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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


beherrschen suchten, er sah ihre kunstreichen kleinen Arbeiten, hörte mit steigendem Antheil aus der Erzählung des Vorstandes, welch’ entscheidenden Einfluß auf den künftigen Arbeiter die hier erworbene Gewöhnung an gute Sitte, Sparsamkeit und Genügsamkeit habe, und betrachtete mit Hochachtung die Männer, die hier freiwillig ihren Sonntag opferten, um eine Anzahl junger Seelen dem frühen Verderben in der Großstadt zu entreißen. Er vergaß gänzlich, daß nur flüchtige Neugier ihn hereingezogen habe, es wurde ihm warm ums Herz unter dem Walten dieser echten Menschenliebe.

„Und hierher muß man also kommen, mein Fräulein,“ wandte er sich, nachdem alles betrachtet war, mit seinem gutmüthigen Lächeln an Paula, „um Sie spielen zu hören?“

„Diesen Zuhörern genügt es,“ erwiderte sie heiter, „also ist es hier am rechten Platze.“

„Und – halten Sie mich nicht für unbescheiden, aber es interessiert mich wirklich sehr: wie kommen Sie aus Ihren eleganten Kreisen gerade hierher?“

„Durch meinen Lehrer,“ entgegnete sie, das Wort „Latein“ unterdrückend, und bezeichnete mit den Augen einen jungen hübschen Mann, der vom andern Saalende angelegentlich herübersah. „Er widmet sich diesem Werke trotz seiner vielen Berufsstunden mit der edelsten Ausdauer, er erzählte mir davon, und so war es natürlich, daß ich ihm meine Hilfe dabei anbot.“

Die Eröffnung der Kemptner Hütte in den Algäuer Alpen.
Nach einer photographischen Aufnahme des Kunstmalers Paul Widmayer in Stuttgart.


„Natürlich!“ dachte Thormann, „denn ein Einverständniß der beiden jungen Seelen wird hier wohl vorauszusetzen sein! – Und,“ fügte er laut hinzu. „was sagt Ihre Gesellschaft dazu?“

„Nichts, denn sie kümmert sich nicht um mich. Ich passe auch nicht hinein.“

Ihre Züge überschatteten sich mit dem Ausdruck, den er schon früher an ihr bemerkt hatte. Er fühlte seinen Mißgriff und sagte, bestrebt, den peinlichen Eindruck zu verwischen:

„Es ist sehr anerkennenswert, Fräulein von Düring, daß Sie in solch menschenfreundlicher Weise thätig sind ...“

Der wohlgemeinte Ton klang etwas schulmeisterlich, Paula warf den Kopf zurück und versetzte trocken: „Es macht mir Vergnügen, das ist alles!“

Dann trat sie einen Schritt zurück, gesellte sich wieder zum Töchterlein des Vorstands und ging mit ihr zu dem kleinen Hans, den sein „Großer“ mitbringen durfte, weil die Eltern das Kind allein ließen, um ins Wirthshaus zu laufen. Die Mädchen setzten sich zu ihm und halfen bei dem Kartenhaus, welches der kleine Mann gerade baute.

„Sonderbares Geschöpf!“ dachte Thormann, als er sich verabschiedet hatte und nun durch die öden Straßen heimwärts schritt. „Die ist doch gründlich aus der Art geschlagen. Wie sie sich überhaupt nur so entwickeln konnte?“

Er nahm sich vor, bei nächster Gelegenheit Emmy darüber zu fragen, er hatte ein Zutrauen zu deren tüchtiger und wahrhafter Natur und war ihr sehr dankbar, weil sie sein mutterloses Kind schon öfters zu den ihrigen hatte kommen lassen und es ebenso in Güte und Strenge hielt wie die eigenen.

Die verwöhnte Sigrid zitterte vor Verlangen, wenn sie zu dem einfachen Vieruhrbrot der Walterschen Kinder durfte, das vorlaute eigensinnige Mädchen wurde still und fügsam, sobald Emmys freundliche Augen den Kinderkreis beberrschten, und sie stellte neuerdings viel öfter, als dem Papa geheuer war, Gedanken an über das Glück, eine Mama zu haben. Auch Emmy selbst hatte neulich, als sie ihn in Linchens Atelier traf, eine Bemerkung so verloren hingeworfen; sie theilte die allgemeine weibliche Mißbilligung gegenüber vermögenden gutmüthigen und unverheiratheten Männern. Aber in Linchens ungemessenes Entzücken über den herrlichen Schleiertanz hatte sie damals nicht eingestimmt, sondern beharrlich geschwiegen. Das war Thormann aufgefallen. – Während dieser Ueberlegungen war er allmählich wieder in die innere Stadt gekommen und sah jetzt, an einer Kreuzung aufblickend, den Landgerichtsrath Walter vor einer Anschlagsäule stehen. Er schien aufmerksam die Plakate zu studieren, bemerkte aber zwischendurch doch den Herankommenden und sagte, dessen Gruß lebhaft erwidernd:

„Sehen Sie einmal dahin, wie das ‚stilvoll‘ ist – derlei muß doch einem Künstlerauge wohlthun!“ Lachend deutete er dabei auf ein Plakat, das einen neu erfundenen Bügelofen anpries. Vor dem Ofen stand in verzückter Betrachtung eine reich gekleidete Patrizierin des sechzehnten Jahrhunderts, zu ihren Füßen spielteu ein paar rosige Liebesgötter in dringender Gefahr, mit ihren kleinen Rückseiten ein Opfer des glühenden Ungethüms zu werden, das im übrigen mit liebevoller Genauigkeit bis zum letzten Riegel und Knopf naturgetreu abgebildet war.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_121.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2019)