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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Und was macht Thormann?“ konnte der Gerichtsrath sich nicht enthalten, zum Abschied zu fragen. „Ist er noch in der Stadt.“

Sie zuckte halb verächtlich, halb geärgert die Achseln. „Was weiß ich! Seit jener Landpartie, wo er es nicht der Mühe werth fand, sich auch nur zu verabschieden, habe ich diesen Herrn nicht mehr gesehen. Man thut doch immer besser, sich mit Leuten von so geringer gesellschaftlicher Bildung nicht einzulassen!“ –

„Also abgefallen! Schade!“ sagte Walter im Herabsteigen. „Na, wenn der alte Herr über die nicht nervös wird, dann hat er wirklich Anspruch auf den Titel eines Philosophen.“

„Die arme Paula!“ erwiderte Emmy.

In ihrer Laube unter den Bäumen am See fanden sie ein fröhliches Leben. Das Abendgold lag noch über den Wipfeln; Elisabeth deckte den Tisch und brachte die einfachen Gerichte herbei; frische Butter, Sauermilch, kaltes Fleisch; Maja schleppte den mächtigen schwarzen Brotlaib und Moritz kam triumphierend mit einer Schüssel selbstgepflückter Erdbeeren an. „Sie sind gewaschen!“ bemerkte er dazu. Francis hatte die langen Beine auf der Bank ausgestreckt, eine Zeitung vor sich und war gewissenhaft in den deutschen Selbstunterricht vertieft. Walter griff ebenfalls nach seinem Theile von Briefen und Zeitungen, die abendliche Poststunde war ihm die angenehmste des Tages.

„Bitte, Herr Gerichtsrath,“ unterbrach plötzlich der Amerikaner das Schweigen, „wollen Sie mir erklären, warum der Papst nicht kann leiden die Katzen?“

„Thut er das?“ fragte Walter zweifelnd. „Davon habe ich nie etwas gehört.“

„Ja, es steht hier ausdrücklich.“

„Nun, der Papst ist ein alter Herr und wird seine Eigenthümlichkeiten haben. Möglich, daß er die Katzen nicht mag.“

„Gewiß nicht. Er verflucht sie sogar. Aber nur die männlichen. Das ist, was ich nicht verstehe!“

„O Francis, Sie sprechen von den Ketzern,“ lachte die eben herantretende Emmy, und diesmal mußte der unglückliche Liebhaber des Deutschen selbst in die allgemeine Heiterkeit mit einstimmen.

Der Gerichtsrath sah sich suchend um. „Wo ist denn Fritz? Arbeitet er noch?“

„Der und arbeiten!“ versetzte Moritz, noch immer lachend, „der ist ja heute gleich nach dem Mittagessen mit dem Riederseppl nach Oberhausen gegangen!“

„Ohne Erlaubniß? Emmy!“ Stirnrunzelnd wandte sich der Gatte nach ihr hin.

„Er hat mir auch nichts gesagt,“ brachte sie erschrocken heraus. „Es ist heute Kirchweih dort, vielleicht hat ihn das gelockt –“

„Ich will ihm die Lockungen austreiben, wenn er heimkommt,“ entgegnete Walter grimmig.

Allein Fritz kam nicht heim. Das Essen war vorbei, die Dämmerung wurde tiefer, hinter den Baumwipfeln stieg, einer großen rothen Scheibe gleich, der Vollmond empor und beschien das am Ufer hinlaufende Stück Straße. Aber nichts regte sich darauf. Eine heftige Unruhe erfaßte die Eltern, sie gingen Fritz ein großes Stück weit entgegen, umsonst – keine Antwort kam auf ihr Rufen, schweigend und finster lag der Wald. Endlich mußten sie’s aufgeben und kamen, Emmy in strömenden Thränen, zum Hause zurück. Dort fanden sie alle in großer Aufregung vor der Thüre versammelt. Wally hatte nach ihrem Weggehen im Bubenzimmer die Betten abgedeckt und dabei einen Brief auf dem Tische gefunden, „An Papa und Mama“ überschrieben.

„Gott!“ schrie Emmy auf, „er wird sich doch kein Leid angethan haben! Ins Haus, ein Licht! O, nur schnell, schnell!“

„Sei doch vernünftig!“ sagte Walter, allein seine Hände zitterten. In der Eßstube, wohin alles nachdrängte, las er einen Augenblick später:

 „Liebe Eltern!

Es thut mir leid, Euch zu betrüben, aber mein Schicksal will es so! Durchs Nachexamen komme ich auch wieder nicht, das sehe ich jetzt schon. Der Papa würde gewiß wüthend werden, ich kann aber nichts dafür und deshalb gehe ich, denn Steine klopfen – das mag ich nicht, da kann ich noch ganz andere Dinge thun. Aengstigt Euch nicht, mein Freund Joseph steht mir zur Seite, wir gehen nicht nach Oberhausen, sondern haben jede Spur hinter uns vertilgt! Unser Endziel heißt: Kamerun! Dort ist Freiheit! Von dort wird einstens als ein großer und berühmter Mann zu Euch zurückkehren

Euer Sohn Fritz.“ 

„Nonsense!“ sagte Francis.

Die Eltern sahen sich sprachlos an, Elisabeth schluchzte, die gefühlvolle Wally gleichfalls, nur die stattliche Hausbäuerin sagte empört. „Mit dem Riedersepp, mit dem Lumpenbuabn! I hab’s ja immer g’sagt, es taugt nix, daß die Zwoa so viel beianander san!“

„Das hätten Sie besser mir gesagt,“ fuhr Walter auf, schwieg jedoch gleich wieder – er fühlte, an wem die Verschuldung lag, wenn er nichts von seinem Sohne wußte. „Was thun, Emmy?“ fragte er dann mit ungewohnter Sanftmuth.

„Ich gehe gleich, ihn suchen!“ rief Francis.

„Heunt abend könnens nix mehr machen,“ sagte die Wirthin im Abgehen. „Und weit sans ja no net. Werden ja dengerscht nit die Nacht durchlaufn!“

„Sprich mit dem Professor!“ rief Emmy plötzlich. „Er kennt die Gegend genau, er kann gewiß am besten rathen, was hier geschehen muß.“

„Du hast recht!“ sagte Walter. „Ich gehe gleich zu ihm, es ist kaum halb neun Uhr. Sie bleiben ruhig, Francis, bis ich wiederkomme! Ich bin bald wieder bei Dir, Emmy!“ Er schloß sie heftig in die Arme und küßte sie wiederholt. „Armes Weib!“

Dann eilte er die Wiese hinauf und stand bald vor dem Häuschen, bescheiden an der unteren Thüre klopfend. Er wurde nicht gehört, dagegen drangen erregte Stimmen aus der offenen Balkonthür über ihm.

„Nein,“ schrie Frau von Düring zornig, „es fällt mir gar nicht ein. Paula kann nicht verlangen, daß ich mich für sie aufopfere. Sie ist ein undankbares, unzufriedenes Geschöpf –“

„Das ist nicht wahr!“ erklang jetzt die strenge Mannesstimme. „Paula leidet Unerträgliches unter Deiner Schwäche und Vilmas lügenhaftem, verdorbenem Charakter. Aber nun ist es genug. Ich sehe ganz klar. Du hast die Mittel, die ich Dir für Paula anwies, verausgabt, um Vilma auf Abenteuer nach Kissingen zu schicken. Sie wird auch von dort wieder unverlobt zurückkommen – indessen, das kümmert mich nicht. Es handelt sich um Paula, die nicht länger in Eurer Atmosphäre bleiben darf. Ich gebe ihr also dieselbe Summe noch einmal, ihr allein, wohlverstanden! Und Paula geht diesen Herbst nach Zürich, wie es ihr Wunsch und Wille ist. Andernfalls –“

Walter mochte nicht mehr hören. Er ging leise ein Stückchen zurück und rief dann, wie eben erst kommend, aus einiger Entfernung:

„Herr Professor!“

Unmittelbar darauf erschien dieser auf dem Balkon. „Wer ruft?“

Walter nannte sich, der alte Herr kam herunter, schloß die Thüre auf und führte den späten Gast in sein Schlafzimmer zu ebener Erde. Dort erzählte ihm dieser mit fliegenden Worten sein Anliegen.

„Hm!“ sagte der alte Mann, „das ist ja fatal. Aber seien Sie nicht so bekümmert – wir fangen den Ausreißer bald genug! Am besten, Sie nehmen morgen mit dem Frühesten den Einspänner des Wirths, und wenn es Ihnen recht ist, begleite ich Sie als Wegekundiger. Es giebt nur zwei Richtungen, nach der einen telegraphieren wir, die zweite, nach Oberhausen und weiter, nehmen wir selbst. Daß der junge Diplomat gerade diese in Abrede stellt, macht sehr wahrscheinlich, daß die beiden die Kirchweihe auf dem Wege nach Kamerun noch mitnehmen wollten.“

Walter drückte dankbar die Hand des freundlichen Trösters und schied nach kurzer Weile mit erleichtertem Herzen.

(Schluß folgt.)




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 194. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_194.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2020)