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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„So rede doch, Gittli!“ mahnte Haymo. „Mußt Dich nicht fürchten! Der Herr Vogt ist ein lieber und guter Mann! Rede nur frisch weg!“

„Ich will … etwas … bringen ...“ stotterte das Mädchen.

„Bringen? Dem Kloster? Herein damit!“ Ein Griff des Herrn Schluttemann, und Gittli stand im Zimmer des Vogtes. Sie wollte noch einen hilfesuchenden Blick zu Haymo zurückwerfen, aber hinter ihr war schon die Thür geschlossen. Scheu blickte sie um sich her. Ein großer Raum mit hohen Schränken an allen Wänden. Zwischen den beiden Fenstern ein Bild: der beiligc Georg, der den Drachen ersticht. In der Mitte ein Tisch mit Lehnstühlen.

In solch einen Stuhl hatte Herr Schluttemann sich geworfen und hielt nun die Hände verschlungen und die Beine gestreckt.

„Also! Was bringt man?“

Gittli näherte sich zögernd, nahm den Deckel von ihrem Körblein und hielt es dem Klostervogte hin.

Herr Schluttemann guckte hinein und rollte die Augen, daß man zweimal das Weiße sah. Er hatte in dem Körblein zum mindesten ein Dutzend frischer Eier vermuthet oder einen Ballen Butter. „Dummes Zeug!“ schnauzte er Gittli an, daß sie erschrocken zusammenfuhr und schier das Körblein fallen ließ. „Was soll denn das? Soll ich mir das Gras vielleicht auf den Hut stecken?“

Gittlis Augen wurden feucht, und mit leiser, kaum noch vernehmlicher Stimme sagte sie: „Morgen ist Charfreitag!“

„Das weiß ich! Oder glaubt man, ich kenne den Kalender nicht?“

„Und das sind Schneerosen. Ich selbst habe sie herunter geholt von den Schneehalden in der Röth’ … und … sie gehören für das heilige Grab unseres lieben Herrn.“

Herr Schluttemnnn dämpfte seine Entrüstung. „So? So? Das ist schön, das ist christlich!“ brummte er. „Stell’ das Körblein nur auf den Tisch. Ich will es dem Bruder Meßner schicken. So! Und jetzt Gottes Dank! Und Gott befohlen!“

Er machte einen bezeichnenden Wink nach der Thür; Gittli aber rührte sich nicht; ihr Gesicht war kreideweiß vor Angst, und mit einem flehenden Blick suchte sie Herrn Schluttemanns Augen.

Der Vogt wurde stutzig; er drehte den Kopf auf die Seite und kam auf das Mädchen zugegangen. mit so drohenden Augen, daß Gittli scheu ein Paar Schritte zurückwich.

„Man will vielleicht noch etwas? Hoho! Ich merke schon! Das also ist die christliche Frömmigkeit! Heeh? Das Kraut da war nur ein Vorwand, um hereinzukommen?“

„Nein, nein, Herr Vogt …“ stammelte Gittli mit versagender Stimme.

„Keine Widerred’!“ kam es wie ein Donnerkeil unter dem gesträubten Schnauzbart herausgefahren. „Was will man? Also? Wird’s bald oder nicht?“

Gittli schaute mit angstvollen Augen auf, sie wollte sprechen, aber ehe sie noch das erste Wörtlein herausbrachte, kamen ihr die dicken Thränen, und bitterlich schluchzend bedeckte sie mit beiden Händen das Gesicht.

„Natürlich! Natürlich! Jetzt wird geheult!“ Herr Schluttemann durchmaß mit langen Schritten die Stube und hob die Arme gegen den Himmel. „Herr Du mein Gott, Du hast die Weibsleut’ auch in Deinem Zorn erschaffen! Heulen! Gleich heulen! So machen sie’s alle! Alle! Alle!“ Ob er wohl im stillen hinzufügte: nur Frau Cäcilia nicht? Breitspurig blieb er vor Gittli stehen und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Also? Hat man bald ausgeheult? Soll ich bald hören, was man will?“

„Ach, Herr Vogt,“ kam es unter Thränen und Schluchzen heraus, „mein Bruder kann das Lehent[1] nicht zahlen!“

„Da haben wir’s!“ Schmetternd fiel die Faust des Herrn Schluttemann auf die Tischplatte. „Der saubere Bruder will nicht zahlen, und das feine Schwesterlein stolziert herum, aufgeputzt wie ein Burgfräulein!“

Gittli warf einen erschrockenen Blick über ihre Gestalt, mit zitternden Händen zerdrückte sie das Primelnsträußlein vor dem Mieder und stammelte in Thränen: „Nein, nein, Herr Vogt! Ich bin doch ein blutarmes Ding. Seht doch die Schuhe an, die hab’ ich mir selbst genäht; und das Röcklein trag’ ich vier Jahre schon, und die Borte da, die ist ja nur angestückelt und das Mieder hat mir die Eggebäuerin geschenkt, weil ihre Zenza draus herausgewachsen ist. Und das Linnen da … das hab’ ich mir doch selbst gewaschen!“

Die Augen des Herrn Schluttemann begannen verdächtig zu zwinkern. Das that aber der Gewalt seiner Stimme keinen Eintrag: „Natürlich! Und da hat man wieder ein Pfund Seife verschmiert.“

„Nein, nein. Herr Vogt, ich hab’s in der Sonne bleichen lassen.“

„Sooo? Natürlich! Die liebe gute Sonne muß auch schon herhalten für die Eitelkeit der Weibsleut’! Und ich, der Vogt, muß mich abgeben mit solchen dummen Geschichten! Warum ist Dein Bruder nicht selbst gekommen? Warum will er nicht zahlen?“

„Ach, Herr Vogt, mein Bruder muß ja von früh bis in die sinkende Nacht im Sudhaus stehen. Und er möchte doch zahlen, wenn er nur könnte. Aber er hat ein krankes Kind daheim, und sein Weib ist siech geworden, wie der Winter kam. Dreimal in der Woche muß die Zchwäh’rin Fleisch essen, und neulich haben wir Wein kaufen müssen, weil sie gar so schwach und elend ist!“

„So? So?“ knnrrte Herr Schluttemann. „Und warum kommt man nicht zu mir und holt sich einen Armenzettel? Und warum geht man nicht zum Armenvater und holt sich Fleisch und Wein und kräftige Süpplein? Das Kloster hat’s doch, und das Kloster giebt! Donnerwetter noch einmal! Warum nicht?“

„Ach, Herr Vogt ...“ und Thräne um Thräne glitt über Gittlis zuckende Wangen, „ich hätt’ es ja gerne schon gethan! Thät’ ich doch alles für die Schwäh’rin und das liebe Bäslein. Aber der Bruder will’s nicht haben. Er sagt immer, daß er ja doch ein Mensch ist, der schaffen und verdienen kann. Und ein Kriegsmann ist er doch auch einmal gewesen. Und er will’s nicht leiden, daß ich mich unter die Bettelleute stelle, und … und er könnt’ es nicht hören, wenn uns die Leute Hungerleider schimpfen und Schnappsäcke!“

„So? So? Natürlich! Noth und Elend hint’ und vorne! Aber stolz! Nur stolz! Und die Nase hinauf in den Wind! Das wär’ mir das Richtige! Warte nur, warte, ich will Deinem Bruder den Hochmuth austreiben! Sag’ Deinem Bruder: wenn er nicht zahlt am Ostermontag, dann setzt es ein Donnerwetter! Das Lehen laß’ ich ihm wegnehmen und geb’s einem andern. Ja, das thu’ ich! Gott soll mich strafen!“

Gittli erblaßte, und ihre Kniee drohten zu brechen.

Herr Schluttenann aber wetterte weiter: „Das wär’ mir das Wahre! Nicht zahlen wollen! Natürlich! Da käme dann einer um den andern, zuerst die Lehnsleute, und dann die Zinsbauern, und dann die Salzkäufer … und die frommen Patres und Fratres, die doch auch leben müssen, könnten sich den Hals zubinden und Luft schnappen! Oho!“ Herr Schluttemann wollte der Tischplatte eins versetzen mit der Faust, doch mitten im Schwunge hielt er inne; auch Gittli erschrak und fuhr mit der Hand an die Kehle, als ginge ihr der Athem aus. Sie hatten beide zu gleicher Zeit bemerkt, daß sie nicht mehr zu zweit in der Stube waren.

Vor ihnen stand die hohe Gestalt eines Priesters; über dem schwarzen Talar, dessen weißes Skapulier mit violetter Stickerei gesäumt war, hing an goldener Kette ein funkelndes Kreuz, halb verschleiert durch die dünnen Strähnen des grauen Bartes; ein kleines violettes Käpplein deckte den Scheitel; unter der knöchernen, hart modellierten Stirne ragten die buschigen Brauen hervor wie Dächlein über den Augen; aber das Antlitz hatte keinen finsteren Zug; es war männlich ernst und dennoch milde.

Herr Schluttemann verbeugte sich; denn dieser Priester vor ihm, das war Herr Heinrich von Inzing, der Propst von Berchtesgaden.

Reverendissime!“ sagte Herr Schlutteman, und verbeugte sich abermals. „Kein Ende, Reverendissime, kein Ende mit Zorn und Aerger! Die Luft könnte einem ausgehen vor Gift und Galle! Da ist nun wieder so eine Dirn’ …“

„Ich habe selbst gehört!“ fiel Herr Heinrich ein, winkte den Vogt zu sich in die Fensternische und sagte in fließendem Latein: „Mich dünkt, Ihr seid zu rauh mit den Leuten, Herr Vogt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_263.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2021)
  1. Der Pachtschilling für das Hauslehen.