Seite:Die Gartenlaube (1887) 810.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Malköhne erblaßte. Edith bemerkte dies nicht und fügte den Worten ihres Vaters lächelnd hinzu:

„Sie haben sich wohl schon auf den nächsten Maskenball eingeübt, Herr Legationsrath? Ich habe sonst gar keine Gedanken für solche Dinge; aber nachdem Sie selbst mir Ihre Neigung, wie ein frommer Einsiedler in einer Waldhöhle zu leben, so hübsch dargelegt haben, war ich durch die Erzählungen der Geheimräthin ein wenig betroffen.“

Glowerstone ging in die Erkerstube. Malköhne machte sich am Fenster zu thun, um sein Gesicht nicht unmittelbar Edith zuwenden zu müssen. Er wußte, daß es die Zertrümmerung seines innern Glückes verrathen konnte.

War er, der Kluge, der Welterfahrene, der Mann, der nicht mehr getäuscht werden konnte, nun dennoch in Gefahr gekommen, das Opfer einer versteckten Absicht zu werden? Edith wußte um seine Verhältnisse, wußte, daß ihr an seiner Seite eine Welt des Glanzes und des Genusses erschlossen würde – war sie nicht dadurch bestochen? War dies nicht die Triebfeder, daß sie ihre Hand in die seine gelegt hatte?

In furchtbarer Gestalt stiegen jetzt die warnenden und höhnenden Worte Brigitta’s, die letzten, die sie zu ihm gesprochen hatte, in seiner Seele empor. Ja, das war es! Die Armuth starrte von den Wänden und das Mädchen rühmte sich vielleicht noch wie einer edlen That des falschen Geständnisses, durch welches sie den darbenden Vater aus seinem Elend zu reißen vermochte.

Er mußte Wahrheit haben, sagte sich Siegfried. Wahrheit um jeden Preis! Er mußte ihr seinen Verdacht ins Gesicht sagen. Es galt das Glück eines ganzen langen Lebens und gegen die Beängstigung, in das Unglück zu stürzen, konnten die Rücksichten auf konventionelle Schicklichkeit nicht in die Wagschale fallen. Brigitta’s Mahnung warf jetzt eine brennende Verheerung in sein Gemüth, und die Zweifel mußten ausgerottet werden; er wollte lieber unglücklich als betrogen sein, lieber durch sein Verhalten für einen ungezogenen Barbaren Edith gegenüber gelten, als aus Höflichkeit in eine Falle stürzen.

Gewiß, Edith konnte sich nicht auf die Dauer verstellen; gerade ihre naive Offenheit hatte ihn so sehr bezaubert, sie mußte auf Befragen die Wahrheit bekennen. Und doch zögerte er, das Wort auszusprechen.

Edith ließ, als sie seinen prüfenden Blick auf ihrem Gesicht fühlte, die Arbeit sinken. „Was haben Sie? Fehlt Ihnen Etwas?“

„Ja,“ sagte er rasch, „es fehlt mir plötzlich das Beste, was ich hierher mitgebracht habe. O Edith, ist es denn möglich, daß mein Vermögen in Ihren Augen mehr Werth hat als mein Herz?“

Sie sah ihn befremdet an: „Mehr Werth – Ihr Vermögen? Wie soll ich denn das verstehen, Siegfried?“

Er sah nicht den Blick, der jeden Dritten überzeugt hätte, und verstand nicht das Beben ihrer Stimme. Mit hastigen Worten sich überstürzend theilte er ihr Alles mit, was in seinem Innern brannte, auch den von außen geschürten Verdacht; er wog seine Worte nicht, er sah nicht, wie unter dem Eindruck derselben ihr Gesicht erblaßte und einen Ausdruck des Entsetzens annahm; er wand sich vor ihr unter dem Gifttropfen, den ihm Brigitta ins Herz gegossen hatte.

„Gott – mein Gott!“ rief endlich Edith tief erschüttert, „ist es denn möglich, daß Sie das glauben können? Soll ich mich jetzt zur Versicherung erniedrigen, daß dem nicht so sei? O, wenn das –“ sie kam nicht weiter! die Thränen stiegen ihr in die Augen, sie wandte sich, sie zu verbergen.

„Vergieb, Edith,“ rief Malköhne, „ich bin ja ein Wahnsinniger, Dich so zu quälen. Nein, jeder Zweifel muß vor Deinen reinen Blicken vergehen! Aber Du weißt es nicht, Du kannst nicht ahnen, wie tief mich das getroffen hat. Dort Berechnung zu finden, wo man endlich einmal voll vertrauen wollte und selig sein – o, es ist ja Höllenqual, das nur zu denken –“ wieder stampfte er den Boden und Edith sah ihn voll tiefer Niedergeschlagenheit an. Dann schritt sie langsam dem Fenster zu.

In diesem Augenblicke erschien Glowerstone und ersuchte den Legationsrath, für einen Moment in die Erkerstube hinüberzukommen. Die Herren setzten sich vor die Tabellen und Register, und während Malköhne nachdenkend einen Theil derselben zu studiren schien, sann er doch über einen ganz andern Gegenstand nach. Er befand sich schon nicht mehr unter der Einwirkung der klaren Augen, die seinen Zweifel verstummen gemacht hatten, und die Angst überfiel ihn von Neuem, doch überlistet zu sein – für einen Diplomaten wohl die schlimmste Empfindung, und sie wurde plötzlich, indem er sich Brigitta’s Hohnlachen vorstellte, wieder so mächtig in ihm, daß sie ihm alle Ruhe raubte.

„Ich habe im Salon mein Notizbuch liegen lassen, glaube ich,“ sagte er. „Bleiben Sie hier, Sir Albert, ich kehre sogleich zurück!“

Er fand Edith noch am Fenster sitzend und lehnte sich, nach einigem zwecklosen Umhersuchen, ihr gegenüber in einen Stuhl, die Beute der widerstreitendsten Empfindungen. Jetzt wollte er reden – und fand nicht die Worte, ihr nochmals den unbeweisbaren Verdacht auszusprechen; dann wollte er durch ihren Anblick sich von diesem Verdacht losringen – und konnte doch sein altes Gefühl für sie nicht mehr im Herzen lebendig werden lassen. Der Zustand wurde ihm von Minute zu Minute unerträglicher.

In Edith vollzog sich indessen auch eine stürmische Bewegung. Die Zweifel des Geliebten regten sie um so furchtbarer auf, als nicht nur das Ungerechtfertigte derselben, sondern auch ihre Unschönheit an dem eben erstandenen innern Glück rüttelte. Sich sammelnd und ruhig überlegend kam sie zu dem traurigen Ergebniß, daß, wer einmal von diesem Gesichtspunkt, der sich freilich im Weltleben nahe genug aufdrängen mochte, ausgegangen war, immer wieder darauf zurückkommen mußte. Selbst die vollzogene Vermählung würde daran nichts ändern können. Die Zweifel wären immer wieder da, Zweifel, die durch Worte nicht beseitigt werden konnten, und doch war in der ganzen Welt nichts Anderes dagegen vorhanden als eben Worte. Wo aber die Worte finden, um einen so hartnäckigen Unglauben stets neu zu besiegen? Sie sah ja jetzt schon, daß der ganze vorige Eindruck wieder ausgelöscht war; sie sah den Kampf auf Siegfried’s Gesicht, der sich von Neuem in seiner Seele abspielte. Plötzlich war ihr Entschluß gefaßt.

„Ihre Zweifel würden niemals ein Ende nehmen,“ sagte sie heftig zu Malköhne; „darum ist es besser, gleich jetzt das Richtige zu thun.“

Und mit bitterer Ironie fuhr sie fort:

„Sie hören hier aus jeder Stube, aus jedem Möbel die hilflofe Armuth schreien! Wie hätte mich dies nicht in Versuchung führen sollen! Sie haben Recht, ich liebe Sie nicht. Fliehen Sie mich, ich bin eine schreckliche Kreatur.“

Der schneidende Ton dieser Selbstverhöhnung bewirkte, was ihr Ernst und ihre Ruhe nicht vermocht hatten; sein Argwohn schwand. Er warf sich ihr zu Füßen und beschwor sie, sein Mißtrauen zu vergessen und ihm die Beleidigung zu vergeben. Allein Edith wandte sich ab, die unverdiente tödliche Kränkung brannte in ihrem Herzen, sie fühlte sich namenlos unglücklich.

„Sie lieben mich nicht,“ sagte sie, „sonst wäre ein solcher Zweifel niemals in Ihnen erwacht. Gehen Sie, und mögen wir uns niemals mehr wiedersehen. Ihr Verdacht hat mich besudelt, den Fleck kann nur die Zeit tilgen! Ihr Anblick würde ihn immer von Neuem auffrischen. Leben Sie wohl!“

Sie blieb unerschütterlich und verließ das Zimmer. Er stürzte aus dem Hause, eine Beute der Verzweiflung.

(Schluß folgt.)




Das erste Jahr im neuen Haushalt.
Eine Geschichte in Briefen. Von R. Artaria.
XII.
Neustadt, 10. Juni 1880. 

Ja, liebste Marie, nun heißt es wieder, die Feder eintauchen, nachdem wir vier schöne Wochen täglich nach Herzenslust plaudern konnten. Wie glücklich hat mich Dein Besuch gemacht, wie leid thut uns Allen Dein Gehen! Hugo schwärmt noch in Erinnerung unserer Brahms-Abende von dem Mondscheinzauber Deiner seelenvollen Stimme; seine Mutter (o Wunder!) nennt Dich ein „angenehmes Mädchen“, und Klara, das arme Kind, macht es wie Prinz Carlos und sieht in „grenzenloser Liebe“ das Rettungsmittel gegen eine Eifersucht, die auch dem gutartigsten Menschenkind aufsteigt, wenn andere Leut so viel schöner und klüger sind.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_810.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2024)