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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Befindens eintrat; unverrichteter Sache kehrte ich nach Wien zurück und wurde von Julia nicht eben freundlich empfangen.

Mittlerweile hatte ich meine Volljährigkeit erreicht. Der erste Akt, durch welchen ich meine Selbständigkeit bethätigte, war – eine bedeutende Wechselschuld einzugehen. Ja, wundert Euch nur! Das sieht dem alten pedantischen Onkel nicht ähnlich, nicht wahr? Allein ich wollte um jeden Preis Julia eine unabhängige Stellung schaffen, damit sie sich von der Bühne und der Bevormundung von Madame Helonin losmachen könnte; ich hoffte alles, eine völlige Umgestaltung ihres Wesens von dieser doppelten Befreiung. Das arme gequälte Mädchen hatte mir eingestanden, daß die Erkenntniß ihrer Talentlosigkeit ebenso theil habe an ihrer Verstimmung wie Madame Helonins Tyrannei.

Meine Absicht ging dahin, Julia in eine jährliche Rente einzukaufen und ihr so für alle Fälle ein anständiges Einkommen zu sichern. Merkwürdigerweise stieß ich damit auf Hindernisse bei den Frauen – die nöthigen Schriftstücke waren nicht aufzutreiben. Da es sich zunächst um Julias Taufschein handelte, glaubte ich zuerst an ein Widerstreben ihrer weiblichen Eitelkeit; schließlich besann ich mich auf jene Gerüchte, die seinerzeit über Julias Herkunft umgegangen waren, und wandte mich an Madame Helonin. Die leeren Ausflüchte dieses Weibes und Julias Verwirrung bestärkten meine Ueberzeugung, daß sie mir etwas verheimlichten. Madame zeterte gegen die Leibrente, sie wollte das Kapital in ihre Gewalt bekommen; davon konnte selbstverständlich nicht die Rede sein.

Diese Augelegenheit und der Umstand, daß ich eine öffentliche Verlobung während meines Vaters Krankheit rundweg verweigerte, hatten eine böse Spannung in unsere Beziehungen gebracht. Julia grollte, und ich verhehlte ihr nicht, daß ich erwartet hätte, in meinen Bemühungen um ihre Zukunft besser von ihr unterstützt zu werden.

So stand es um uns, als der Tod meines armen Vaters mich wieder nach Prag berief – diesmal zu langem Aufenthalt. Als einzigem Sohne lag mir die Ordnung der geschäftlichen Angelegenheiten ob, wodurch ich in Prag und auf unserer Besitzung zurückgehalten wurde.

Es war im Frühjahr 1851, als ich nach Hartenberg ging, nun der ‚neue Herr‘. Die Beamten hatten mir einen feierlichen Empfang bereitet und erwarteten meine Ankunft an der Freitreppe im Schloßhof. Es waren meist alte treue Diener meines Vaters, die ich seit früher Jugend kannte; nur ein fremdes Gesicht fiel mir auf, das des neuen Oberförsters. Es fiel mir besonders auf – durch eine Aehnlichkeit mit Julia: helle Augen blickten von unten durch dunkle lange Wimpern. Ich frug nach seinem Namen – Theobald Fischer. Julias Familiennamen hatte allerdings einen polnischen Klang, doch nahm ich mir vor, gelegentlich nach etwaigen Angehörigen des Oberförsters zu forschen.

An einem der nächsten Tage wanderte ich nach dem Forsthaus; die Thür stand offen, ich trat ein, mußte aber bis zur Küche vordringen, um auf ein menschliches Wesen zu stoßen. Dort hantierte am Herdfeuer mit Pfanne und Kochlöffel ein ältliches hageres Frauenzimmer, in welchem ich sofort eine von Julias Anstandsdamen aus dem ‚Corps der Rache‘ erkannte. Sie hieß mich in die Stube treten, der Bruder müsse jeden Augenblick kommen. ‚Sie sind des Försters Schwester?‘ fragte ich. ‚Ich glaube, Sie vor Jahren in C. gesehen zu haben ...‘ ‚Also haben mich Euer Gnaden doch erkannt?‘ rief sie. ‚Ich hab’ mir’s gleich gedacht und hab’ zum Theobald gesagt: gieb acht! hab’ ich gesagt, der gnädige Herr wird kommen nach dem Julerl zu fragen. Ja, aber leider weiß ich nichts von ihr, seit wir in München auseinander gegangen sind. Ich denke, sie wird wohl den amerikanischen Zahnarzt geheirathet haben, mit dem sie damals halb und halb verlobt war ...‘

Mein lautes heiseres Lachen, über welches ich ebenso erschrak wie die weiland Anstandsdame, unterbrach den Redeschwall, doch nur für Sekunden.

‚Der Theobald ist nur mein Stiefbruder, denn ich und die Schwestern sind von der ersten Ehe des Vaters, nur der Theobald und das Julerl sind die Kinder von der Stiefmutter – Euer Gnaden wissen von der Madame Helonin, der zweiten Frau vom Vater ...‘

‚Wie, was?‘ schrie ich, durch diese Nachricht um alle Fassung gebracht. ‚Madame Helonin Iulias Mutter?‘

‚Ja freilich, sie ist die rechte Mutter des Julerl. Sie war Bonne bei der Herrschaft, wo mein Vater Portier war, und wie die Mutter – die erste Mutter – gestorben ist ...‘ so plapperte das Geschöpf noch endlos weiter, aber ich hörte nichts mehr. In meinen Ohren toste es, ich rang nach Athem. Julia die Tochter jenes Weibes! In welches Gewebe von Lügen war ich gerathen! Wie hatte sich mein geheimes Mißtrauen nur allzugut bewahrheitet!

‚Also Julia ist – Ihre Schwester? Und heißt?‘

‚Meine Stiefschwester, sozusagen,‘ erwiderte die Anstandsdame, ‚und heißt Fischer natürlich. Aber der Name war halt nicht schön genug fürs Julerl; es war überhaupt nie was schön genug für sie, und wir haben’s ihr auch vergönnt – die Bildung, die feinen Hände, den schönen Namen – alles! Sie war ja unser Augapfel von klein auf, gar so schön und fein! Aber wir haben gesagt, die Schwestern und ich, wenn wir schon unser Geld hergeben für die höhere theatralische Ausbildung des Julerl, wollen wir auch dabei sein, wenn sie ihr Glück macht; und mitgegangen sind wir auf die Kunstreisen, die Schwestern und ich! Das Glück hat sich aber nicht so leicht einfangen lassen, wie wir geglaubt haben; der ungarische Graf, dem wir nachgereist sind, ist uns ausgekommen und daß es bei Euer Gnaden bald verrauchen wird, bei dem Altersunterschied – das hab’ ich gleich gesagt, trotz der schönen Briefe ...‘

Mit einem gebieterischen ‚Genug!‘ hemmte ich das athemlose Geschwätz. ‚Sind Sie ganz sicher – können Sie beschwören, daß Helonin nicht der richtige Name jener Frau ist?‘

‚Aber gewiß, Euer Gnaden, wir haben ja doch die Unterschrift auf den Quittungen von der Stiefmutter: Adele Fischer, geborene Helonin. Der Theobald kann es Euer Gnaden zeigen. Und wenn Euer Gnaden vom Julerl noch etwas wissen wollen ...‘

Nein, ich wollte nichts mehr wissen, gar nichts!

In das tiefste Waldesdickicht trug ich meinen Schmerz, meinen Zorn über diese Erbärmlichkeit und das Gefühl meiner Erniedrigung. Die elende Komödiantin! Endlich beschloß ich, Julia in einem Briefe über das Lügengewebe, in das sie sich verstrickt hatte, zur Rechenschaft zu ziehen. Ihre Antwort war – die Rücksendung meiner Briefe und des Verlobungsringes. Ich athmete auf! Bald folgte eine unverschämte Epistel von Madame Helonin: ich müsse längst um das Allerweltsgeheimniß des veränderten Namens gewußt haben, es sei Heuchelei, wenn ich jetzt den Ueberraschten spiele, eine Finte, um mein Wort und mein Geldgeschenk zurückzuziehen; sie habe längst bemerkt, daß mich die Verlobung reue u. s. w. Die schlaue Frau erreichte mit dieser Anklage, was sie zunächst wünschte; noch am selben Tage erhielt mein Bankier die Weisung, die bei ihm hinterlegte Summe als Schenkung an Fräulein Julia Fischer zu übermitteln. Weder Name noch Alter ergaben diesmal Schwierigkeiten bei Erledigung der Formalitäten. Unter anderem erfuhr ich bei dieser Gelegenheit eine bezeichnende Thatsache. Veranlaßt durch irgend einen Formfehler beim Ausstellen des Wechsels, hatte mein Gläubiger die Schuld zur Kenntniß des Obersten gebracht; im Regiment verbreitete sich das Gerücht meines finanziellen Ruins. Einer meiner Freunde, der um meine Beziehungen zu Julia wußte, fand es angezeigt, dieser die schlimme Kunde mitzutheilen. In der ersten Bestürzung verriethen ihm die Frauen ihre Absicht, die Verlobung zu lösen.“

„Und Dich zu erlösen,“ rief Jette.

„Wahrhaft frei fühlte ich mich erst, als ich nach einigen Wochen eine Verlobungsanzeige von Julia erhielt – ein alter Hofrath war schließlich in dem Netze hängen geblieben.“

Onkel Christian schwieg erschöpft und lehnte sich in seinen Armstuhl zurück, ohne den erregten Reden der Brüder und Schwäger Gehör zu schenken. Unterdessen war es völlig finster geworden; ich erhob mich, um für Licht zu sorgen, und während man mit den Lampen ab und zu ging, löste sich die Gruppe, die sich um den Kamin geschart hatte; nur die Schwestern wollten nicht weichen.

„Hast Du damals schon den Dienst quittiert?“ fragte Jette, um den Onkel wieder ins alte Fahrwasser zu bringen.

„Nein,“ entgegnete er. „Damals ließ ich mich nach Böhmen versetzen, um in der Nähe meiner Mutter zu bleiben, deren Gesundheit angegriffen war.“

„Sie wohnte wohl in Hartenberg?“

„In den ersten Jahren nach meines Vaters Tod hielt Elisabeths Erziehung sie noch in Prag zurück, später bewohnte sie ihr Landhaus ...“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_319.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)