Seite:Die Gartenlaube (1887) 730.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Edmund Alfred Brehm.
Land und Leute zwischen den Stromschnellen des Nil.

Aegypten und Nubien, unmittelbar an einander grenzend, durch den ihnen gemeinsamen Strom verbunden, sind wesentlich von einander verschieden. Aegypten durchfluthet der göttliche Nil in ruhigem Gange, Nubien durchrauscht er in hastiger Eile; über Aegyptenland verbreitet er weithin seinen Segen; in Nubien wird er gefesselt durch hohe, felsige Ufer; in Aegypten erreicht er die Wüste, in Nubien die Wüste ihn selber. Aegypten ist ein Garten, welchen er in einer Arbeit geschaffen, die Jahrtausende währt; Nubien eine Wüste, welche er nicht zu besiegen vermochte. Wohl hat auch diese Wüste Oasen wie jede andere; ihrer aber sind wenige und alle kaum in Betracht zu ziehen gegenüber dem in unwandelbarer Oede und Unfruchtbarkeit verharrenden Lande zu beiden Seiten des Stromes. Fast überall in dem langen, gewundenen Thale, welches wir Nubien nennen, erheben sich dunkle, glänzende Felsenmassen aus dem Strombette selbst oder doch nur in geringer Entfernung vom Ufer, verwehren aus weite Strecken hin beinahe allen Pflanzen, sich zu entwickeln, und empfangen nur durch die Wüste im Osten wie im Westen eigenartigen Schmuck in Gestalt goldgelber Sandwogen, welche über sie hinab zum Strome rollen. Glühend blitzt die Sonne hernieder von dem tiefblauen, kaum jemals bewölkten Himmel, und viele Jahre nach einander erfrischt nicht ein einziger Regenguß das ausgedörrte Land. In dem tief eingeschnittenen Felsenthale kämpfen die lebenspendenden Wogen des befruchtenden Stromes vergeblich mit dem unempfänglichen Gesteine, an welchem sie sich hallend und brausend, rauschend und donnernd brechen, als könnten sie zürnen, daß ihrer Freigebigkeit Undank, ihrer Milde Trotz geboten wird. Die Walstatt, auf welcher dieser Kampf stattfindet, ist das Gebiet der Stromschnellen des Nil.

Die wenigsten Reisenden, welche das untere Nilthal durchziehen, lernen die Stromschnellen seines mittleren Laufes kennen. Ein verhältnißmäßig geringer Bruchtheil von ihnen überschreitet den sogenannten ersten Katarakt, unter Hunderten kaum Einer den zweiten. Wadihalfa, ein unmittelbar unter der zweiten Stromschnellengruppe gelegenes Dorf, bildet das gewöhnliche Ziel der Nilreisenden; weiter nach Süden hin treiben nur Forschungsdrang, Jagdeifer oder Hoffnung auf Handelsgewinn. Von Wadihalfa aus beginnen die Schwierigkeiten einer Reise in das Innere Afrikas: kein Wunder daher, daß die große Menge in jenem Palmendorfe den Bug des Bootes wieder heimwärts kehrt. Wer aber jung und kräftig, willensstark und unverzärtelt ist, wird niemals bereuen, wenn er weiter nach Süden vordringt. In dem an landschaftlichen Reizen armen Nilthale bildet das Gebiet der Stromschnellen eine eigenartige Welt für sich. Großartige und anmuthige, ernste und heitere, unendlich öde und frisch lebendige Bilder wechseln mit einander ab; aber es sind Bilder der Wüste, welche diese Landschaft dem Auge bietet, und Vergessen des Gewohnten wird zur Vorbedingung, um sie so zu würdigen, wie sie verdienen.

Wer nicht im Stande ist, die Wüste zu begreifen, an ihrem Farbenreichthum sich zu ersättigen, ihre Gluth zu ertragen, an ihrer Nacht sich zu erquicken, thut wohl, auch die Nilwüste zu meiden; wer offenen Auges und empfänglichen Herzens das Gebiet der Stromschnellen durchwandert, womöglich sogar in gebrechlichem Boote, den Kampf aufnimmt mit den schäumenden und tobenden Wogen, wird sein ganzes Leben hindurch zehren an köstlichen Erinnerungen; denn nie und nimmer wird vor dem geistigen Auge das ergreifende Schauspiel verbleichen, welches das leibliche Auge erschaute, niemals der Seele die erhabene Weise verklingen, welche der Strom einst dem Ohre gesungen. So wenigstens ergeht es mir, der ich zu Lande und zu Wasser das Felsenthal Nubien durchwandert, im Boote stromauf- wie stromabwärts mit den Wellen wie mit Mangel und Noth gekämpft, von der Spitze steiler Felsen wie vom Rücken des Kamels die Stromschnellen überblickt habe.

Es ist gebräuchlich geworden, von drei Nilkatarakten zu reden. Jeder von ihnen besteht aus einer Reihe von Stromschnellen, welche innerhalb eines meilenlangen Landstrichs die Schifffahrt in hohem Grade erschweren und gefährden. Im ersten Katarakt giebt es allerdings nur eine einzige namhafte Stromschnelle; im zweiten und dritten aber zusammengenommen deren gegen dreißig, welche der nubische Schiffer mit besonderen Namen bezeichnet. Wasserfälle, welche ja auch jede Schifffahrt unmöglich machen würden, sind nicht vorhanden, finden sich wenigstens nicht in der Straße, auf welcher, abgesehen von den durchgehenden Fahrzeugen, die eigens für die Stromschnellen gebauten und ausgerüsteten Boote sich bewegen.

Wenn man, den Fluthen des heiligen Stromes entgegenreisend, die nördlichste Einengung der Ufer zwischen den „Bergen der Kette“ hinter sich gelassen hat, ändert sich jählings die Landschaft. Aegypten oder das unterhalb gelegene breite, nach dem Meere hin zu einer unabsehbaren Ebene sich erweiternde Stromthal, liegt hinter dem Reisenden, und die felsige Schwelle Nubiens baut sich vor dem Auge auf. Der Gegensatz ist überraschend. An Stelle des eintönigen Geländes tritt wechselvolles. Wohl bietet auch die Landschaft Aegyptens manches augenerquickende, herzerfrischende Bild; wohl schmückt auch sie sich, zumal in den Morgen- und Abendstunden, mit dem wunderbaren Glanze der südlichen Beleuchtung: im Großen und Ganzen aber erscheint sie eintönig, weil man überall dasselbe erschaut, gleichviel ob man den Blick an den Sandstein- und Kalkfelsen der Thalgrenze haften oder über Strom und Felder schweifen läßt. Ein und dasselbe Bild kehrt, kaum verändert, hundertfach wieder: Gebirge und Fruchtebene, Uferwände und Inseln des Stromes, Mimosenhaine, Palmengruppen und Sykomorenbestände, Städte und Dörfer tragen im Wesentlichen dasselbe Gepräge. Angesichts der Felsenmassen des ersten Katarakts, des letzten Riegels, welchen der zum Meere drängende Strom sprengte, endet dieses Aegypten und beginnt Nubien. Nicht mehr auf dem in majestätischer Ruhe dahinfluthenden Strome treibt das Boot, sondern zwischen Felsenmassen und aus den Wogen sich erhebenden Felsenkegeln erkämpft es sich seine Bahn.

Hoch auf steilabfallendem Vorsprunge des linken Ufers zeigt sich ein erbärmliches und dennoch wirkungsvoll zur Geltung gelangendes arabisches Bauwerk, das Grabmal Scheich Musa’s, des Schutzheiligen der ersten Stromschnelle, sodann die palmenreiche Insel Elephantine und gleich darauf Assuan. Felsenmassen, aus deren Rinde die jahrtausendelange Arbeit der gegen sie anstürmenden Wogen zur Pharaonenzeit eingegrabene Schriftzeichen nicht zu vertilgen vermochte, sperren die Fahrstraße und zwingen das Boot zu vielfachen Windungen, bis es endlich in einer stillen Bucht, zu welcher aber doch das Tosen der Stromschnelle klangvoll herniederhallt, einen gesicherten Landungsplatz findet.

Es ist altehrwürdiger Boden, auf welchem wir stehen. Durch die erwähnten Zeichen der heiligen Schrift des altägyptischen Volkes reden vergangene Jahrtausende mit uns in verständlicher Sprache. „Ab“ oder Elfenbeinstätte, Elephantine, hieß die Stadt auf der gleichnamigen Insel, welche geblieben ist, während selbst die Trümmer jener fast vollständig verschwanden, „Sun“, Syene die Ortschaft am rechten Stromufer, an deren Stelle das heutige Assuan liegt. Elephantine, der südlichste Hafen des alten Aegyptens, in welchem die aus dem Innern Afrikas kommenden Waaren, insbesondere das schon damals hochgeschätzte Elfenbein, aufgestapelt wurden, war die Hauptstadt des südlichsten Nilkreises, Sun, wohl nur ein Arbeiterdorf, als solches jedoch keineswegs von geringerer Bedeutung als Elephantine. Denn hier wurde von den ältesten Zeiten des ägyptischen Reiches aus der „Mat“ oder „äthiopische Stein“ des Herodot, welchen man in der Nähe brach, an das Nilufer gebracht und auf die Schiffe verladen, welche ihn seinem Bestimmungsorte zuführten; nach diesem Orte erhielt der kostbare Stein den Namen „Syenit“, welchen er heutigen Tages führt. Inschriften, welche sich auf Denkmälern aus der Zeit der ältesten Königsgeschlechter Aegyptenlands finden, auf solchen, welche bis in das zweite und dritte Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung hinüber reichen, thun des Ortes Sun bereits mehrfach Erwähnung, und zahllose andere

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1887, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_730.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)