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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Er setzte weitläufig aus einander, weßhalb es ihm wahrscheinlich sei, daß Siegfried Malköhne eine Zuneigung für Edith geäußert habe und das „verwetterte Mädel“ ihn aus angeborener Sprödigkeit, Weiberlaune, Eitelkeit vor den Kopf gestoßen haben müsse, und jetzt sei ihr nicht wohl dabei.

„Ach, es wäre so schön gewesen,“ rief er, schwärmerisch zum Himmel blickend. „Ich würde ein großes Haus gemacht haben, einen Koch aus Paris haben kommen lassen – und mein Keller!“

„Mit Ihren Principien, Sir Albert!“ konnte sich die Geheimräthin nicht enthalten zu äußern; „Sie verachten so sehr alle diese Dinge!“

„Ach was!“ platzte Glowerstone ärgerlich heraus; „ich will Ihnen etwas sagen, Frau Geheimräthin, und das ist der Schlüssel des ganzen Weltgeheimnisses und aller Weisheit. Also der Satz steht fest: Alles ist eitel. Genüsse, Ehren, Ruhm und Wonnen aller Art, das ist Alles nur eitel Nichtigkeit. Aber Eins ist nicht zu vergessen: diese Wahrheit ist auch eitel! Denn sonst – Sie verstehen –“

Die Geheimräthin war keineswegs in der Verfassung, sich in einen philosophischen Streit einzulassen; sie sagte, daß sie nur gekommen, um Abschied zu nehmen, sie wolle noch in dieser Nacht die Rückreise nach der Hauptstadt antreten. Glowerstone war darüber sehr bestürzt und fragte, was nun aus dem Gutsankauf werden solle, er hätte sich seit dem frühesten Morgen den ganzen Tag bemüht, ihr aus den Tabellen und Registern des Pächters verständliche Auszüge zu machen. Brigitta überwand ihre Verlegenheit, indem sie bemerkte, daß ja die Person des Käufers Sir Albert gleichgültig sein könne; sie werde aber durch ihre Konnexionen auf den Legationsrath einwirken können, daß das Geschäft von Seite der Regierung zu Stande komme.

Nachdem sich Glowerstone einigermaßen damit zufriedengegeben hatte, wünschte Brigitta, auch von Edith Abschied zu nehmen, und bat die Gräfin, sie in das Kämmerchen des Mädchens zu geleiten.




16.

In dem engen Raume hätten drei Personen kaum Platz gefunden. Die Gräfin blieb an der Schwelle stehen und verabschiedete sich, um in ihre Wohnung im Hôtel zurückzukehren, mit der Bitte, daß die Geheimräthin sie dort noch einmal aufsuche, was diese versprach.

Sehr überrascht stand Edith der ihr halbfremden Frau gegenüber.

„Ich habe unmöglich von Ihnen scheiden können,“ sagte Brigitta, „ohne mir Ihre Züge noch einmal einzuprägen. Der Plan, Sie während meines Aufenthaltes hier zu zeichnen, ist freilich gescheitert; ich muß in die Hauptstadt zurück. Aber in meiner Galerie schöner Gesichter, die ich seit Jahren sorgsam mit Kreide festhalte, dürfen Sie um keinen Preis fehlen. Ich muß also mein Gedächtniß recht zu Hilfe nehmen.“

Sie setzte sich und rückte die kleine Lampe zurecht, damit die Strahlen derselben voll auf das Antlitz des Mädchens fielen.

„Nein,“ rief sie sodann, „nicht diesen Ausdruck, nicht diesen Kummer will ich mir im Gedächtniß wiederholen. Ihre Züge haben sich seit gestern verändert, und Sie sind bleicher, als ich mir vorgestellt.“

Diese letzte Aeußerung wurde sogleich zur Unwahrheit; denn hohe Röthe stieg in das Antlitz Edith’s, als sie den Zustand ihres Gemüthes beobachtet wußte.

„Ich bin Ihnen fremd,“ fuhr Brigitta in einschmeichelndem Tone fort, „aber ich bin eine Frau. Sie sind an diesem Orte so einsam, so verlassen; nehmen Sie mit meinem antheilsvollen Herzen vorlieb, weil eben kein anderes in Ihrer Nähe ist.“

Die welterfahrene Brigitta brauchte wenig Kunst, um ihre Absicht zu erreichen, die vorläufig nur dahin ging, das in seinem Gram und in der natürlichen Scheu, ihn zu enthüllen, gleichsam eingefrorene Herz zu bewegen, zu erschüttern. Sie sprach von dem Lose so vieler Frauen, was in ihrer Seele aufgekeimt war, sprachlos ersticken zu müssen, und sobald sie sich selbst als leidend, als tiefgekränkt vom Leben darstellte, war das richtige Mittel gefunden, Edith zu rühren, sie über ihr eigenes Geschick in Thränen ausbrechen zu lassen. Mit den Thränen kommt das Vertrauen zu Demjenigen, der sie hervorgelockt hat, und bald vernahm Brigitta mehr und mehr im Zusammenhang, was das Herz des Mädchens belastete.

Das war derselbe Schmerz, das waren dieselben Gefühle, von denen soeben Siegfried Malköhne zu ihren Füßen überströmt war. „Was trennt diese beiden gleich jungen und gleich liebeerfüllten Geschöpfe?“ fragte sich Brigitta und versank in ein stummes Nachsinnen.

Ein Kampf, ein letzter schwerer Kampf ging in der Seele der tiefgekränkten Frau vor. Ein fast unbewußter Trieb mahnte sie, die Brücke zur Vereinigung der Getrennten mit eigener Hand zu bauen, und doch war sie selbst es gewesen, welche noch vor so kurzer Zeit eine solche um den Preis ihres Lebens verhindert hätte, ja um den Preis, den Geliebten todt zu ihren Füßen zu sehen. Was aber hoffte sie noch, was wollte sie noch? Sie dachte an die Regung, mit der sie soeben den Tiefbekümmerten verlassen hatte, die Regung, die ihr gebot, eine Schützerin, eine Pflegerin, eine Schwester für ihn zu sein – und nichts weiter.

Ein letzter tiefer Seufzer entrang sich ihrer Brust, und dann war die Schwäche, die Selbstsucht, die Eifersucht für immer überwunden. Mit dem Tone, wie ihn nur eine Mutter anschlägt, redete sie zum Gemüthe Edith’s, die staunend und zitternd zu ihr aufsah, weil sie solchen Ton noch nicht vernommen hatte. Allein immer wieder entrang sich ihr die herzzerreißende Klage, daß er sie einer niederen Berechnung fähig gehalten und daß er sie folglich nicht lieben könne.

„Er sollte Sie nicht lieben?“ rief Brigitta, selbst schmerzlich bewegt, und schilderte die Stunde, die Siegfried soeben bei ihr verbracht hatte. Das Weh, das ihr sein Anblick verursacht hatte, bot ihr die glühendsten Farben, um dem Mädchen die Liebe zu malen, die einen Mann von so stolzer und hoher Gesinnung und von sonst so übermüthiger Verachtung alles schwächlichen Gefühlslebens so tief hatte beugen können. Edith war in der That erschüttert und zugleich beseligt, aber wie ein Wehruf entrang es sich ihr:

„Seine Zweifel würden kein Ende nehmen; lebenslang, Tag für Tag würden sie wiederkehren. Sagen Sie selbst, theure Frau, giebt es auf der ganzen weiten Erde einen Beweis – nicht in Worten, die immer nur erfolglos verklingen – einen thatsächlichen Beweis, daß ein Mißtrauen falsch und grundlos ist?“

„Sie haben ihn ja gegeben, diesen Beweis,“ rief Brigitta fast leidenschaftlich. „Sie haben ihn ja mit einem einzigen Wort gegeben, mit dem Nein, das ihn zurückstieß. Sie haben freiwillig, in einem Moment, als Sie Alles ergreifen konnten, Alles von sich gewiesen, den ganzen erbärmlichen Reichthum für Nichts geachtet, nicht werth, ein Atom Ihrer reinen Seele durch einen noch so leisen Verdacht zu schwärzen. Sie haben auf die Güter der Welt so thatsächlich verzichtet, daß für Siegfried nichts mehr übrig bleibt, als sich ewig und ewig zu wiederholen, er hätte das einzige Wesen gefunden, das unbestochen von weltlichen Vortheilen ihm die Hand gereicht, und er müsse nun an dem Beweise, daß er ein solches Wesen gefunden, elend zu Grunde gehen. Der Preis, um welchen er den entzückenden Gewinn erzielte, von der Existenz eines solchen Wesens zu wissen, war aber zu furchtbar; der Preis war der Verlust dieses Wesens selbst. So kann es, so darf es nicht bleiben; Sie dürfen nicht Denjenigen morden, den Sie erst zu seinem wahren Leben erweckt haben.“

So geschah es denn, daß in Edith gleichsam die untergegangene Sonne wieder aufging. Bald lag sie am Herzen der neuen Freundin, und wenn sie weinte, so waren es die Thränen des wiedergewonnenen Glückes. Brigitta beeilte sich, das Erreichte festzuhalten.

„Kommen Sie zu einem letzten Abschied von mir in meine Wohnung,“ rief sie, und sich zu einer heitern Wendung des Gespräches zwingend, fuhr sie fort: „Ich habe Ihnen ja nicht einmal Zeit gelassen, mir einen Gegenbesuch zu machen. Ich will aber nicht von hier scheiden, ohne das Bewußtsein, Sie einmal bei mir willkommen geheißen zu haben.“

Sie ließ nicht nach, bis Edith mit ihr auf der Straße war, und erst als sie an der Thür standen, die im ersten Stockwerke zur Gräfin führte, erhob sich in Brigitta ein neuer Widerstand.

Einen Augenblick dachte sie daran, Edith, die keine Ahnung haben konnte, was sie oben erwartete, allein die zweite Treppe hinaufgehen und vor Malköhne erscheinen zu lassen. Allein Brigitta war zu fein- und zu zartfühlend, um nicht zu fürchten, daß der Schreck des Mädchens über eine so uerwartete und fast unschickliche Begegnung Alles wieder vereiteln könnte. So mußte

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