Seite:Die Gartenlaube (1892) 140.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Ja, warum ist das Naturgemäße für Euch das Ungewöhnliche?“

Als die Monks, deren Verstand dieser Frage nicht gewachsen war, verstummten, fuhr Bettina eifrig fort: „Ihr habt dicht vor der Thür das herrlichste Waschbecken der Welt – das Meer. Es würde Euch an lauen Sommerabenden nach allen Mühen des Tages die beste Erquickung bieten, aber keiner von Euch denkt daran, davon Gebrauch zu machen. So kommt es auch, daß Eure jungen Männer, die ihr Beruf auf das Meer führt, sammt und sonders nicht schwimmen können. Ihr seht im Winter vor Euch eine weite Eisfläche, die jeden gesunden Menschen zur freien stärkenden Leibesübung herausfordert, und Ihr hockt in dumpfer Unthätigkeit um den rauchigen Küchenherd und verzichtet auf ein köstliches Vergnügen. Ihr seht, daß Fremde weit herkommen, um in Eurer Bucht zu baden, Ihr könntet im Winter in einer halben Stunde mühelos über die Eisdecke nach der Küste jagen, so lange Eure Wege verschneit sind, aber Ihr scheut sowohl vor dem Bad als vor dem Eislauf zurück. Heißt das verständig handeln?“

Die Monks schüttelten eine Weile bedächtig die Köpfe, dann meinten sie, Bettinas „neumodische Ideen“ paßten für Massow nicht. Wäre sie in ihrem Stande geblieben, so dürfte sie jetzt nach ihrem Gefallen leben, als Lotsenfrau jedoch müsse sie den Nachbarn zu gefallen suchen, denn in kleinen Gemeinden sei jeder auf den Nächsten angewiesen. Dem Brauche dürfe niemand widerstreben, sonst werde er für unsinnig und vogelfrei erklärt.

„Aber Euer Brauch gründet sich auf leidige Vorurtheile und diese sind unsinnig,“ rief Bettina empört.

Der alte Monk klopfte bedächtig am Feuerbecken des Kamins seine Pfeife aus und schloß die Erörterung mit der tiefsinnigen Bemerkung ab: „Min sötet Engelken, wat möt, dat möt! Stell dat Islopen in, süst fallen wi all tausammen.“

Nachdem die Schwiegereltern die Klause verlassen hatten, ließ sich Bettina vor dem verglimmenden Feuer nieder; ihr war so weh und bang ums Herz, daß sie Mühe hatte, der aufsteigenden Thränen Herr zu werden. Während Ewald gähnend dem Schlafzimmer zuschritt, faltete sie die Hände im Schoß und starrte mit trüben Gedanken in die Gluth. Vorurtheil überall, auch hier nicht die Freiheit, von der sie geträumt! Wohin war es mit ihr gekommen?

Bettina fühlte sich durch die Nachbarschaft der Bräunings beängstigt und durch die Bevormundung der Schwiegereltern bedrückt. In einer großen Stadt hätte sie sich diesen Leuten leicht entziehen können, hier war’s unmöglich. Sie hatte die Freiheit gesucht und fand Schranken auf all ihren Wegen. Um des lieben Friedens willen verzichtete sie auf den Eislauf und wandte sich mit erhöhtem Eifer der Musik zu – diese wenigstens verstieß nicht gegen den Gebrauch des Landes.

Es kam die fröhliche Weihnachtszeit und mit ihr für Bettina neue Freudigkeit. Sie hatte die Familie des Lehrers und einige verwaiste Kinder zur Bescherung am Weihnachtsabend eingeladen. Als die Dämmerung anbrach, führte sie die kleine Schar ins Musikzimmer, wo eine Tanne mit strahlenden Kerzen bis zur Decke reichte. Sie setzte sich an den Flügel und sang mit den Kindern ein Weihnachtslied. Das brachte eine seltsam feierliche und doch frohe Stimmung in die kleine Versammlung, zu der auch die Schwiegereltern gehörten: dann vertheilte Bettina ihre Gaben. Die Monks freilich meinten, sie treibe eine sündhafte Verschwendung mit den Bettelkindern, sie aber verlachte die Bedenken, umhalste Ewald und flüsterte ihm ins Ohr: „Sei gut und herzlich gegen die Kleinen, denn heute übers Jahr wird unser eigenes Kind zu den flimmernden Kerzen aufschauen.“

Ueber Ewalds Gesicht war bei diesen Worten ein heller Schein geglitten und er hatte Bettina auf beide Wangen geküßt. An diesem Abend verlieh das Glücksgefühl seinem Wesen eine größere Milde und verklärte selbst seine äußere Erscheinung. Er scherzte mit den Kindern, ermunterte sie bei Tisch zum Essen und Trinken, plauderte lebhaft mit dem Schulmeister und erwies Bettina eine wahrhaft zärtliche Aufmerksamkeit. So blieb die kleine Gesellschaft bis gegen elf Uhr in der Klause, und dieses schöne Fest erschien Bettina wie ein leuchtendes Gestirn, das eine bessere Zukunft verkünde.

(Fortsetzung folgt.)




Das Kaiser Wilhelm-Denkmal auf dem Kyffhäufer.
(Zu den Bildern S. 136, 137 und 141.)

Im Herzen Deutschlands gelegen, in einem der gesegnetsten Theile des Vaterlandes, erhebt sich der Kyffhäufer am Südrand der „Goldenen Aue“, wo sich Thüringer- und Sachsenland scheiden.

Hier, wo die Volkssage Kaiser Barbarossa seinen Schlummer halten ließ, von einem Jahrhundert zum anderen, bis die Raben der Zwietracht nicht mehr um den Berg flattern würden, hier soll ein Denk- und Dankmal dem erstehen, welcher den Hader aus den Herzen der deutschen Stämme tilgte und siegend ein neues einiges Deutsches Reich schuf, den alten Traum von „Kaiser und Reich“ zu ruhmvoller Erfüllung führend. Mag für ein Nationaldenkmal, das dem ersten deutschen Kaiser die ganze Nation zu errichten unternimmt, die deutsche Reichshauptstadt immerhin der einzig berechtigte Platz sein; für ein Erinnerungsmal, welches die deutschen Krieger ihrem siegreichen Kaiser widmen wollen, hätte, außer vielleicht am Rheine, nicht wohl ein bedeutungsvollerer Standort gefunden werden können als der sagenumwobene Berg.

Auf seiner Kuppe wird es sich erheben. Von einem breiten Unterbau, der in einer Mittelnische die Barbarossafigur von Nikolas Geiger trägt, führen rechts und links Stufen hinauf zu einem thurmartigen Oberbau, dem eigentlichen Denkmalsträger. In einer Nische dieses Oberbaus auf vorspringendem Pfeiler soll das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms stehen. Dieser geniale architektonische Entwurf rührt vom Baumeister Bruno Schmitz in Berlin her; ihm sollte sich der Bildhauer, der die Reiterfigur des Kaisers zu gestalten hatte, anschmiegen. Es ist dem Bildhauer E. Hundrieser in Charlottenburg, dem der erste Preis für seinen Denkmalsentwurf mit dem Motto „Kaiser und Reich“ zuerkannt wurde, gelungen, ein Standbild zu schaffen, das sich bei aller Selbständigkeit der bildhauerischen Auffassung und Ausführung doch mit dem architektonischen Bau in einer so selbstverständlichen, zwanglosen Art vereinigt wie kaum einer der übrigen vierzig Entwürfe, die mit ihm um den Preis rangen.

Der Kaiser, wie in langsamem Schritte dahinreitend, in Generalsuniform, mit wallendem Reitermantel, den Feldherrnstab in der Rechten, ist in jener schlichten Haltung dargestellt, in der er in unserer Erinnerung nun einmal lebt. Mit leicht verständlicher Symbolik sind die beiden Nebenfiguren entworfen. Eine weibliche Figur zur Rechten des Kaisers mag etwa die Geschichte darstellen; soeben hat sie in eine Steintafel die Worte „Sedan–Paris“ gegraben und schaut nun in stiller Verzückung zum Kaiser empor. Die männliche Figur, die links vom Kaiser (rechts für den Beschauer) zu dessen Füßen sitzt, ist ein mit germanischem Flügelhelm, Rundschild und breitem Schwerte gewappneter bärtiger Krieger mit finster entschlossenem Gesichtsausdruck, die verkörperte Kraft und zugleich der verkörperte Wille, die Feinde abzuwehren vom neugegründeten Reiche.

Noch einen zweiten Entwurf hat Hundrieser gefertigt, den er zugleich mit seinem ersten einsandte; aber da er dasselbe Motto trug wie jener – was eine Verletzung der Konkurrenzbedingungen war – so durfte er bei der Preisertheilung überhaupt nicht in Frage kommen. In mancher Hinsicht scheint diese zweite Auffassung noch bedeutender, jedenfalls malerischer und prächtiger zu sein als die erste. In vollem Herrscherornat, die Krone auf dem Haupte, reitet der Kaiser. Eine wundervolle weibliche Figur, die Reichsinsignien, Scepter und Reichsapfel, tragend, führt am Zügel das Roß, das tief gesenkten Hauptes, wie trauernd, daher schreitet. Die weibliche Nebenfigur zur Rechten ist über ihre Tafel gebeugt, sie ist halb verhüllt. Eine wehmüthige Stimmung lagert über der ganzen Gruppe, in der nur das Auge des Kaisers leuchtet, das kaum noch der Erde angehört. Es ist, als hätte der Künstler jene Stimmung darstellen wollen, die in Justinus Kerners bekanntem Gedicht von Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe uns mächtig ergreift:

„Glocken dürfen’s nicht verkünden,
Boten nicht zur Leiche bieten,
Alle Herzen längs des Rheins
Fühlen, daß der Held verschieden.“ –

Emil Hundrieser ist 1846 zu Königsberg i. Pr. geboren. Er ist ein Schüler Siemerings. Seit kurzem ist er Mitglied der Akademie der Künste. Mit vielem Glücke hat er sich bereits des öftern bei Wettbewerben betheiligt, und die meisten der größeren öffentlichen Bauten in Preußen haben einen Theil ihres bildnerischen Schmuckes von seiner Hand erhalten. So besitzt, um nur einige seiner größeren Arbeiten zu nennen, das Charlottenburger Polytechnikum von ihm die Standbilder Kaiser Wilhelms I. und Schlüters, das Borsigsche Palais in Berlin die Statuen von James Watt und Robert Stephenson, der Anhalter Bahnhof die von George Stephenson und von dem Minister Maaßen, dem Begründer des Zollvereins; in Straßburg stehen von ihm die vier Statuen von Bopp, Wolff, Jakob Grimm und Boeckh; Magdeburg hat sein Lutherdenkmal von ihm erhalten. Auch am neuen Reichstagsbau ist Hundrieser in hervorragender Weise beschäftigt. Eine sehr geschätzte Arbeit von ihm ist eine Königin Luise von ganz eigenartiger Auffassung, in sitzender Stellung; sie hat ihm die zweite goldene Medaille eingetragen und wird für die Berliner Nationalgalerie in Marmor ausgeführt.

Auf der vorjährigen internationalen Kunstausstellung in München wurde eine Grabgruppe von ihm viel bewundert und erhielt die erste goldene Medaille. Es sei noch erwähnt, daß Hundrieser zu denjenigen Künstlern gehört, die für das in Berlin zu errichtende Drei-Komponisten-Denkmal – Beethoven, Mozart, Haydn – zur engeren Konkurrenz aufgefordert worden sind.

Otto Neumann-Hofer.     
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_140.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2019)