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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Haymo schüttelte den Kopf. „Sein Gesicht war angerußt!“

Tief athmete Gittli auf; dann sagte sie zu Walti: „Geh’, thu’ den Becher spülen … jetzt muß er den Wein kriegen!“

Der Bub’ nahm den Becher vom Tisch und rannte hinaus.

„Haymo,“ stammelte Gittli leise, „gelt, wenn sie Dich ausfragen … nachher sag’s nicht, daß es beim Kreuz geschehen ist!“

„Warum nicht?“

Sie senkte das Köpfchen und lispelte: „Weil … weil ich Dich bitten thu’!“

Er nickte vor sich hin. „Ich weiß schon, wie Du’s meinst! Gelt, meinst, weil sie Gottesleut’ sind … und müßten sich kränken, wenn sie hören thäten, daß ihr Herrgott so was hat geschehen lassen!“ Ein bitteres Lächeln zuckte um seine Lippen. „Zu mir hat er reden mögen! Warum denn hat er nicht auch zum anderen sagen können: thu’s nicht, thu’s nicht?“

Gittli hing an ihm mit angstvollen Augen; sie verstand seine Worte nicht. „Haymo …“

Sie konnte nicht weitersprechen, denn Walti kam zurück. Mit zitternder Hand reichte sie dem Jäger den gefüllten Becher, den er mit dürstenden Zügen leerte, mit dem Becher zugleich ihre Hand gefangen haltend. Und als er dann aufblickte zu ihr mit glänzenden Augen, flüsterte er: „Nein, Gittli, nein, ich darf nimmer fragen: warum? Ich weiß ja schon, warum er’s hat geschehen lassen … ich weiß es … weiß es!“ Und er zog ihre Hand mit dem Becher an seine Brust.

Sie ließ ihn gewähren und stand, als wüßte sie nicht, wie ihr geschehe. Und da er ihre Hand nun freigab, blickte sie auf, wie erwachend, nahm wortlos die Schüssel und ging der Thüre zu.

„Gittli!“ rief er ihr leise nach. „Kommst bald wieder?“

„Wohl wohl, Haymo!“ lispelte sie und verließ die Hütte.

„Hohohoho!“ lachte Walti auf, klemmte die Hände zwischen die Knie und schüttelte vor Vergnügen die Schultern.

„Was hast denn, dummer Bub’?“

„Ich weiß auch was! Hohohoho! Ich weiß auch was!“ Und kichernd steckte er den Kopf in den Winkel zwischen Bett und Bank.

Draußen vor der Hütte stand Gittli, fuhr mit dem Rücken der freien Hand über ihre heißen Wangen und stammelte: „Was weiß er denn … was kann er denn wissen?“ Und mit zögernden Schritten ging sie der Herrenhütte zu.

Einer der Knechte kam ihr entgegen; er habe ihr eine Botschaft auszurichten. Ihr Bruder, der Sudmann, sei in der Nacht zu den Almen gekommen und habe gejammert, daß seine Schwester seit zwei Tagen fehle, und daß kein Mensch wisse, wohin sie gekommen sei. Als ihm die Knechte erzählten, daß seine Schwester den Jäger todwund gefunden und in der Hütte gepflegt habe, bis die Herrenleute kamen, da habe er sich vor Staunen kaum fassen können; jedes Wort, das er gesprochen, sei ein Lob für seine Schwester gewesen; und sie solle nur ja in der Hütte bleiben, solange die Herrenleute sie nöthig hätten; er selbst wäre gerne noch zu ihr hinaufgestiegen in die Röth’; aber da er nun wisse, daß sie wohlauf und sicher geborgen sei – habe er gesagt – so wolle er lieber wieder heimlaufen, um die Schicht im Sudhaus nicht zu versäumen. Er thue die Schwester recht, recht schön grüßen lassen. Mit Bangen und Zittern hörte Gittli diese Botschaft an, welche sie nicht zu verstehen vermochte. Wie wäre es ihrem kindlichen Sinn auch beigefallen, daß Wolfrat diesen Gang zur Alm, wo er die Knechte zu finden hoffte, nur gethan hatte, um einen drohenden Verdacht von sich abzuwenden! Denn wenn er die Schwester hätte gehen lassen, ohne sich weiter um ihr Verbleiben zu kümmern, dann mußte er wissen, weshalb sie gegangen war, wissen, wo und weshalb sie blieb.

Als Gittli die Herrenhütte betrat, kam sie gerade recht, um Herrn Schluttemanns Auferstehung mitzufeiern. Sein Kopf erschien auf einmal über dem Rand des Heubodens. Wo aber hatte er das Gesicht gelassen, das er sonst an jedem Morgen zu zeigen pflegte – jenes zornbrennende Gesicht mit den gerunzelten Brauen, den rollenden Augen und dem gesträubten Schnauzbart? Er schien sich verwandelt zu haben in diesem langen Schlaf; sanft hing ihm der Schnauzbart über die Lippen, lustig blitzten seine Augen, und mit einem Gesicht, lachend bis zu den Ohren, stieg er über die Sprossen nieder … Frater Severin meinte: wie der strahlende Erzengel Gabriel über die Himmelsleiter.

Auf der Erde angelangt, streckte und dehnte er sich, rieb vergnügt die Hände, schlug dem Frater die flache Hand auf den breiten Buckel, kneipte Gittli in die Wange und trat mit fröhlichem Gruß in das Herrenstüblein. Und während nun Stunde um Stunde verging, hörte man seine lachende Stimme an allen Ecken und Enden, bald im Herrenhaus und bald in der Jägerhütte. Hier wurde er freilich von Herrn Heinrich ausgetrieben, um Haymo einen ruhigen, stärkenden Schlaf zu sichern.

Einige Stunden nach Mittag versiegte der Regen, die Wolken klüfteten sich, und die Sonne warf, ehe sie hinter die Berge sank, noch einen goldigen Schein über die beiden Hütten.

Herr Heinrich nahm die Armbrust auf den Rücken und stieg zum Kreuzwald empor; der Vogt machte sich mit den Knechten auf die Suche, und Pater Desertus wanderte einer nahen Felshöhe zu – dort sah ihn Gittli auf einem Steinblock sitzen, bis der Abend dämmerte. Haymo schlief, und Gittli weilte mit Frater Severin und Walti auf der Bank vor der Hütte, mit halbem Ohr nur hörend, was die beiden plauderten; in Sorg’ und Unruh’ glitten ihre Blicke immer wieder hinüber nach dem Steinthal; die drückendste Angst war aber doch von ihr genommen. Sie hatte ja nun einen Schutzengel, der droben im Himmel sorgte für sie, für den Wolfrat und die Seph’. Und was der Bruder auch gesündigt … sie hatte es doch ein lützel wieder gut gemacht!

Der erste, der zurückkam, war Herr Schluttemann. Er hatte nichts gefunden, rein gar nichts! Der Regen hatte Haymos blutige Fährte und die Schweißspur des verschleppten Steinbocks ausgelöscht. Ja … der Schutzengel!

Bei Einbruch der Nacht kehrte der Propst mit Pater Desertus zurück. Herr Heinrich hatte eine Fehlpirsch auf den Auerhahn gethan. Beim Niederstieg aber hatte er einen Luchs aufgescheucht und dem fliehenden Raubthier einen Bolzen nachgeschickt. Nun sollten zwei der Knechte während der Nacht hinunter zum Kloster, um die beiden Schweißhunde zu holen, die Hel und den Weckauf. Einem der Knechte trug Herr Heinrich auf, im Hause des Sudmanns vorzusprechen, um für Gittli mitzubringen, was sie nöthig hätte an Gewand und Leinen. Bald nachdem der Abendimbiß eingenommen war, wurde es still in den beiden Hütten; Gittli und Walti wachten bei Haymo; Herr Heinrich, der vor Tag wieder auf den Beinen sein wollte, hatte sich zur Ruhe begeben, und Pater Desertus mußte seinem Beispiel folgen.

(Fortsetzung folgt.)




Deutsches Wort und deutscher Sang.
Zum ersten deutsch-akademischen Sängerfest in Salzburg, 4.–7. Juni 1892.


Heilig, Brüder, ist das Feuer,
Das in unsren Herzen flammt!
Ihr seid unser – wir sind euer:
Einer Mutter all’ entstammt!
Ob uns äußre Macht zerrissen,
Deutscher Geist zerbricht den Zwang:
Eins sind wir in deutschem Wissen,
Deutschem Wort und deutschem Sang!

Lichte Sterne, bleibt uns Lenker
Hoch am Himmel deutscher Kunst!
Deutsche Dichter, deutsche Denker,
Scheucht der Tiefe gift’gen Dunst!
Rings umdräut in wilder Welle
Uns der fremden Völker Drang –
Stärk’ im Kampf uns, Himmelsquelle,
Deutsches Wort und deutscher Sang!

Hört den Schwur, ihr ew’gen Firnen!
Donau, rausch’ ihn hin zum Rhein:
Stets auf deutscher Männer Stirnen
Throne deutscher Treue Schein!
Nord und Süd – die gleichen Flammen!
Ost und West – der gleiche Klang!
Sterbend noch halt’ uns zusammen
Deutsches Wort und deutscher Sang!

  Ernst Scherenberg.




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