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Diese Sprache war deutlich. Was Wunder, daß sie, von den Lippen Poppäas hunderfach wiederholt und durch neue „Beweise“ wirkungsvoll unterstützt, dem Kaiser endlich die Ueberzeugung beibrachte, er sei in der That, so lange sich Agrippina am Leben befinde, des eigenen Lebens nicht sicher – dieses wonnigen, freudetrunkenen Lebens, das er mit einer so unersättlichen Gier umarmte, von dem zu scheiden ihm später sogar in den Tagen des Unheils über die Maßen schwer ward! Neros Umgebung, die sich von der zürnenden Kaiserin-Mutter allerdings jeder Gewaltthat zu versehen hatte, während die Anschläge auf das Leben des Kaisers schon um deswillen wenig wahrscheinlich sind, weil Agrippina durch den Tod des Imperators ihre eigene Stellung schwerlich verbessert hätte – die Umgebung also hat es gewiß an hochtrabenden Redensarten zur Beschönigung dessen, was sie erstrebte, nicht fehlen lassen. Die Phrasen von dem Wohle des Reiches, von der Pflicht und dem Rechte der Notwehr etc. lagen ja auf der Hand. Kurz, Nero faßte – es war im Jahre 59 n. Chr. Geb. – nach langem, zaghaftem Widerstreben den fürchterlichen Entschluß, „zu töten, um nicht getötet zu werden“.

Die Erinnerung an die gefühlsrohe Kaltblütigkeit, mit der einst die Kaiserin ihrerseits Opfer um Opfer geschlachtet, mag wohl diesem Entschlusse fördernd zu Hilfe gekommen sein. Wie tückisch hatte sie ihren eigenen Gemahl, den Kaiser Claudius, Neros Stiefvater, aus dem Wege geräumt! Mit der Miene zärtlicher Fürsorge schob sie ihm aus einer Schüssel mit Pilzen den schönsten zu – und dieser schönste war durch die Giftmischerin Locusta mit tödlichem Safte getränkt! Fast noch scheußlicher hatte sich Agrippina bei der Ermordung der Lollia Paullina geberdet, die eine Mitbewerberin um die Hand des vergifteten Imperators gewesen war. Sie ließ sich den Kopf der Getöteten in den Palast bringen, um sich persönlich von der richtig vollstreckten That zu überzeugen. Wenn sich der Kaiser diese und andere Züge einer menschenunwürdigen Niedertracht vorstellte – und mit der Ausmalung solcher Geschichten wird die schlaue Poppäa ebenso wenig gekargt haben wie der Mephisto des damaligen Palatinus, der feile, charakterlose Sportsmann und Vergnügungskommissar Tigellinus, – dann mochte er auch das Schlimmste für möglich halten: die Verwirklichung jener angedrohten blutigen Revolution.

Der geistige Urheber des Ueberlistungsplanes war der Freigelassene Anicetus, der Oberbefehlshaber der am Cap Misenum ankernden Flotte.

Dieser erbärmliche, käufliche, zu jeder Unthat erzbereite Halunge, der auch später in dem Skandalprozeß gegen die unglückliche Octavia eine so traurige Rolle spielte, sann sich – jedenfalls in Gemeinschaft mit Poppäa Sabina – ein geradezu tauflisches Bubenstück aus. Man bediente sich nämlich der einzigen menschlich-rührenden Seite im Charakter der Agrippina, ihrer trotz aller Verbitterung fortglimmenden Mutterliebe, als einer Waffe, um sie gerade in dem Augenblick zu zermalmen, wo ihr Herz, von dem Groll über die „Anmaßung des pietätlosen Knaben“ befreit, an die völlige Wiederherstellung des früheren zärtlichen Verhältnisses glaubte. In dem ganzen Verfahren liegt sonach etwas von jener hassenswerthen Gemeinheit, die wir mit dem Begriffe des Judaskusses verbinden.

Nero befand sich damals in dem altrömischen Welt- und Modebad am tyrrhenischen Meere, zu Bajä, wo er ein üppiges Landhaus besaß, während die Kaiserin Agrippina jenseit des Golfes in Bauli verweilte. Der junge Kaiser, dem die ränkevolle Poppäa den Plan des Flottenbefehlshabers Anicetus nach und nach beigebracht hatte, schrieb nun von Bajä aus einen heuchlerisch versöhnenden Brief an die Fürstin, sprach darin sein Bedauern über die stets wachsende Kluft zwischen Mutter und Sohn aus, erklärte die Handlungsweise der Agrippina und seine eigene für den Ausfluß übererregbarer Temperamente und bot ihr die Hand zum vollkommenen Ausgleich. Damit auch die Welt erfahre, daß keinerlei Groll mehr zwischen den beiden obwalte, lud er die Mutter ein, ihm zu Bajä einen freundschaftlichen Besuch abzustatten.

Agrippina – und das spricht gar deutlich für die Aufrichtigkeit ihrer Liebe zu Nero – ging sofort in die Falle. Sie, die mißtrauische Verbrecherin, die allenthalben Verrath witterte, die keine Speise genoß, ohne sie durch den „Vorprüfer“ kosten zu lassen; die stets Gegengift bei sich trug: sie hielt es für ausgeschlossen, daß ein Sohn, der sich mit solchen herzentquellenden Tönen an seine Mutter wendete, Arges im Schild führen könne. In ihrer Freude erwog sie nicht, wie meisterhaft ein falsches, ehrgeiziges Weib jedes Geführ zu erheucheln versteht, wenn sie dadurch ihre Zwecke fördert; sie ahnte nicht, daß Nero diesen „kindlichen“ Brief unter dem Einfluß ihrer Todfeindin Poppäa Sabina geschrieben hatte.

Alsbald gab sie die Antwort: „Ich komme“ – und dem Versprechen folgte die That. Mit einem nach damaligen Begriffen sehr kleinen Gefolge erschien Agrippina in dem bajanischen Landhaus.

Sie wurde von Nero mit großer Herzlichkeit, ja mit Rührung empfangen, köstlich bewirthet und dann – die Sonne war längst in das Meer gesunken – nach einem verschwenderisch ausgestatteten Prunkschiff geleitet, das die Ueberglückliche durch die sternhelle Frühlingsnacht wieder heimbringen sollte.

Dieses Prunkschiff war eine von Anicetus erbaute Höllenmaschine. Der Mann hatte, wie Dio Cassius erzählt, einmal im Theater mit angesehen, wie ein Schiff von selbst auseinander ging, einige wilde Thiere entlud und dann wieder in seine Fugen zurückkehrte. Sofort war ihm der Plan gereift, „im Dienste der Stattsklugheit“ ein ähnliches Schiff zimmern zu lassen und es den Herren Gewalthabern zur Verfügung zu stellen.

Ehe Agrippina das Schiff bestieg, umarmte Nero die Mutter noch mehrmals mit stürmischer Heftigkeit. „Er drückte sich fester und enger an ihre Brust,“ wie der Geschichtschreiber Tacitus sagt. Man hat in diesem Gebahren des Kaisers das Uebermaß herzloser Heuchelei, den Gipfelpunkt einer widerlichen Schauspielerei erblicken wollen. Ich glaube, mit Unrecht. Selbst Tacitus giebt die Möglichkeit zu, daß „der letzte Anblick der dem Tode geweihten Mutter“ in dem Gemüth des entarteten Sohnes wirkliche Kämpfe hervorrief, ein letztes banges Gefühl: „Laß sie nicht fort!“ Psychologisch ist das ebenso denkbar wie die Küsse Othellos, eh’ er die schlafende Desdemona erwürgt.

Und die Fahrt ging in den schweigsamen Golf hinaus. Die Nacht war entzückend. Kein Hauch in der Luft, kein Kräuseln im Meeresspiegel. Das ferne entschwindende Cap Misenum, die villenbesäeten Hügel – alles schien wie in bläulichen Duft getaucht.

Agrippina saß mit ihrer Vertrauten Acerronia unter dem Baldachin und besprach die Ereignisse dieses glücklichen Tages. Alles wandte sich ja zum guten! Ihr Sohn hatte aufs neue die Grenzen gefunden, wo ihr mütterliches Recht bekann. Er hatte gelobt, diese Grenzen zu achten, ihr fest zu vertrauen, ihrem Rath zu gehorchen, solange sie athmete.

„Wie bist Du beneidenswerth!“ flüsterte Acerronia.

Da plötzlich erscholl ein furchtbares Krachen, ein Prasseln, ein wildes mark- und beindurchdringendes Angstgeschrei. Das Fahrzeug des Anicetus hatte sich wie von selbst in drei Theile zerlegt, von denen der mittlere, auf welchem der Baldachin der Kaiserin-Mutter stand, bleischwer hinabsank. Ehe Agrippina recht zur Besinnung kam, hörte sie rechts und links das dunkle Gewässer gurgeln. Die salzige Fluth schloß sich schäumend über ihrem Haupte.

Mit ein paar kräftigen Armbewegungen rang sie sich wieder empor. Sie hörte die Hilferufe der jungen Sklavinnen, das Jammergeschrei der verzweifelnden Acerronia. „Rettet mich!“ schrie diese, „ich bin die Mutter des Kaisers.“

Ein Hagel von Ruderschlägen war die Antwort auf diese Nothlüge. Acerronia versank unter dem Hohngelächter der Schiffsknechte, die sämmtlich verkappte Seesoldaten des Anicetus waren.

Agrippina begriff natürlich sofort den ganzen Zusammenhang, und die grausenhafte Enttäuschung, der wüthende Schmerz über die Unthat des Sohnes, dem sie so blindlings vertraut hatte, raubten ihr fast den Verstand. Aber der Lebensdrang, der glühende Wunsch, die Gegner nicht triumphieren zu lassen, verlieh ihr übermenschliche Kräfte. Sie hielt sich lautlos. Vielleicht gedeckt und getragen durch irgend ein Bruchstück des zerbrochenen Baldachins, trieb sie dem offenen Meere zu, voll eiserner Willenskraft gegen die Müdigkeit ankämpfend, ausspähend, hoffend und harrend, bis endlich ein Fischerboot die halb Erstarrte aufnahm und nach Bauli brachte.

Mit keiner Silbe verrieht sie, was in ihr vorging. Sie gab sich den Anschein, als halte sie die Katastrophe nur für ein Mißgeschick.

Bei der nun folgenden kurzen Darstellung des weiteren Verlaufs nimmt der Verfasser des vorliegenden Aufsatzes im wesentlichen die Schilderungen seines Romans „Nero“ zum Leitfaden. Er kann dies getrost, da der Roman sich gerade in diesen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_015.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2018)