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verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

No. 53.   1887.
      Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.



Jascha.

Von W. Heimburg.
(Schluß.)


Jascha war nicht völlig ohnmächtig; sie hatte noch Besinnung; aber bleich und entstellt lag sie ein paar Minuten später auf dem Sopha. Frau Doktor wusch ihr die Schläfen mit Eau de Cologne; sie wollte ihr das Kleid aufmachen; aber förmlich entsetzt stieß Jascha die hilfreiche Hand zurück, sagte, es sei ihr schon besser, und verlangte nach Ruhe und ihrem Bett. Ich führte sie hinüber; wie eine Halbtodte hing sie an meinem Arme, und schwer und schleppend war ihr Gang. Sie lag dann erschöpft auf ihrem Lager, bis sie nach ein paar Augenblicken durch das Zimmer eilte ans Fenster und von da zur Thür – sie mochte unter einem unerklärlichen schrecklichen Einfluß stehen. „Hinaus!“ hörte ich sie endlich murmeln, und im nächsten Augenblick war sie schon aus der Thür und wie ein Schemen im Korridor verschwunden.

Frau Doktor, die mir begegnete – sie wollte nach Jascha sehen – und nun ihr Davonlaufen erfuhr, eilte, so rasch ihre Fülle gestattete, die Treppe hinunter. Ich folgte ihr; die Flurthür war schon verschlossen; wir kamen in den Gartensaal; ein Fensterflügel stand weit geöffnet.

„Sie ist dort hinaus,“ bemerkte Frau Doktor, „Mary, da kann ich nicht mit, obgleich es sehr niedrig ist; – springe Du ihr nach, ich lasse mir indeß die Hausthür öffnen.“

Ich lief, „Jascha! Jascha!“ rufend, durch den dunklen nassen Garten. Das Gebüsch, das ich streifte, schleuderte mir feine Regentropfen ins Gesicht, und der Fuß glitt aus auf dem schlüpfrigen Wege. „Jascha! Jascha!“

Mich hatte eine Angst gepackt, von der ich mir keine Rechenschaft geben konnte. So kam ich bis zur Buchenhecke. Ein wildes leidenschaftliches Schluchzen drang in mein Ohr. „Jascha!“ schrie ich wieder, „Sie können ja bei der Dunkelheit ins Wasser fallen!“

Das Schluchzen verstummte; es war mir, als hörte ich Schritte, die sich eilig entfernten. „Jascha!“ schrie ich abermals, mich an der Hecke hintastend, „kommen Sie doch!“

„Ja!“ klang es fast demüthig, dicht neben mir; ich hörte das Rascheln der Blätter und sah im nächsten Augenblicke die schlanke Gestalt vor mir.

„O Jascha, es ist unverantwortlich, uns so zu erschrecken,“ schalt ich im Innersten empört, „Was haben Sie mit diesem unseligen Teich da immer vor? Es grenzt ja an Spleen!“

Sie antwortete nicht; sie ging wie ein Lamm neben mir. In der Nähe der Hausthür trafen wir auf Frau Doktor. Der Gartensaal war hell; die Mädchen standen neugierig und erschreckt auf der Treppe und im Flur.

„Gehen Sie sogleich zu Bette, Jascha,“ befahl Frau Doktor streng. „Johanne kocht Thee; ich bitte mir aus, daß Sie ihn trinken. Morgen werde ich den Arzt kommen lassen.“

Jascha schüttelte heftig und stumm den Kopf.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 881. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_881.jpg&oldid=- (Version vom 29.7.2022)