Seite:Die Gartenlaube (1892) 007.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Freunde der Firma weise auf ihre Geldsäcke zurückziehen. Hast Du Lust, allein in den Sturz des Hauses mit hineingerissen zu werden?“

„Ich befürchte das nicht, ich hege vielmehr die Ueberzeugung, daß eine rasche Hilfeleistung von meiner Seite genügen wird, um die drohende Gefahr abzuwenden. Rosita, habe Vertrauen zu meiner Einsicht und gieb mir die Summe!“

Trotzdem der Konsul in flehendem Tone sprach, schwieg die Frau, und nach einer Weile entgegnete sie mit einem scheuen Seitenblick: „Deine Einsicht hat sich in den letzten Jahren schlecht bewährt, – ich mache Dir keinen Vorwurf daraus, auch der Erfahrenste kann irren. Ein furchtbarer Mißgriff jedoch wäre es, wenn Du jetzt für die Fabbris in die Bresche springen wolltest. Das Glück hat Dich verlassen, glaube mir, und in solcher Zeit darf man nicht ohne Noth Va banque spielen.“

Das Gesicht ihres Mannes röthete sich, und die zornige Erregung raubte ihm fast die Fähigkeit, zu sprechen. „Du scheinst es nicht zu ahnen, wie sauer es mir wurde, Dich um den Dienst zu bitten,“ sagte er endlich. „Nun, da Du mir guten Rath statt Hilfe bietest, mag denn auch meine Rücksicht schwinden. Es gab eine Zeit, Rosita, wo Du mehr Vertrauen in meine Einsicht und Erfahrung setztest. Das war vor zehn Jahren, als Du mir das Erbe Deiner Tante im Betrage von 50 000 Mark übergabst. Ich habe diese Summe unterdessen um das Neunfache vermehrt, und selbst wenn ich die verlangten 300 000 Mark verlieren sollte, bliebe Dir noch das Doppelte Deines ursprünglichen Vermögens.“

„Dieser Rest aber käme der Verarmung gleich – bei unsern Lebensgewohnheiten.“

„Ja, bei unsern Lebensgewohnheiten!“ wiederholte der Konsul und lachte bitter auf. „Diese Lebensgewohnheiten wünsche ich in die Hölle. Welch glückliches Familienleben führte ich einst in bescheidener Stellung, da ich weit, weit davon entfernt war, jene hunderttausend Mark zu besitzen, die Dir heute wie ein Nichts erscheinen! Da sproßten mir aus dem innigen Verkehr mit Weib und Kind tausend Freuden, da war mein Haus ein sonniger Ort, über dem der goldige Schein des Glückes lag. Damals machten mich kleine Erfolge stolzer und befriedigter als später der Gewinn von Hunderttausenden, denn wir lebten bescheiden, und ich durfte den kleinen Gewinn als dauernde Errungenschaft betrachten. Heute kann ich mich der großen Summen nicht mehr freuen, sie zerschmelzen wie Schneeflocken in Deinen Händen. Weißt Du, was unser Haushalt im Laufe des letzten Jahrzehnts verschlungen hat? Achtmalhunderttausend Mark! Ahnst Du, wieviel Arbeit, Aufregung und Kampf dazu gehört, um diese Summe aufzubringen? Mich hat das rastlose Bemühen, Deinen Ansprüchen gerecht zu werden und darüber hinaus ein Vermögen zu begründen, meine Gesundheit gekostet. Aber je mehr ich verdiente, desto größer wurden Deine Ansprüche, Deine Bedürfnisse. Und welcher Lohn ist mir zu teil geworden? Du hast mein stilles Haus zu einer Karawanserei gemacht, in der Schmarotzer und vornehme Taugenichtse verkehren. Leute machen sich an meinem Tische breit, die ich nicht kenne und nicht kennenlernen will. Du bist nur von der Sucht erfüllt, zu glänzen, von dem Verlangen, eine Rolle in einer Welt zu spielen, die niemals die meinige sein wird. Für immer ging der stille Frieden und das Behagen meines Hauses dahin. Du hast Dich mir und hast mir meine Kinder entfremdet. – So, nun ist’s heraus, was mir jahrelang auf der Seele lag und was ich Dir aus falscher Schonung bisher verschwiegen habe. Und damit Du gleich alles weißt – ich bin fest entschlossen, dieser heillosen Wirthschaft ein Ende zu machen. Sobald Mathilde das Haus verlassen hat, verkaufe ich die Villa, und wir richten unsern Haushalt unsern Einnahmen gemäß ein. Dieses Scheindaseins bin ich müde – ich trag’s nicht länger!“

„Nun, ich gestehe, Du bist galant!“ – Frau Rositas Augen funkelten und ihre Stimme erhielt einen herben Klang. „Das ist der Dank für meine Bemühungen, Deinen Töchtern ihren Weg zu den Spitzen der Gesellschaft zu bahnen und ihnen zu einer glänzenden Partie zu verhelfen! Also um meiner Eitelkeit zu genügen, hab’ ich seit Jahren die ungeheure Last auf mich genommen, Fest auf Fest zu veranstalten, Menschen zu besuchen, einzuladen und durch Schmeichelei zu gewinnen, die mir gleichgültig oder gar verhaßt waren? Alles, was ich für Dich und Deine Kinder erreicht habe, bedeutet Dir nichts? Wem anders als mir ist es zu danken, daß Deine Tochter Mathilde heute einen adeligen Namen trägt, daß sie Mitglied einer der stolzesten Familien des Landes geworden ist und daß sie einer beneidenswerthen Zukunft entgegengeht?“

„Das lohne Dir –“ dem gereizten Gatten drängte sich eine Verwünschung auf die Lippen, allein er besann sich noch rechtzeitig und mäßigte seine Worte. „Deine Großthaten sind mir zum Fluch geworden, Rosita, begreifst Du das nicht? Es fehlt uns der feste Boden unter den Füßen, und je höher wir steigen, desto größer wird die Gefahr des Absturzes. Voßlebens adelige Sippschaft hat der Tochter des vermeintlichen Millionärs widerstrebend die Arme geöffnet; kommt es aber zu Tage, wie wenig ich im Grunde noch mein nenne, so wird für meine Tochter jene stolze Familie zur Hölle.“

„Nun, bei diesen Befürchtungen wirst Du um so besser einsehen, daß wir unserer Existenz den festen Grund nicht rauben dürfen.“

„Welchen?“

„Mein Vermögen! Schlagen Deine Spekulationen fehl, so bleiben uns 450000 Mark! Damit können wir zur Noth anständig leben – sie dürfen nicht angetastet werden.“

„Ei, sieh doch! Und der Verlust meiner kaufmännischen Ehre gilt Dir nichts?“

„Ach geh’ – wer fragt heute in der Geschäftswelt nach Ehre? Der Besitz giebt Ansehen, und das ist so gut wie Ehre. Erinnerst Du Dich noch des Gesprächs, das wir vor acht Tagen beim Bankier Lossen führten? Da wurden die betrügerischen Kniffe aufgezählt, durch welche ein Bankier die Aktien seiner faulen Gründungen kleinen Leuten aufgehängt und diesen ihre Ersparnisse abgeschwindelt hatte. Als einige Gäste diese Erzählungen mit Entrüstung aufnahmen, wie urtheilten da Deine Kollegen über den Betrüger – weißt Du es nicht mehr? Nun, so will ich es Dir sagen: „Zugegeben, der Mann hat mit dem Aermel das Zuchthaus gestreift – er ist doch durchgedrungen, mithin ein tüchtiger Mensch. Heute besitzt er Millionen, und die Börse muß mit ihm rechnen.“ – Da hast Du die Werthschätzung der kaufmännischen Ehre!“

Frau Rosita machte eine so verächtliche Bewegung, als werfe sie dem Gatten sein Idol vor die Füße, und wandte sich dann zur Thür. Der Konsul aber vertrat ihr den Weg und sagte hastig: „Der lange Verkehr mit leichtfertigen Menschen scheint auch Deine sittlichen Begriffe verwirrt zu haben. Ich bin anders geartet als jene Anbeter des goldenen Kalbes. Darum werde ich nun und nimmer feig zurücktreten, und wenn Du mir Deine Hilfe versagst, so muß ich meinen Kredit aufs äußerste anspannen, selbst auf die Gefahr hin – alles zu verlieren. Und Rosita – es kann Dir im Falle des Verlusts doch unmöglich schwer werden, zu jenen bescheidenen Verhältnissen zurückzukehren, in denen wir einst glücklich waren. Als Du vor zwölf Jahren in Montevideo als arme Gouvernante in mein Haus tratest –“

„Erinnere mich nicht an diese Zeit!“ unterbrach sie ihn und stampfte mit dem Fuße. „Damals lag eine Reihe von Demüthigungen und Entbehrungen hinter mir, an die ich nicht mehr denken will. Ich habe den Fluch und die Bitterkeit der Armuth gründlich ausgekostet, und weil ich ihr nicht wieder zum Opfer fallen will, verweigere ich Dir das Darlehen und halte fest, was ich besitze. Es wird die Stunde kommen, in der Du meine Vorsicht segnest.“

Mit diesen Worten schlüpfte sie durch die Thür. Der Konsul sah ihr wie betäubt nach und murmelte: „So muß ich ohne Dich fertig werden, Herzlose! Und mögen die Würfel fallen, wie sie wollen, unsere Wege werden in Zukunft getrennt sein. Zum Glück bleibt mir Bettina!“

Kaum hatte der Konsul den Namen Bettinas ausgesprochen, so vernahm er ihre Stimme; in der nächsten Sekunde flog die Thür weit auf und das Mädchen warf sich in seine Arme. „Papa, lieber Papa!“ rief sie und küßte den Erregten auf die Wange, „Graf Trachberg hat Dir etwas zu sagen.“

Der Konsul sah von der Tochter, welche das erglühende Gesicht mit einer schämigen Bewegung an seine Schulter lehnte, zur Thür hin, über deren Schwelle eben der Graf, dessen Vetter Voßleben, Mathilde und Frau Rosita traten.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_007.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2024)