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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Frühroths. Ernste, des Stromes kundige Steuerleute, junge gliederkräftige und waghalsige Ruderer bieten dem Alten ihre Dienste an. Bedachtsam wählt er die erfahrensten Steuerleute, die kräftigsten Ruderer aus ihrer Mitte; dreifach bemannt er das Steuer, doppelt jedes Ruder; dann mahnt er zum Aufbruche. „Männer und Söhne des Landes, Kinder des Stromes, betet die Fatiha,“ befiehlt er. Und alle sprechen die Worte der ersten Sure des Koran: „Lob und Preis dem Weltenherrn, dem Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, zu Dir wollen wir stehen, daß Du uns führst den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner Gnade sich freuen, nicht aber den Weg derer, über welche Du zürnest, und nicht den Weg der Irrenden!“

„Amen, meine Söhne; im Namen, des Allerbarmers! Löset das Haftseil, und Hand an die Ruder!“ Mit gleichmäßigem Schlage fallen diese ins Wasser.

Langsam treibt der aufgestauete Strom das Boot der ersten Schnelle zu; und wiederum jagt es, nachdem es dieselbe erreicht hat, weder dem Steuer, noch den Rudern gehorchend, in allen Fugen knarrend und ächzend durch sich überstürzende Wogen und kochenden Gischt, durch Strudel und Wirbel, Engen und jählings sich wendende Straßen, von den Wellen umspült und überschüttet, auf Armeslänge an Felsenkanten vorüber und dicht über umwirbelte Felszacken hinweg einer zweiten Schnelle zu. Von der Höhe des Absturzes aus blickt das Auge mit Entsetzen zu einer in Anbetracht der furchtbaren Wassergewalt grausigen Tiefe hernieder, und gerade vor dem unteren Ausgange der Schnelle erhebt sich ein runder Felsblock, welchen schäumende Wellen umgeben, als ob ein von weißen Locken umwalltes Riesenhaupt aus dem Wasser aufgetaucht wäre. Einem abgeschnellten Pfeile vergleichbar schießt das gebrechliche, hier unlenkbare Gebäude diesem Riesenhaupte entgegen.

„Im Namen des Allbarmherzigen, rudert, rudert, Ihr Männer, Ihr gewaltigen, tapferen, kühnen Männer, Ihr Kinder des Stromes,“ stöhnt der Reïs; „backbord, backbord das Steuer mit aller Kraft.“

Aber Ruder wie Steuer versagen. Zwar nicht der Felsblock gefährdet das Fahrzeug, aber eine enge, in ein Felsenwirrsal führende, steuerbords vom Felsen abzweigende Straße nimmt es auf, und vergeblich suchen aller Augen nach einem Auswege aus jenem Wirrsal. Schon verlassen die Schiffer die Ruder, um sich ihrer letzten Bekleidungsstücke zu entledigen und nach dem voraussichtlichen Scheitern des Bootes im Schwimmen nicht behindert zu werden; da lenkt ein furchtbarer Krach aller Blicke wieder nach rückwärts: jenes Felsenhaupt hat das nachfolgende, längere, minder lenksame Boot als Opfer empfangen und trägt es frei schwebend über den darunter zischenden Fluthen. Das vermehrt das Entsetzen. Alle Schiffer sehen die Bemannung jenes Bootes als verloren an, und alle bereiten sich vor zum Sprunge in die Tiefe. Da zittert hell und klar die Greisenstimme des Stromesalten über das wirbelnde treibende Fahrzeug. „Seid Ihr denn toll, seid Ihr von Gott verlassen, Ihr Kinder der Heiden? Arbeitet, arbeitet, Ihr Knaben, Ihr Männer, Ihr Helden, Ihr Recken, Ihr Gläubigen! In der Hand des Allmächtigen ruht alle Kraft und Stärke; ihm sei die Ehre; an die Ruder also, Ihr Heldensöhne!“

Und er selbst tritt an das Steuer und führt das verirrte Boot binnen wenigen Minuten vom „Wege der Irrenden“ auf den „rechten Weg“ zurück. Eines der Boote nach dem andern erscheint im freien Wasser; aber nicht alle Fahrzeuge entrannen dem Verderben. Noch immer, und wohl bis zur nächstjährigen Nilschwelle trägt das Riesenhaupt seine Last, und jenes Unglücksboot, welches die Weiber führte, zerschellte in tausend Trümmer schon in der obersten Schnelle. Mit der glücklich geretteten Mannschaft beten die Schiffer wie vor der Abfahrt: „Lob und Preis dem Weltenherrn!“

Vor dem palmenbeschatteten Dorfe Wadihalfa liegen die geretteten Boote neben einander; am Strande selbst lagern um lodernde Feuer in malerischen Gruppen die Schiffer. Gewölbte Urnen, gefüllt mit Meriesa, laden zum Zechen ein; in anderen Gefäßen derselben Art brodelt das Fleisch geschlachteter Schafe, unter Aufsicht rasch herbeigekommener, mit Ricinusöl gesalbter, für Europäer unnahbarer Frauen und Mädchen. Citherklänge und Trommelschläge bezeichnen den Beginn der „Fantasia“, des Festes, des Schmauses, des Gelages. Unsägliches Wohlsein beglückt alle Schiffer; genußfreudiges Behagen drückt sich in Miene und Bewegung aus. Endlich aber fordert die nach dem heutigen schweren und segenbringenden Werke unausbleibliche Ermüdung ihre Rechte. Dem schlaffwerdenden Arme entsinkt die Tarabuka, der ermattenden Hand die Tambura, und alle die bis vor wenig Augenblicken so lauten Stimmen schweigen.

Dafür beginnt nunmehr die Nacht zu reden. Von oben hallt der Donner der Stromschnellen hernieder; in den Palmenkronen, mit deren Wedeln der Nachtwind spielt, hebt ein Geflüster an; am flachen Strande brechen sich klangvoll plätschernd die Wellen. Und Wagendonner und Wellenspiel, Windesrauschen und Palmengestüster weben den köstlichen Schlummergesang, welcher Alle hinüberwiegt in das lichtvolle Reich goldenen Traumes.




Erbarmt euch der darbenden Vögel!

Wie oft finden wir während der Wintermonate diesen Ruf in den Spalten der Tageszeitungen abgedruckt und wie Viele kommen ihm freudigen Herzens nach! Die Bestrebungen der Vogelfreunde haben nach jahrelanger Agitation reiche Früchte getragen; und es geschieht gegenwärtig viel, um den gefiederten Scharen, welche durch ihren Gesang Wald und Flur beleben und durch Vertilgung von Insekten dem Landwirth und dem Gärtner unberechenbaren Nutzen bringen, den nöthigen Schutz angedeihen zu lassen. In der langen Reihe der Schutzmaßregeln ist aber die Fütterung der Vögel im Winter eine der beachtenswerthesten. Ihr Erfolg ist sehr bedeutend, wenn die Fütterung in passender Weise vorgenommen wird; denn auch auf diesem Gebiete des Wohlthuns darf man nicht allein dem Zug des Herzens folgen, sondern man muß sich durch vernünftige, gewisse Zwecke verfolgende Grundsätze bestimmen lassen. Viele legen im Winter auf gut Glück Futterplätze an, bemerken aber zu ihrer Ueberraschung, daß dieselben von den gefiederten Gästen nicht besucht werden, und gelangen in Folge dessen zu der irrthümlichen Meinung, daß solche Futterplätze unnöthig sind.

Das ereignet sich sehr oft bei Leuten, welche die Lebensart der Vögel nicht kennen und darum auch nicht wissen, daß ein Vogeltischchen besonders gedeckt werden muß.

Sperlinge und Tauben, die an Menschen gewöhnt sind, erscheinen auf jedem Futterplatz und lassen sich auch auf dem Fenstersims nieder; andere Vögel aber verlassen nur ungern oder gar nicht das ihnen Deckung gewährende Gestrüpp. Man muß darum ihre Gewohnheiten beim Nahrungsuchen belauschen und die künstlichen Futterplätze derart anlegen, daß sie den natürlichen, an welchen die Vögel sonst Nahrung finden, ähnlich sind. Ein und derselbe Platz wird niemals von allen Vogelarten besucht; es müssen für verschiedene Arten verschiedene Plätze angelegt werden, und wir wollen dies an einigen Beispielen erläutern.

Fassen wir die große Sippe der Meisen, die kleineren Spechte, Baumläufer, Spechtmeisen, zunächst ins Auge! Für diese bewegliche und muntere Gesellschaft werden sogenannte „Hochplätze“ angelegt. Ueber mannshoch bringt man im Geäst eines Baumes ein mit vorstehenden Latten benageltes, horizontales Brett an oder man benutzt in derselben Höhe in einem gut bewachsenen Spalier eine Latte oder auch ein Fensterbrett, falls davor ein höherer Baum steht. Es ist dafür zu sorgen, daß die kleinen Wintergäste von etwaigen Feinden nicht leicht überrascht werden können. Dichtes Gezweig in der Nähe des Brettes bietet ihnen genügenden Schutz; wo ein solches aber fehlt, muß man den Futterplatz unter einigen Dornen verstecken, was ja nur geringe Mühe verursacht. An einem solchen Plätzchen fühlen sich die genannten Vögel sicher, besuchen dasselbe gern und erfreuen den Thierfreund durch ihr bewegtes Treiben.

Andere Arten, wie Finken, Leinfinken, Zeisige, Feldsperlinge, Grünlinge, Goldammern, Spornammern, Bergfinken, Berghänflinge etc., müssen mit sogenannten „Feldplätzen“ versorgt werden. Diese sind stets etwas fern von dem lauten Treiben menschlicher Thätigkeit, am besten in der Nähe von Feldgehölzen oder Obstplantagen, zu errichten. Auch diese Plätze besteckt man mit einigen Dornen. Nothwendig ist es aber, daß man die Vögel von Weitem her dorthin „zusammenruft“. Dies geschieht, indem man dünne Pfählchen in die Erde schlägt und um diese Sträucher von Disteln, Cichorien, Spargel und Halme von Nesseln, Haferstroh in aufrechter Lage festbindet, sodaß diese Büsche einigermaßen ganz dünnen, aufrechtgestellten lockeren Garben gleichen. Die Feldplätze sind ungemein wichtig, werden aber leider viel zu wenig angelegt: sie eignen sich vorzüglich für die Feldmarken der Dörfer, namentlich die Areale der Rittergüter.

In ähnlicher Weise werden noch „Straßenplätze“, „Gartenplätze“ für Amseln, Drosseln und Staare, und „Zaunkönigplätze“ errichtet. Besondere „Gelegenheitsplätze“ bilden beerentragende Sträuche oder Sonnenrosen, die man in günstig gelegenen Gärten zieht und, an einen Pfahl gebunden, den Winter über stehen läßt. Man reiht auch Kürbis- und Gurkenkerne auf dünne Schnuren und wirft diese hoch hinauf in die Zweige der Bäume, wo sie sich sofort so verschlingen, daß sie hinreichend befestigt sind. Das sind auch kleine Gelegenheitsplätze.

In der Wahl der Nahrung, mit welcher die Futterplätze beschickt werden, muß gleichfalls sorgfältig vorgegangen werden. Es giebt

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