Seite:Die Gartenlaube (1892) 405.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Reykjavik.

Kreuz und quer durch Island.

Von Carl Küchler.
Mit Zeichnungen von Hans Bohrdt.

„Es ist ein Land, das ist so anspruchslos,
Doch birgt es heilig Gut im Geistesschoß:
     Ist heut noch groß
     An Ehr’ und Muth,
Wie’s seinen Vätern stand so gut.“

So singt der nordische Dichter in begeisterter Vaterlandsliebe von jener einsamen Insel am Polarkreis, von der schon die Alten Kunde hatten, die sie aber nie erreicht haben, deren Bewohner, fern allem Lärm der Welt, heute noch ein urgermanisches Völkchen bilden, dessen litterarische Sprachschätze fast einzig und allein uns wieder hineingeführt haben in die altgermanische Heldenzeit und den Schleier gehoben von der erhabenen Götterwelt unserer Vorfahren, dessen Sprache heute noch ein gewaltiges Denkmal echter, rechter altgermanischer Kraft und Kernigkeit bildet. Dieses Völkchen und sein Leben und Treiben, dieses Land und seine gewaltige, großartig schöne Natur sind es, die wir heute in Wort und Bild an uns vorüberziehen lassen wollen.

Schon die äußere Form der Insel Island, die in politischer Beziehung zu Dänemark gehört, ist äußerst reich an Abwechslung. Im Süden finden wir kaum eine nennenswerthe Bucht, nur erweiterte Flußmündungen und Strandseen wie an den Küsten Pommerns. Im Westen dagegen stoßen wir auf zwei bedeutende Buchten, den Faxafjördur und den Breidifjördur, die wieder in zahlreiche, tief einschneidende Fjorde auslaufen. Im Nordwesten ist jene vielzackige, zerrissene Halbinsel angesetzt, die, dreigetheilt, die Dreitheilung in jedem ihrer Glieder fortsetzt. Der Nordrand, schon von den kalten und kältenden Flächen des Eismeeres umspült, zeigt fünf Buchten, die von West nach Ost an Größe abnehmen und immer flacher werden; am Skialfandi und Axarfjördur sieht man auch sofort die Ursache der Verflachung; es ist eine durch die mächtigen Ströme bewirkte fortgesetzte Ablagerung von Sand aus eruptiven Gesteinen. Das Ostufer endlich mahnt namentlich in seinem südlicheren Theile an die Küsten Norwegens, nur daß diese reiches Leben gestatten, während jenes, umtost von furchtbarer Brandung, kaum einigen Dörfern Platz und Weidegrund bietet.

Nur wenig ist von dem Innern der Insel besiedlungsfähig, die äußersten Küstenstreifen, dann etwa noch ein Strich Landes vom südlichsten Kap Portland im Bogen bis zur nordwestlichen Halbinsel und allenfalls noch die Ufer einiger Flüsse, – dies zusammen bildet den weitaus größten Theil des bewohnbaren Gebietes. Alles übrige ist Einöde, schauervolle Wüste. Grabesruhe herrscht über den erstarrten Massen; kein organisches Leben, nur der Donner der Wasserfälle, das Geheul der Winde, die Stöße der Vulkane mannigfacher Art erinnern den Wanderer daran, daß „hier das Leben tot und das Tote lebend“ sei. Hunderte von Quadratmeilen hat noch nie eines Menschen Fuß betreten, kaum wird es je einem gelingen, von dem Riesenlavafeld der „Odada Hraun“ nach dem 170 Quadratmeilen umfassenden Gebiet des „Vatna Jökull“, des größten Gletschers der Insel, vorzudringen. Die ganze Insel ist ein Gebirgsland; schon unmittelbar an der Küste erheben sich hier und da gewaltige Gletscher, wie dies unsere Abbildung auf Seite 409 veranschaulicht; das Innere ist, wie gesagt, eine schauerliche Einöde, unfruchtbar, von großen Sand- und Lavastrecken durchfurcht. Der Sand, durch seine Feinheit oft äußerst gefährlich, wird durch die rasenden Stürme und die wasserreichen Ströme von den Abhängen der Berge weit weggeführt und da und dort in Massen aufgespeichert; häufig genug sinkt das Pferd bis an den Hals im Triebsand ein und mancher Wanderer wurde unter ihm begraben. Dies Land ist noch nicht zur Ruhe gekommen, und „Lavaland“ hat man es schon genannt. Da hört man im Innern der Erde ein dumpfes Donnern – der Boden wird von Erdbeben erschüttert, an vielen Stellen wallt Dampf auf – und nun öffnen sich an einem oder mehreren Orten, auf Bergen oder in Thälern, Krater, aus denen Lavaströme fließen; vulkanische Asche steigt auf, welche, vom Winde gefaßt, über die ganze Insel ausgestreut wird. Auf diese Weise sind wohl Hunderte von Quadratmeilen ehemaliger fetter Wiesengründe in unfruchtbare, unzugängliche Oede verwandelt worden.

Das eintönige Gepräge der ganzen Insel unterbrechen dann und wann jene Flüsse, die nur auf einer Spezialkarte als das erscheinen, was sie sind: als Ströme von bedeutender Tiefe und Breite. Sie vermehren aber fast alle den unheimlichen, beängstigenden Eindruck; sie steigern im Menschen das Gefühl der Verlassenheit und der Ohnmacht. Pfeilschnell schießen sie über den Lavaboden hin, an den Rissen und Klüften gefährliche Wirbel bildend. Die schwarze Lava ist ein gar zu düsteres Bett, selbst wenn milchweißes Wasser, wie dies bei manchem der Flüsse der Fall ist, über sie hinwegströmt. Keine

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_405.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)