten über Haymos Wangen. So war sein leuchtendes Glück zerbrochen, versunken und erloschen.

Er wand sich aus dem jubelnden Kreis und trat in die Finsterniß des Waldes. Dort stand er im schwarzen Schatten der Bäume und starrte nach dem erlöschenden Sonnwendfeuer, dessen zuckende Flammen vor dem Licht des steigenden Mondes erblaßten. Er sah, wie eine Sennerin nach der anderen zum Feuer trat, um die Kienfackel zu entzünden. Paarweis zogen sie davon, bergab oder seitwärts über die Halden, jede Dirn’ mit ihrem Buben. Grüße, Jauchzer und Jodler hallten von allen Pfaden durch die mondhelle Nacht, und vom Steig herauf, der hinunterführte ins Klosterdorf, klangen noch die gurgelnden Töne der Sackpfeife. Bald waren die letzten Gestalten der Heimwärtsziehenden im Dämmerschein der Mondnacht entschwunden, und man sah auf allen Wegen nur noch die Fackeln ziehen, gleich gaukelnden Sternen ... und jeder von ihnen leuchtete einem heimlichen Glück, zärtlichem Geplauder und endlosen Küssen ...

Haymo wollte aus dem Walde hervortreten. Da sah er noch einen letzten zu dem erlöschenden Feuer treten. Jörgi war es. Er steckte ein Bündel Spähne in die Gluth, und als sie Feuer gefangen hatten, trng er die heilige Sonnwendflamme in Zenzas Hütte.

Haymo wollte ihm nicht begegnen; im Schatten des Waldes schritt er langsam dahin. Als er dann quer über das Almfeld wanderte, hörte er plötzlich in seiner Nähe ein bitterliches Weinen. Unter einer einsam stehenden Fichte sah er Zenza auf der Erde sitzen; sie hielt das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, und ihr ganzer Körper erschauerte von Schluchzen. Sie hörte seine Schritte nicht; erst als er, leise ihren Namen nennend, die Hand auf ihre Schulter legte, blickte sie erschrocken auf, und da sie ihn erkannte, fuhr sie ihn mit rauher Stimme an: „Was willst von mir?“

Ich hab’ Dich weinen hören ... und das hat mir weh gethan! Und ich möchte Dir’s abbitten, wenn ich Dir was Ungutes angethan hab’ ... schau, Zenz’, ich kann ja nichts dafür.“

Sie lachte zornig auf und stieß seine Hand zurück.

„So mußt nicht sein, Zenza! Es kann ja doch keins was dafür ... es hat halt nicht sein mögen, daß wir zwei uns zusammenfinden in Freud’ und Fried’ ... schau, Zenz’, so laß uns halt jetzt zusammenstehen und gute Kameradschaft halten im Herzleid! Könntest nur hineinschauen in mich, wie’s ausschaut da drin ... ich weiß, Du thät’st mir nimmer zürnen, sondern thät’st ein Erbarmen mit mir haben.“ In einem müden Seufzer erlosch seine leise, zitternde Stimme.

„Haymo!“ stammelte sie und zog ihn mit beiden Händen an ihre Seite. „Komm, schau, thu’ Dich vor mir nicht scheuen! Vor mir kannst alles reden. Was hast denn für ein Herzleid? Sag’s, Haymo, sag’s!“

In heiß überquellendem Schmerze rang es sich von seinen Lippen: „Ich kann die Dirn’ halt nicht vergessen ... und ich würg’ mich und plag’ mich und zwing’ mich, und ich kann’s halt nicht vergessen. Wo ich hinschau’ bei Tag und Nacht, überall steht ihr Gesichtl und schaut mich an. Jedes Lüftl im Wald, jedes Wasserl, das ich rinnen hör’, alles hat der Dirn’ ihre Stimm’. Jedes schlanke Bäumerl, jedes Blümerl thut mich mahnen dran. Und den See, den darf ich schon gar nimmer anschauen. Und nienderst hab’ ich kein Bleiben nimmer. Bin ich draußen, so treibt’s mich heim, und bin ich daheim, so treibt’s mich wieder fort! Das ganze Herz brennt’s mir zusammen wie ein dürres Scheitl Holz ... ich spür’s, Zenza, ich spür’s ... ich muß versterben dran!“

„Haymo! Jesus Maria! Du mein lieber Bub’ ...“ Sie verstummte. Dann gleich wieder sprach sie weiter, mit ruhiger, fester Stimme. „Ja, weswegen sollst Du denn die Dirn’ vergessen müssen? Thut Dich vielleicht die Gittli nicht mögen? Aber geh’, so eine dumme Frag’! Wie soll denn Dich eins nicht lieb haben! Ich weiß schon ... ich hab’s ja auch gehört ... man hat die Dirn’ fortgeschafft, gelt?“

„Ja, Zenza, ja!“

„Und warum denn?“

„Ich weiß nicht, es hat geheißen, man thät’ ihr Glück machen.“

„Glück?“ murrte das Mädchen. „Das Glück, das die Herrenleut’ für unsereins übrig haben, das geb’ ich keiner Kuh zu fressen. Aber sag’, wo ist denn die Dirn’ hingekommen?“

„Nach Salzburg zu den Domfrauen.“

„Wo schafft sie denn dort? Im Stall oder in der Küch’?“

„Ich weiß es nicht!“

Zenza blickte sinnend vor sich hin; dann sprang sie auf. „Schau, es muß schon mitternächtige Zeit sein ... das Mondmandl steigt schon wieder hinunter über die Berg’. Geh’, Bub’, steh’ auf und mach’, daß Du heim kommst ... schau, bist ja so müd’ und übernächtig, daß Dich schier nimmer auf den Füßen heben kannst. Da ... da hast Dein Kappl und Dein Griesbeil! So! Und jetzt schau, daß Du heimkommst und leg’ Dich richtig schlafen! Gut’ Nacht, Bub’!“

„Gut’ Nacht, Zenza!“ sagte Haymo mit versagender Stimme. „Und ... Vergelt’s Gott für den Haimgart!“

„Wohl wohl! Kehr’ nur wieder einmal zu auf meiner Alm! Morgen ... morgen bin ich nicht daheim. Aber übermorgen, ich mein’, da find’st mich schon wieder.“ Ein schmerzliches Lächeln zuckte um ihre Lippen. „Und jetzt schau, daß Du heim kommst – und schlaf’ auch! Gelt?“

„Wenn ich’s fertig bring’! Gut’ Nacht, Zenza!“

„Gut’ Nacht, Haymo! Und Glück auf Sonnwend!“

Sie schüttelten sich die Hände, und müden Ganges stieg Haymo über den Almenhang empor.

Zenza stand und blickte ihm nach, bis seine Gestalt im Zwielicht der Mondnacht zerfloß. „Nein, Bub’,“ stammelte sie, während ihr die Zähren über die Wangen kollerten, „versterben sollst mir nicht, solang’ ich noch eine Zung’ hab’ und Füß’ am Leib!“

Sie eilte der Hütte zu. Als sie zur Thür kam, sah sie Feuer auf dem Herd, Jörgi kauerte im Winkel und glotzte in die züngelnden Flammen. Mit leisen Schritten entfernte sich Zenza wieder; als sie den Steig erreichte, der in das Klosterdorf hinunterführte, begann sie zu laufen. Der helle Mondschein leuchtete auf ihren Weg.




25.

Bei grauendem Morgen erreichte Zenza das Dorf. Sie rastete nicht. Eilenden Ganges wanderte sie auf der Straße weiter; sie hatte das Röcklein geschürzt und führte in der Hand einen Stab, den sie im Bergwald gebrochen. Noch stieg keine Rauchsäule aus den Dächern, und Stille herrschte über allen Feldern und Wiesen. Es war ja Fronleichnamstag, das höchste Fest des Jahres! Viele Häuser waren schon mit Birkenbäumchen und Laubkränzen geziert, und vor anderen Gebäuden, die noch ungeschmückt waren, lagen die Birken haufenweise bereit. Niemand begegnete ihr; die Leute schliefen noch; nur manchmal fuhr kläffend aus einem Gehöft ein Hund hervor, der ein schweres Scheit Holz an den Hals geknebelt trug, das ihn hindern sollte, in den Klosterwäldern ein kleines Jagdvergnügen aufzusuchen.

Zwei Stunden tüchtigen Marsches, und Zenza erreichte den Markt Schellenberg. Hier waren die Leute schon munter; Erwachsene zierten die Häuser, Kinder bestreuten die Straße mit Blumen, die Salzknappen schmückten das Sudhaus und bauten unter dem Thor desselben einen Altar.

Zenza hungerte es. Sie trat in die Taferne. „Grüß Dich Gott, Leutgeb!“ sagte sie zum Wirth. „Kennst mich?“

„Wenn ich recht mein’, bist Du dem Eggebauer seine Tochter?“

„Wohl wohl!“

„Wo gehst denn hin in aller Früh?“

„Auf Salzburg hinein.“

„Willst Dir den Umgang anschauen?“

„Wohl wohl! Und weißt, ich bin völlig überhops von meiner Alm davon und hab’ vergessen, daß ich einen Zehrpfennig mitgenommen hätt’. Willst mir Essen und Trinken geben? Mein Vater zahlt schon, wenn er vorbeikommt. Und wenn noch ein Uebriges thun magst, so gieb mir zwanzig Heller mit auf den Weg!“

Die Tochter des reichen Eggebauern hatte ein leichtes Fordern; hätte sie nicht zwanzig Heller sondern zwanzig Schilling begehrt, der Leutgeb hätte auch einen Katzebuckel gemacht und wär’ gesprungen, um den Kasten aufzuthun.

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