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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ziemlich selten. Eine stumpfe Nase ist typisch; dagegen besitzen die Mädchen oft ein reiches, lichtgelbes Haar, welches ihnen, gewöhnlich nur zum Theile in Zöpfe gebunden und im übrigen frei über die Schultern herabwallend, neben den blauen Augen gut steht. Ebenso rühmen sie sich einer schlanken Taille und kleiner Füße.

Die Wohnungen auf Island sind, außer in den Städten, meist aus übereinander gelegtem breiten Grastorf mit dazwischen ruhenden großen Feldsteinen gebaut und haben nur nach der Front eine mit Brettern verkleidete und mit Fenstern versehene Giebelwand. Zu einem Bauernhof gehören sechs und mehr solcher Erdhäuser, welche, mit den breiten Seiten nebeneinander stehend und mit Grasdächern versehen, sich in der Landschaft wie eine Reihe grüner Hügel ausnehmen. In den Städten und Handelsorten baut man Häuser wie bei uns aus Stein und Holz. Die Kirchen sind selten aus Erde, meist von Holz, einige auch aus Steinen aufgeführt. Von wie kunstloser Bauart dieselben oft sind, führt die Abbildung des Gotteshauses von Reykjahlidar auf S. 407 deutlich vor Augen. Steinbauten sind übrigens nicht praktisch für die so weit nördlich gelegenen Länder, da in den kurzen, kühlen Sommern die Sonne nicht die Kraft hat, die massiven, vom Winter mit Feuchtigkeit durchzogenen Wände genügend auszutrocknen. In den Häusern sind alle Räume neben-, nicht übereinander angebracht; nur die Wohnstube befindet sich hier und da in einem Bodenraum; sonst aber gilt die Regel: soviele Gemächer, ebensoviele durch breite Mauern gesonderte Hütten. Drei oder vier derselben stehen nach vorn in einer geraden Linie. Davon ist immer eine die Schmiede und eine andere die Fahrnißhütte. Küche und Vorrathskammer liegen überall rückwärts. Im Südland befindet sich die Wohnstube gewöhnlich vorn in der Mitte, im Nordland im hintersten Hause. Ueberall stehen Wohnstube, Küche, Vorrathskammer und Fremdenstube durch einen Gang in Verbindung, während die übrigen Räume nur durch gemeinsame Mauern zusammenhängen. Auch der Haupteingang führt gewöhnlich durch einen finsteren Gang.

 Isländerin
 im Werktagsgewand.

Isländische Braut. Auf der Reise.

Was die Kleidung der Isländer betrifft, so ist die der Männer ganz dieselbe wie bei uns, nur daß sie selbstverständlich etwas wärmer und überhaupt „handfester“ sein muß. Eigenthümlicher ist die Nationaltracht der isländischen Frauen. Für gewöhnlich besteht sie aus einem wollenen Hemde und dunkelblauen oder rothen wollenen Strümpfen, weißleinenen Unterröcken; darüber wird eine enganliegende und engärmelige Jacke und ein Rock von blauem oder schwarzem Vadmal (Fries) gezogen; ein seidenes Halstuch vollendet den Anzug nebst einer blauen oder schwarzen Mütze, deren Spitze mit einer rothen oder grünen Quaste versehen ist und an einer Seite herabhängt. Die Festtagsjacke ist hinten und vorn mit silbernen Tressen, silbernen Haken und künstlich gearbeiteten silbernen Knöpfen versehen, der untere Rand des Rockes mit Sammetstreifen besetzt. Der Rock wird mit einem silbernen oder einem Sammetgürtel befestigt, welcher mit vielen Zieraten und den Anfangsbuchstaben des Namens der Trägerin versehen ist. Um den Hals kommt ein mit Silber gestickter Kragen oder eine Krause, der Kopfputz aber besteht aus einem mit einer unzähligen Menge von Nadeln 40 bis 50 Centimeter hoch aufgesteckten „Faldur“ (Turban) von weißer Leinwand, der, wo er den Kopf verläßt, rundlich ist, dann aber flach wird, sich mit seinem schmäleren, viereckigen Ende wie ein Helmkamm nach vorn biegt und um den Kopf mit einem schwarzen oder dunkelfarbigen seidenen Tuche befestigt wird. Der Brautanzug ist noch üppiger, vorzüglich der Faldur, welcher alsdann sehr zierlich mit einem reich mit Gold gestickten Netze geschmückt wird. Ein solch stattlicher Anzug erreicht oft einen Werth von 400 Reichsthalern, vererbt sich aber auch 200 Jahre hindurch von einer Generation auf die andere.

Leider ist diese Volkstracht der isländischen Frauen jetzt bereits im Verschwinden begriffen und weicht mehr und mehr der modernen Kleidung. Nur die Zipfelhaube ist noch überall, auch in Reykjavik, in Gebrauch. Eigenthümlich ist auf Island seit alter Zeit die Vorliebe für die schwarzblaue Farbe. Aus der Ferne erscheint dieselbe schwarz, was einen düsteren Eindruck macht; „wenn man auf der Insel ans Land steigt, wähnt man beim ersten Anblick, die ganze Bevölkerung trüge Trauer.“

Die hauptsächlichste Beschäftigung der Isländer ist Viehzucht. Der Bauer spekuliert jedoch auch nebenbei in den reichen Fischereien, macht Jagd auf Vögel – deren Fleisch und Eier er ißt, deren Federn er benutzt – auf Füchse, Renthiere und zuweilen auf Eisbären. Während des Sommers treibt man das Vieh, vor allen Dingen die Schafe, hinaus auf die Hochweiden, wo es von Knaben oder Mädchen gehütet wird, zum Theil aber auch ohne jedwede Bewachung halbwild lebt und sich dahin und dorthin zerstreut. Im Herbste zieht man dann aus, um das Vieh zu sammeln und in die Niederungen zurückzutreiben, und dieses „Begehen“ der Hochweiden gehört zu den lustigsten Geschäften der Isländer. Unter der Leitung des Gemeindevorstehers oder auch eines eigens zu solchem Behufe gewählten „Bergkönigs“, so erzählt Konrad Maurer, zieht die jugendliche Mannschaft ganzer großer Bezirke, jeder Mann von einem tüchtigen Schafhund begleitet, nach dem Sammelplatz. Hier wird Musterung gehalten, und je nach Bedarf theilt der Bergkönig seine Leute in kleinere Haufen, denen er eigene Führer vorsetzt; jedem Haufen wird sein Ausgangspunkt, die Richtung des Ganges und der Ort, wo für die Nacht das Zelt aufzuschlagen ist, bezeichnet. Nun beginnt, sei es zu Fuß oder zu Pferde, eine Art von Kesseltreiben, indem man von obenher die Thiere zu umstellen und dann durch allmähliches Schließen des Kreises abwärts in die Thäler zu treiben sucht; an einem bestimmten Punkte werden sie gesammelt und von denen, die bei der Bergbegehung selbst nicht mitwirkten, in Empfang und Hut genommen, um dann nach Ausweis der in die Ohren eingeschnittenen Erkennungszeichen unter die einzelnen Eigenthümer vertheilt zu werden. An dem Sammelplatz pflegt ein fröhliches Fest gefeiert zu werden, das sich wohl mehrere Tage lang hinziehen kann, wenn die Menge des Viehes die Auseinandersetzung erschwert.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_408.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)