Seite:Die Gartenlaube (1887) 851.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

denken, denn wer kann sagen, ob ich ohne ihn im Leben noch g’funden hätt’, was mir der heutige Abend ’bracht hat.“

„Ja, unser Herrgott sucht sich manchmal g’spaßige Helfer aus!“ fiel Götz mit rauher Härte ein. „Aber Eins, Kuni, g’rad Eins noch sag’ mir! Zwar sollt’ ich nach der Art und Weis’, in der ich Dich reden hab’ hören mit ihm, kein’ solche Frag’ mehr stellen – aber sag’ mir – is der Gori auch g’wiß kein Anderer g’wesen als wie der, für den er sich im Pointnerhof mit Namen aus’geben hat?“

Kuni schwieg und schaute mit starren Blicken in das finstere Gesicht des Knechtes. Dann jählings schlug sie beide Hände vor das Gesicht, und weinend stammelte sie:

„Na, wie muß ich die ganze Zeit her dag’standen sein vor Deine Augen, daß Du so ’was glauben hast können von mir!“

Götz machte eine Bewegung, als wollte er ihr die Hände vom Gesichte ziehen, und dennoch that er es nicht; er fuhr sich nur mit den Fäusten an die Stirn und athmete tief auf.

So saßen sie eine stumme Weile neben einander, bis Kuni mit leisen Worten wieder zu sprechen begann:

„Mein Bruder – ah ja – mein Bruder is er freilich bloß dem Namen nach g’wesen, aber net aus Blut oder G’fühl. Und das hat er mir auch zum merken ’geben, so bitter, daß ich Dir’s schier net sagen kann! Ich hab’ ja kaum die richtigen Wort’ dafür, was ich als Kind schon leiden hab’ müssen von ihm und von dem Andern! Und wie ich selbigs Mal fort bin aus Lengries, da hab’ ich g’meint, es hätt’ mein’ Leidenszeit amal an End’! Im ärgsten Traum net hätt’ ich mir denken mögen, auf was für Weg’ ich noch amal an einander g’rath’ mit Ei’m von meine Brüder! Derweil ich in Deiner Heimath nach Dir g’sucht hab’, sind die paar Groschen drauf ’gangen, wo ich g’habt hab’. Aber a Dienst für mich is net schwer zum finden g’wesen. G’litten hat’s mich freilich an kei’m Platz net lang – ich hab’ halt net die rechte Ruh’ und Freud’ zur Arbeit g’habt. So bin ich z’letzt auf Rosenheim ’kommen, als Kellnerin – das war noch ’s Einzige, was ich verstanden hab’ und was ich g’wöhnt war. Mein Wirth war allweil z’frieden mit mir – ich hab’ ihm ja Leut’ in sein’ leere Stuben ’bracht – aber kannst mir’s glauben: was ihm Geld ein’tragen hat, hat mir kein’ gute und kein’ ungute Stund’ net ’bracht. Auf Schritt und Tritt sind mir die Burschen nachg’stiegen – no mein, ich hab’ mir’s g’fallen lassen, das g’hört ja halb und halb zum G’schäft – aber um Kein’ hab’ ich mich ’kümmert, und Keiner is mir mehr g’wesen als der Ander’. Schier z’wider war mir a Jeder gleich von Anfang an, weil ei’m Jeden schon im ersten Blick aus die Augen z’ lesen war – auf was er ausgeht. Es hat sich halt a Jeder ’denkt, so a Deandl in seiner verlassenen Einschicht’ wär’ a billig’s Haben für seine g’näschigen Wünsch’. Und überhaupt – wenn a Deandl lernen will, recht grundschlecht von die Menschen denken, so braucht’s g’rad a Kellnerin machen – und da is ’s kein Wunder net, wenn auch diemal an ihr was haften bleibt, was net zum besten ausschaut.“

In überquellender Bitterkeit hatte Kuni diese Worte vor sich hingestoßen; nun schwieg sie und starrte wie in Gedanken vor sich nieder; dann wieder fuhr sie seufzend auf und sprach in hastiger Rede weiter:

„Was das für a Leben g’wesen is, Tag um Tag, ich kann Dir’s net sagen – es steigt mir ’s Grausen schon auf bis in Hals, wann ich nur dran denk’! Diemal freilich hat mich der Uebermuth ’packt, und da hab’ ich mich ’zahlt g’macht bei die Leut’ und hab’ s’ zum Narren g’halten, wie’s mir g’rad eing’fallen is. In der Nacht aber, wenn ich d’ Müdigkeit so im Herzen g’spürt hab’ und in alle Glieder, da hab’ ich mir fürg’stellt, wie verlassen und verloren als ich bin, und g’weint hab’ ich oft die ganze Nacht durch, bis der Tag ins Fenster ’graut hat. Und da war nachher mein einziger Trost, daß ich an mein Mutterl ’denkt hab’, und an den, von dem s’ mir in ihrer Sterb’stund’ g’sagt hat, daß er mein Vater is. Und da war’s wie a Beten für mich, daß ich so ’träumt und vor mich hin sinnirt hab’, wie schön das wär’, wenn jetzt mein Mutterl noch leben thät’, und der Vater wär’ mit ihr bei ’nander, und ich dabei – in Glück und Fried’ und Freud’. Wenn’s aber nachher wieder Tag worden is, da hab’ ich mein lieb’s Erinnern in mein Herz verschließen und mein’ Kammer zusperren müssen, wie der Meßner sein’ Kirchen zusperrt vor der Nacht. Manchmal aber sind mir meine Gedanken nach’gangen in d’ Stuben ’nunter, und da bin ich oft den ganzen Tag lang g’wesen, daß mich d’ Leut’ schier nimmer ’kennt haben. Ja – und g’rad auf so an Tag hat’s ’troffen – da komm’ ich amal ’nein in d’ Stuben, und eiskalt lauft’s mir übern ganzen Leib, wie ich hinterm Tisch den Gori sitzen sieh’. Aufg’stiegen is mir gleich Alles vor die Augen, wie er mich ’plagt und g’martert hat als Kind, er und die zwei Andern, und wie s’ meiner armen Mutter mitg’spielt haben – und da hat mich der Zorn anpackt, und zu’gangen bin ich auf ihn, hab’ ihm ’s Bier wegg’rissen, wo ihm der Wirth schon ’geben hat – und hab’ ihm d’ Stuben verwiesen. Er aber hat mich ang’schaut und hat so g’spaßig g’lacht – und gar so stolz wär’ ich worden, hat er g’spöttelt – gar so stolz, wie sich’s doch g’wiß net schicken thät’ für die Tochter – von einer solchen Mutter. Und noch a Wort hat er g’sagt – und schau, Vater, da hab’ ich mich nimmer aus’kennt – wie a Messer is mir das Wort ins Herz ’nein’gangen, und da bin ich auf ihn zug’fahren in der Wuth und hab’ ihn mit der Faust ins G’sicht ’neing’schlagen!“

Schluchzend verstummte Kuni; doch als sie fühlte, daß ein Arm sich schwer und zitternd um ihre Schultern legte, athmete sie wie getröstet auf, fuhr sich über die Augen, und in bebenden Worten sprudelte es von ihren Lippen:

„Zur Stuben bin ich ’naus; er aber is hinter mir drein, und am Arm hat er mich ’packt und hat mir ins G’sicht ’neing’schrieen: den Schlag, den thät’ er sich net g’fallen lassen, und vor ’s G’richt thät’ er mich bringen. ‚Und einsperren müssen s’ Dich,‘ hat er g’schrieen, ‚und ehnder gieb’ ich kein Ruh’ net, ehvor ich Dich net auch da drin weiß, wo Dein Vater g’sessen is, der Zuchthäusler, der Ein’ um’bracht hat!‘ Da hab’ ich g’meint, es wird mir alles Blut zu Eis vor lauter Schrecken – und wie er weiter g’redt hat, hab’ ich g’merkt, daß er Alles weiß, wie’s mit der Mutter g’wesen is und mit Dir. Wie er’s erfahren hat, ob im Zufall, ob er hinter der Thür g’standen is, wie mir mein Mutterl Alles anvertraut hat oder ob er a Bißl ’was vermerkt und nachher alles Andere ausspionirt hat, das hab’ ich bis heutigen Tags noch net erfahren. Ich hab’ auch selbigs Mal net lang darnach g’fragt – ich hab’ nur g’spürt in mir, daß jetzt mein einziger heiliger Schatz, mein Andenken an Mutter und Vater, in G’fahr is – und da hab’ ich mich an seine Arm’ hing’hängt, und ’bettelt hab’ ich und g’weint – was an Geld in meiner Taschen war, hab’ ich ihm zug’schoben und hab’ ihm Alles versprochen, was er haben möcht’, bloß daß er net reden sollt’ und daß er mein einzigs Gut und Heiligthum, den Nam’ von meine Eltern, unter die Leut’ net umtragen möcht’ in Schand’ und Spott!“

Wie in Erschöpfung erloschen ihr die Worte; frierend schauerte sie zusammen und schmiegte sich zitternd an Götz, der in stummer Bewegung seinen Arm noch enger um ihre Schultern schlang.

„Und g’schwiegen hat er – ja – aber jetzt hat er mich g’habt, wo er mich hat haben wollen, und aus’lassen hat er nimmer. Jeden Tag is er dag’wesen, auf meine Kosten hat er ’zehrt und ’praßt, den letzten Kreuzer hat er ’rausdruckt aus mir – und wenn mir ’s Geld aus’gangen is, so hat er in der Wirthsstuben vor die Leut’ sein Spötteln und Aufziehen ang’fangt – und allweil hab’ ich zittert in der Angst, daß er dengerst amal noch Alles ’rausreden könnt’. Was ich mir z’sammg’spart hab’ an Trinkgelder und an Lohn – Alles hab’ ich ihm ’geben – denn wer sonst gar nix hat, als an Einzigs g’rad, wo ihm lieb und werth is, Du lieber Himmel, was giebt so Einer net, daß ihm das Einzige doch erhalten bleibt! Aber Alles is ihm z’ wenig g’wesen, und oft hab’ ich g’meint, als könnt’ ich mir schon gar nimmer helfen. Amal, da hab’ ich schon g’hofft, ich werd’ von ihm erlöst. Da is in der Nacht Einer ang’fallen worden und da haben s’ den Gori in Verdacht g’habt; er aber hat an Zeugen bringen können, der auf sein’ Unschuld g’schworen hat. Und wie er wieder da war, hat er’s noch ärger mit mir ’trieben, als von Anfang. Und nach’geben hab’ ich, allweil nach’geben – und allen Zorn und Haß, den ich vor ihm in mich ’neindrucken hab’ müssen, den hab’ ich an die andern Leut’ wieder aus’lassen – und wo ich an Menschen hab’ lachen sehen in Freud’ und Zufriedenheit, gegen den is der Neid in mir aufg’stiegen, daß er mich oft ’brennt hat in der Seel’. Und allweil ärger hat’s der Gori ’trieben – und wie ich ihm schon

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 851. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_851.jpg&oldid=- (Version vom 24.12.2023)