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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Geschäft betrieben haben, so ziemlich dieselbe gebliebett, d. h., sie besteht in einer rücksichtslosen Ausbeutung des Fischbestandes in den gepachteten Gewässern. Sommer und Winter wird mit fünf bis sechs großen Schleppnetzen zu gleicher Zeit gefischt und soviel als möglich aus den Seen herausgeholt. Für die Erneuerung des Fischbestandes mag der Himmel sorgen, die Regierung und der Fischereiverein, der sich bei dem Pächter einer besonderen Unbeliebtheit erfreut; denn seinem Wirken schreibt er es hauptsächlich zu, wenn er in seinem Geschäftsbetrieb von allerhand lästigen Kontrollmaßregeln behelligt wird.

Die Haupterntezeit des Pächters fällt in die zweite Hälfte des Winters; einmal wegen des leichteren Betriebes der Fischerei auf dem Eise, andererseits weil während der „post“, der großen Fastenzeit, der stärkste Absatz nach Polen ist.

Der Ertrag der masurischen Seen wandert daher zu seinem größten Theile über die Grenze, im Winter in leichte Holzfässer, sogenannte Solanken, verpackt, im Sommer in großen eisgefüllten Bütten. So kommt es, daß im Inland ein ordentliches Gericht Fische oft ein seltener Leckerbissen ist. In der Stadt Lyck z. B., am fischreichen Lycksee und in der Nähe des Hauptquartiers des Generalpächters, ist es der Hausfrau zu Zeiten ganz unmöglich, ein Gericht Fische zu kaufen, falls sie nicht in einer Käthnersfrau aus den Seedörfern eine Lieferantin besitzt, die morgens vorsichtig im Korbe das Erträgniß des nächtlichen von ihrem Gatten unternommenen Beutezuges zur Stadt trägt. Die Ursache dieses bedauerlichen Zustandes liegt zum Theil darin, daß der Pächter in Polen weit höhere Preise erzielt als im Inland, zum Theil wohl auch darin, daß der ganze Betrieb seines Geschäftes auf einen Kleinverschleiß der gewonnenen Fische nicht eingerichtet ist.

Zu der Bedienung eines großen „Niewod“, eines Schleppnetzes, gehören außer einem Pferdegespann etwa zwanzig Mann und der Dienst dieser Fischer ist kein leichter. Er fordert wetterharte Gesellen, denen es gleichgültig sein muß, ob der rauhe Nordwind ihnen den Schnee ins Gesicht treibt, ob sie in schneidender Kälte mit frostgerötheten Händen die nassen Stricke schleppen oder im Frühjahr auf dem bereits morschen Eise in steter Gefahr bis an die Knie im Wasser waten.

Frühmorgens, wenn der Tag zu grauen beginnt, geht es hinaus auf das Eis. Der Fischmeister läßt im Eise die erforderlichen Löcher, die „Wuhnen“, schlagen, das Netz wird kunstgerecht versenkt und an langen Stangen werden die Schleppstricke unter dem Eise fortgeleitet bis in die Nähe der großen Oluga, der Auszugswuhne. Dort stehen tonnenförmige Winden, fest verankert; die Taue werden umgelegt, und nun beginnt die langwierige und beschwerliche Arbeit des Schleppens. Die Stricke ziehen an, die mächtigen Netzflügel breiten sich aus und langsam streicht der sich blähende Sack am Grunde hin, alles aufnehmend, was in seinen Bereich gelangt.

Allmählich wird die Umschlingung enger. Die Taue werden von den Winden gelöst, die Fischer scharen sich um die große Wuhne und vierzig Hände greifen zu, um das Netz an die Oberfläche zu schaffen. Jetzt erscheinen die Flügel, der Fischmeister tritt in die Mitte der beiden Männerreihen und läßt in kurzen Zwischenräumen den „Trimp“, eine geschmeidige Stange mit einem glockenförmigen Aufsatz am unteren Ende, in die Wuhne sausen, um durch das dröhnende Geräusch die vor dem Zuge fliehenden Fische in den Sack zurückzuscheuchen.

Ein gewaltiges Lärmen und Schreien, das unumgänglich zur Sache zu gehören scheint, begleitet die Arbeit. Die Fischer streiten um die ihnen zufallenden Fische aus den Netzflügeln, die sie behende während des Schleppens herauslesen und den hinter ihnen stehenden Weibern und Kindern zuwerfen oder in der bastgeflochtenen Umhängetasche bergen; dazwischeu schilt und poltert der Fischmeister und drängt zur Eile, das Eis um die große Wuhne beginnt sich unter dem Gewicht des durchnäßten Netzes und der drängenden Menschenmenge zu senken, so daß die Fischer bis über die Knöchel im Wasser stehen – endlich kommt der Sack. Mit einem kräftigen Zuge wird er auf das Eis gehoben, die Bindeschnur gelöst, und unter stetem Fluchen und Zetern des Fischmeisters, der Mühe hat, den diebisch von allen Seiten zugreifenden Händen zu wehren, wird die zappelnde Beute in den Solanken geborgen.

Eine kurze Ruhepause tritt ein. Die Männer verschnaufen ein paar Minuten von der anstrengenden Arbeit, die ihnen trotz der Winterkälte den Schweiß auf die Stirne getrieben hat, und stärken sich mit einem herzhaften Schlucke. Dann werden die Netze, Taue und Stangen auf die Schlitten geladen und die ganze Fischerkarawane setzt sich in Bewegung zum nächsten Zuge.

So geht es fort bis zur hereinbrechenden Dunkelheit. Der Abend findet dann meistens die harten Gesellen in der Schenke des Dorfes. Dort sitzen sie in ihren wasserverschlissenen Kleidern, den hohen Thranstiefeln, um die weißgescheuerten Holztische, qualmen aus ihren kurzen Pfeifen und lassen die grüne Flasche im Kreise wandern. Hier spielt unter schmetterndem Faustschlag ein Paar Sechsundsechzig mit Karten, deren Bedeutung infolge der starrenden Schmutzschicht nur ganz Eingeweihten klar ist, in einer Ecke hat sich eine dichte Gruppe gebildet, in deren Mitte ein Musikverständiger die Ziehharmonika handhabt, und bei alledem wird viel, sehr viel Schnaps getrunken. Wer möchte es den armen Teufeln verargen, daß sie sich die wenigen Stunden, in denen sie nicht Lastthiere sind, auf ihre Weise versüßen? Am anderen Morgen, bei Tagesgrauen, geht es wieder hinaus auf das Eis, an die Arbeit.

Von den zahlreichen sonstigen Arten der Fischerei kennt der Pächter nur noch das Stellen der Säcke zum Fang der Schleien und Karauschen sowie das Fischen mit der „Klepp“, einem dem großen Niewod ähnlichen Netze, nur von geringerem Umfang. Die „Klepp“ findet auf den kleinen Gewässern Verwendung, wie dies unsere Abbildung (rechts unten) veranschaulicht. Die übrigen Arten, das Fischen mit den „Ganten“, den Stellnetzen, der Angel, überläßt er, als zu wenig lohnend, den sonstigen Berechtigten und Unberechtigten. Und doch liegt gerade in ihrer Ausübung ein Zauber, der die Thatsache erklären hilft, daß ein großer Theil der Raubfischer mehr aus Leidenschaft seinem verbotenen Handwerk nachgeht als um des oft kärglich anfallenden Gewinnes willen.

Die stete Gefahr, dem auf der Streife befindlichen Aufseher in die Hände zu fällen, das Gefühl, nicht nur Jäger, sondern zu gleicher Zeit auch Gejagter zu sein, erhöht dem echten Raubfischer nur noch den Reiz seiner nächtlichen Fahrten. Stets auf der Hut zu sein, auf jedes verdächtige Geräusch zu passen – wie sich da die Ohren schärfen und die Augen das Dunkel der Nacht zu durchdringen suchen! Und ist es dem Aufseher einmal gelungen, sich an die Fischenden anzupürschen, und ertönt sein Ruf: „Halt, wer da?“, dann fliegt die Spitze des Kahnes herum nach dem offenen Wasser, und der Bursche an den Schlagrudern legt sich hinein, daß das Wasser gurgelnd am Buge schäumt und der schlanke Kahn wie ein Vogel über die Wellen streicht. Der Aufseher muß schon einen tüchtigen Ruderknecht haben, wenn er die Fliehenden einholen will, denn diese rudern um ihre Haut! Und wie die Burschen dann lachen, wenn sie, der Hetzjagd glücklich entronnen, daheim am Herdfeuer sitzen. Das Gefühl, dem verhaßten „Ofzer“ ein Schnippchen geschlagen zu haben, ist ihnen mehr werth als ein gelungener Fischzug.

Nicht immer verläuft jedoch ein solches Zusammentreffen so glimpflich. Es kommt vor, daß die Ueberraschten, in die Enge getrieben, sich zur Wehre setzen und, wenn sie in der Mehrzahl sind, dem Aufseher sammt seinen Gehilfen übel mitspielen. Die harten Strafen, mit denen das Gericht solche Vergehen ahndet, haben es jedoch zu Wege gebracht, daß dieselben immer seltener werden.

Weit harmloser sind diejenigen „Contravenienten“, die der Fischerei mit der Angel nachgehen. Sie begnügen sich damit, beim Erscheinen des Aufsehers ihr Geräth auf die Schulter zu nehmen und auszureißen, so schnell sie ihre Beine tragen wollen. Der Beamte läßt sich auch selten auf ihre Verfolgung ein, denn der Schaden, den sie dem Fischbestand zufügen, ist wahrlich kein großer.

Außer den zahlreichen Fischen aller Art, vom mächtigen Wels bis zum winzigen Stichling, bergen die masurischen Seen noch einen Bewohner, dem Berechtigte und Unberechtigte mit gleichem Eifer nachstellen, den Krebs.

Auch die Krebsfischerei ist verpachtet, und zwar an einen besonderen Generalpächter, der die Ausbeute der masurischen Seen nach Berlin und selbst bis nach Paris versendet. Da aber das schmackhafte Krustenthier von einheimischen Feinschmeckern nicht minder geschätzt wird als von den Berlinern und Parisern, so wird in allen Seedörfern der Krebsfang, natürlich der unerlaubte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_499.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2022)