Seite:Die Gartenlaube (1892) 204.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Der Kerl hat Dir wahrscheinlich goldene Berge versprochen, und ich könnte hier sitzen bleiben und all den Hohn und Spott über mich ergehen lassen, den die Lästermäuler schon lange für mich in Bereitschaft haben – nein, mein Schatz, daraus wird nichts. Ich hab’ Dich nicht zur Ehe gezwungen, aber jetzt, da Du meine Frau bist, sollst Du es auch bleiben“

Er wollte sich abwenden und ins Haus zurückkehren, allein Bettina erfaßte seinen Arm und sagte ruhig: „Ich begreife, daß der Gedanke an eine Trennung Dich erschrecken muß, doch wenn Du heute nacht über das Vergangene nachdenkst, so wirst Du zu der Einsicht gelangen, daß es besser für uns beide ist, wenn jedes wieder seinen eigenen Weg geht. Ich habe viel gelitten an Deiner Seite und nicht darüber geklagt, denn ich wußte, daß Du mir nicht aus böser Absicht Leid zufügtest. Der Mensch ist das, was Erziehung und Verhältnisse aus ihm machen, und Du handeltest Deiner Natur gemäß. Die Rauheit und Härte Deines Wesens aber mußte mich verletzen. Wir paßten eben nicht zueinander. Wir haben beide gefehlt, so laß uns ohne Groll die Vergangenheit begraben!“

„Gut, das ist ein verständiges Wort. Es soll alles vergeben und vergessen sein, wenn Du Dir den Menschen da droben aus dem Kopfe schlägst." Er streckte ihr die Hand entgegen sie aber wich hastig abwehrend weit zurück.

„Dazu ist’s zu spät“ sagte sie mit zitternden Lippen. „Die Liebe läßt sich so wenig auslöschen wie das Sonnenlicht. Ewald, sei nicht grausam! Ich flehe Dich an, gieb mich frei!“

Sie hatten seinen Arm umklammert und die Thränen strömten ihr über das bleiche Gesicht. Er aber stieß sie rauh von sich. „Nein und tausendmal nein,“ rief er erregt, „Du bist ein Weib, das seine Pflicht vergißt; so lange ich lebe, sollst Du keinem andern angehören. Ich ermorde den, der Dich zu berühren wagt.“

Bettinas Geduld war erschöpft, die rohe Art der Zurückweisung brachte auch ihr Blut in Wallung. „Wenn Du von Pflichten sprichst, so vergiß nicht, daß Du die Deinigen sehr schlecht erfüllt hast – doch, wozu mit Dir streiten! Da Du fühllos gegen meine Bitten bist, so werden auch gerechte Vorwürfe an Dir abprallen. Ich will Dir Zeit geben zu ruhiger Ueberlegung. Sage mir morgen, wozu Du erschlossen bist!“

Sie entfernte sich mit eiligen Schritten, und als Ewald ihr nachrief. „Du wirst morgen keinen andern Bescheid erhalten wie heute,“ wandte sie den Kopf nicht, sondern trat lautlos ins Haus.

(Fortsetzung folgt.)




Neunzig Jahre Männermode.

Von Cornelius Gurlitt.0 Mit Zeichnungen von O. Seyffert.
III.

Erst im Laufe des Jahrhunderts hat sich die Gewohnheit herausgebildet, den Frack, eigentlich ein Reitkleid, nur als Gesellschaftsrock, als Prunkstück zu tragen. Er ist das ursprüngliche Hauptstück der modernen Tracht. In den ersten Jahrzehnten trug man bei kaltem Wetter einen Oberrock über dem Frack, den „Redingote“. Dieses Wort ist wie „Frack“ (von frock, Kittel) wieder ein englisches und kündet die Herkunft der Tracht an: riding coat heißt der Reitrock. Die aus dem Franzosischen übernommene Schreibart ist also eigentlich nicht richtig.

Im Gegensatz zu ihm nannte man den Frack in Deutschland den „Leibrock“, wie ihn wohl ältere Leute hier und da noch heute nennen. Bald traten beide Kleidformen in Wettstreit miteinander, der Redingote wurde auch ohne Frack getragen, an den Seiten der Schöße mit Taschen versehen, bald weit, bald in der Taille eng gebildet. Er ist der Vorgänger unseres „Gehrockes“ wie des soldatischen „Interimsrockes“; sein Unterschied vom Frack besteht eben ursprünglich nur darin, daß die Schöße nicht vorn abgestochen sind, sondern die Hüften ganz umschließen.

Heute sitzt ein Frack und Rock erst dann, wenn er „wie angegossen“ aussieht, das heißt, wenn er keinerlei Falten wirft. Dem war nicht immer so. Die Mode hat sich erst langsam an die flachen, schmalen Kragen unserer Herrenröcke gewöhnt; früher zog man die von den weiten Binden geforderten breiten Shawlkragen vor, ja man gefiel sich gerade in recht übertriebenem Schnitt. Meinem Großvater „saß“ ein Rock erst dann, wenn zwischen Binde und Kragen bequem eine Semmel Platz hatte, wenn der Rock also allseitig weit vom Halse abstand. Man dachte nicht daran, den Kragen scharf umzubügeln, sondern ließ ihm bauschige Formen, einen rundlichen Fall. Ebenso waren die Aermel nicht glatt wie die unseren, sondern wurden mit Vorliebe zu lang gebildet, so daß sie sich faltig an der Hand stauchten, oft sogar diese fast ganz bedeckten. Oder sie hatten die Form der heutigen Frauenärmel, oben Verbreiterungen und höckerartige Aufbauschungen. Die weiten Kragen und die Länge der Schöße am Redingote wurden das Kennzeichnende der Mode um 1820 und 1830. Dutzende von Kragen übereinander verbreiterten das mantelartig werdende Gewandstück, welches sich schon zu Anfang unseres Jahrhunderts der Form unseres Havelock näherte. Diesen Namen hat das Kleidungsstück erst von Sir Henry Havelock, dem Sieger im indischen Seapoyskriege, also aus den fünfziger Jahren. Die Sache selbst war aber damals nicht neu, nur die bestimmte Form, welche der General getragen hatte.

Die Farbe des Redingote ging auch langsam zurück. Sie kam aber nicht ganz aufs Schwarz, sondern schwankte zwischen Grau und Braun. Schon war ein lebhafter Ton höchstens am Ballmantel erlaubt und zwar nur im Futter. Aber in den Stoffen blieb noch lange eine größere Auswahl: gerippter Sammet und Seidentuch, Köper und Nanking wechselten miteinander. Viel getragen wurden Verschnürungen und Posamenten, Pelzwerk nach Art der Polen und dergleichen Schmuck. Allein das Ende war auch hier die Ueberwindung des Farbensinnes durch die Farbenstumpfheit.

Der jüngere Bruder der Redingote ist der „Paletot“. Das Wort ist neulateinisch, kommt von palata, paldo, palda, dem gesteppten Rock, wie er im 16. Jahrhundert getragen wurde. Im Italienischen heißt falda der Frackschoß, unser Wort Falte gehört zu demselben Stamme. Ursprünglich war der Paletot auch in den vierziger Jahren ein weitfaltiges Kleidungsstück, welches mit den um 1865 so viel getragenen, jetzt nur noch als Reisedecken üblichen Wollenshawls wetteiferte. Heute ist er ganz in die Gestalt des Redingote zurückgefallen, nur daß er meist nicht die breit sich öffnende Trennung im Schoße hat, welche jenem als Reitrock eigenthümlich ist.

Von einer nationalen Sonderung der Tracht ist in all den kleinen Schwankungen der Mode wenig zu merken. Die Nationen tauschten ihre Neigungen unter einander aus; die französische und in erster Linie die englische waren zumeist die gebenden, doch auch die deutsche trug ihr bescheidenes Theil zur Gesammtgestaltung bei. Man würde aber irre gehen, wollte man allein in den Modeblättern suchen, um die Kleidung der Männer unseres Jahrhunderts kennenzulernen. In ihnen ist die Tracht der Zeit und der verschiedenen Völker nicht ganz richtig niedergelegt. Sie kümmerten sich nicht um die keineswegs bedeutungslosen Bestrebungen der nationalen Stürmer, sie behielten fest den Kurs auf Paris und London, selbst zu einer Zeit, in der das Volksbewußtsein uberall erstarkte. Das Metternichsche Wien kam für sie in der ersten Hälfte des

Jahrhunderts allein noch in Betracht.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_204.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)