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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Eine gekrönte Dichterin.
Von Rudolf von Gottschall.


„Es soll der Sänger mit dem König gehen,
Denn beide stehen auf der Menschheit Höhen.“

So singt Schiller. Doch es giebt ja auch der Beispiele genug, daß die Könige selbst Sänger sind, von dem großen Psalmendichter der Juden bis zum König Ludwig I. von Bayern und den schwedischen Enkeln Bernadotte’s. Neuerdings haben die Gedichte einer Königin deutscher Herkunft großes Aufsehen erregt: wir meinen die Königin Elisabeth von Rumänien, die als Dichterin unter dem Namen Carmen Sylva aufgetreten ist. Das Interesse wurde gesteigert durch alles, was man sonst von dieser Fürstin hörte, welche nicht bloß Geist und Phantasie, sondern einen tüchtigen Charakter bewährte und für das Wohl ihres Volkes, so weit dies einer Regentin möglich, in eben so aufgeklärter wie aufopfernder Weise sorgt.

An den Ufern des Rheinstroms stand ihre Wiege: im Schlosse zu Neuwied wurde Prinzessin Elisabeth zu Wied am 29. December 1844 geboren. Die Fürsten von Wied waren stets tapfere Patrioten gewesen und hatten sich dem Rheinbunde nicht angeschlossen; zwei von ihnen waren auf den Schlachtfeldern der Befreiungskriege gefallen; ein Prinz Maximilian von Wied hatte sich als Reisender in Amerika und als Naturforscher einen Namen gemacht. Der Vater der Prinzessin war selbst Philosoph und hat mehrere Werke über Fragen geschrieben, welche noch die Gegenwart beschäftigen: wohl möglich, daß sie von ihrem Vater die Neigung zu ernster Gedankenarbeit geerbt, denn als Dichterin ist sie stets auch Denkerin mit großen Zielen und Tendenzen und hat sich niemals bloß jener zierlichen Porzellanmalerei hingegeben, mit welcher die Muse der „Stillen im Lande“, der beschränkten Gefühlspoeten, hausiren geht. Wohl aber mochten die heiteren Rheinlande mit ihrem großen fröhlichen Strom, ihren anderen landschaftlichen Reizen, zu denen auch der geheimnißvolle Zauber ihrer Bergwälder gehört, anregend auf das Gemüth des Kindes wirken, das so schon früh seine „kleinen heimlichen Verse“ dichtete und mit vierzehn Jahren das erste Drama verfaßte. Wie empfänglich die junge Prinzessin für jede Naturschönheit war, welche die Umgebungen des Jagdschlosses Monbijou ihr boten: das zeigen mehrere Abschnitte in einem ihrer neuesten Romane, den sie zusammen mit einer Freundin unter dem Pseudonym „Dito und Idem“ herausgegeben und in den sie viele Jugenderinnerungen hineingeheimnißt hat. Früh lernte sie neuere Sprachen und eignete sich besonders eine große Fertigkeit im Französischen an, das sie ja auch in späteren Schriften und Dichtungen mit derselben Leichtigkeit wie ihre Muttersprache handhabte; auch studirte sie Naturwissenschaften und machte Fortschritte im Zeichnen und Malen. Am Krankenbette eines geliebten, einem unheilbaren Leiden verfallenen jüngeren Bruders, den sie mit treuer schwesterlicher Liebe pflegte, lernte sie auch jene Nachtseiten des menschlichen Lebens kennen, deren schwermüthiger Nachklang uns aus vielen ihrer Gedichte entgegentönt.

Carmen Sylva.

Nachdem die Prinzessin konfirmirt worden, lernte sie das Hofleben kennen, in Petersburg, Berlin, Stockholm, auch an dem Kaiserhof in Paris, der damals, im Jahre 1867, noch durch die politische Machtstellung Frankreichs, durch den einschmeichelnden Reiz, den Kaiserin Eugenie auf ihre Umgebungen ausübte und durch des Kaisers eigenartige Persönlichkeit unter den europäischen Höfen sowohl einen hohen Rang einnahm als auch eine besondere Anziehungskraft ausübte. Im Jahre 1869 kam der Hohenzollern’sche Prinz, welcher Fürst von Rumänien geworden war, an den Rhein, Elisabeth wurde seine Gemahlin und dann später Königin von Rumänien. Sie sah in der Königskrone nicht bloß eine Gabe des Glückes und der Liebe: sie erkannte die Verpflichtungen an, welche diese hohe Lebensstellung ihr auferlegte. Ernst und überzeugungsvoll suchte sie in weitesten Kreisen Gutes zu wirken, sie gründete eine große rumänische Wohlthätigkeitsgesellschaft, einen deutschen Frauenverein mit einer Speise-Anstalt, eine Königin-Elisabeth-Schule, in welcher Kinder des Volkes lernen, die alten schönen Nationalkostüme nach den Mustern die noch vorhanden, wieder herzustellen. Hierdurch zeigte sie, daß sie nicht einseitig deutsche Bildung nach Rumänien importiren, sondern auch den echt rumänischen Nationalgeist wecken und pflegen wollte. Während des Türkenkriegs, an welchem sich die Rumänen so tapfer, besonders bei der Erstürmung von Plewna, betheiligten, widmete sie sich der liebevollen Pflege der Verwundeten, errichtete Spitäler, die unter ihrer Leitung standen, und versah oft selbst die Dienste der barmherzigen Schwester. Beim Volke heißt sie seitdem die Mutter der Verwundeten, und die rumänischen Officiersfrauen widmeten ihr eine Statue, welche sie darstellt, wie sie einem verwundeten Soldaten eine Schale zum Trinken reicht.

Auch brachten die Blätter seinerzeit die Nachricht, daß die Königin, unzufrieden mit dem Unterricht in der modernen Litteratur, wie er in der staatlichen höheren Töchterschule in Bukarest ertheilt wird, vom Januar d. J. ab es selbst übernommen habe, als Lehrerin der Anstalt regelmäßig diese Stunden zu geben. Sie hatte früher einzelne begabte Schülerinnen zu sich kommen lassen, um sie in ihrem eigenen Lieblingsfache zu unterrichten; doch weil daraus allerlei Eifersüchteleien entstanden, zog sie es vor, in der Klasse selbst als Lehrerin aufzutreten.

Das Alles zeugt von einem tüchtigen, vorurtheilsfreien Sinn, von einem energischen Charakter, wie ja auch der Wunsch beweist, den sie in einem ihrer Gedichte ausspricht:

„Ich wollt’, ich wär’ von Eisen,
Von Eisen möcht’ ich sein.“

Geist- und charaktervoll ist auch die Erscheinung; die große schlanke Gestalt, die vielsagenden tiefblauen Augen mit den feingeschwungenen Augenbrauen, ein graziös lächelnder Mund, eine Fülle wolkigen Haares. Sie ist von unermüdlichem Fleiße, steht in aller Frühe auf, steckt sich selbst eine kleine Oellampe an und arbeitet an ihrem geschnitzten Tischchen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_749.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)