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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

das Außerordentliche, daß in den Briefen, die von 1823 bis 1890 gehen, von Anfang an dieselbe geschlossene Persönlichkeit uns entgegentritt. Es ist, als ob dieser reiche Baum immer in Blüthen und Früchten zugleich gestanden hätte: wie schon der Jüngling ganz die geistigen Züge des Mannes trägt, so besitzt noch der Neunzigjährige die Unermüdlichkeit der Jugend. Daß eine so einzigartige Stetigkeit des ganzen Wesens nicht ohne Kämpfe erreicht werden konnte, ist selbstverständlich. Aber das ist das Bezeichnende bei Moltke, daß sich die Kämpfe nicht auf die Oberfläche wagen dürfen, daß er es nicht der Mühe werth findet, ihnen in seinen Briefen, die doch auch bei ihm die geheimsten Zeugen der Entwicklung sind, Worte zu leihen. Nur einmal klingt etwas davon an, aber bloß, um sofort wieder als krankhaft zurückgewiesen zu werden; im Jahre 1825 schreibt er der Mutter von aeinem „verwundeten Herzen“, das „durch vereitelte Wünsche, Kränkungen und Feindschaft niedergedrückt“ sei, doch im nächsten Augenblick setzt er hinzu: „Aber in meinen Jahren ist dies Krankheit.“

Allein neben diesem unschätzbaren Ertrag an Klarheit und Energie des Strebens brachte jene entbehrungsvolle Zeit für Moltke anderes, was kein Gewinn zu nennen war. Niemand geht ohne inneren Verlust durch eine freudlose Jugend. Er selbst spricht von seiner „Zurückhaltung, welche die Frucht einer unter lauter feindseligen Verhältnissen verlebten Jugend sei und nothwendig wieder Zurückhaltung bei anderen erzeuge“; er leidet unter einem verschlossenen und spröden Wesen, das ihm unwillkürlich zu eigen geworden ist, und giebt diese Züge einem der Helden in seiner Novelle „Die beiden Freunde“, in der er zugleich seiner Jugendliebe ein wehmüthiges Denkmal setzt, jener Liebe, über die er in einem Briefe an seine Mutter mit dem stillen Wort der Entsagung weggehen muß. „Hier ist ein Mädchen, das recht verdient, Deine Schwiegertochter zu sein. Es ist eine Gräfin Reichenbach. Sie ist bildschön und erzogen – Du würdest sie auf Händen tragen. Aber leider ist sie unvermögend.“

An der Hofgarten-Kaserne in München.
Nach einer Zeichnung von P. Bauer.

Auch diese Neigung, die offenbar tief gegangen ist, sollte wie so vieles Schöne in seinem Dasein seiner Armuth zum Opfer fallen. Und daß ihn bei alledem die harte Jugend nicht selbst hart gemacht hat, das ist das Wohlthuende. Obgleich aus diesem Leben frühe die Illusionen schwinden müssen, die bei anderen die rauhe Wirklichkeit mit weichem Schimmer umkleiden und im Lande der Zukunft tausend reifende Hoffnungen zeigen, so wird es doch nicht nüchtern und selbstsüchtig. Die Vernunft giebt bei ihm den Dingen das Maß, aber er wahrt sich die Wärme des Gemüths. Wie herzlich ist das Verhältniß zu seiner Mutter, und wie anspruchslos und innig zugleich offenbart er sein Gefühl! Eine Blume von der höchsten Spitze der Schneekoppe, ein Oelzweig vom Grabe des Patroklus im fernen Troja, dem Briefe beigelegt, sagt der Mutter mehr als alle Worte, daß er in der Fremde ihrer gedacht. Ein Sternbild, das sie oft bewundert hat, nennt er „ihren Stern“. „Dein schöner Stern hat mir alle Morgen früh geleuchtet, wenn ich vor Sonnenaufgang ausritt,“ schreibt er aus Konstantinopel. Mit jedem Guten, das auf seinem Weg erblüht, verknüpft er dies Sternbild. Als er, schon ein gereifter Mann, in der jugendlich anmuthigen Marie Burt „ein Herz gefunden hat, welches ihn liebt“, da sagt er der Braut in einem der ersten Briefe: „Wenn Du abends nach neun Uhr gegen Süden blickst, so wirst Du einen prachtvollen Stern am Horizont aufsteigen sehen. Es ist derselbe. den meine selige Mutter so oft bewunderte. Ich sah ihn nie, ohne an sie dabei zu denken, und habe den Glauben, daß es mein guter Stern ist. Denke dann an mich! ... Oft wenn ich in fernen asiatischen Steppen den langen heißen Tag geritten und die Nacht herabsank, ehe die müden Pferde ihr Nachtquartier erreicht, oder wenn ich auf dem flachen Dache der Wohnung meine Teppiche zum Lager breiten ließ, trat er mit südlicher Klarheit aus dem Abendroth hervor und leuchtete so milde, als wollte er sagen. Reite nur getrost und vergiß alle Sorgen, du wirst doch noch ein Herz finden, welches dich liebt. Und so habe ich Dich gefunden, theure Marie.“ –

Moltke hat als spärlich besoldeter Lieutenant einen schweren Weg. Der Stand seiner Finanzen „ist oft so niedrig wie der des Wetterglases“, einen Brief aus Schlesien an seine Mutter muß er sich versagen, denn das Porto ist „so ungeheuer groß“, er frühstückt nie und ißt oft auch abends nichts, weil angeblich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_381.jpg&oldid=- (Version vom 1.10.2020)