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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887)

Erbleichend schnellte Karli in die Höhe und taumelte der Thür zu. Götz aber hielt ihn am Arme zurück. „Was is? Wo willst denn hin?“

„Fort will ich – fort! Und Du – Du wirst es auch net wollen, daß ich da herin in der Stuben stehen muß, wann der Vater sein’ liebe Braut zur Thür ’reinführt!“

„Da sorg’ Dich net, sie kommen jetzt net heim! Der Zug muß halt am Hof vorbei, wann er von der Kirch’ zum Wirthshaus will. Da, schau zum Fenster ’naus, da sind ja d’ Musikanten schon!“

Mit beiden Armen zog Götz den Burschen in die Mitte der Stube, und da standen sie nun und sahen es mit an, wie draußen auf der Straße die Geiger und Bläser vorüberzogen, Paar um Paar, die hohen Spitzhüte mit dicken Blumensträußen geschmückt. Ihnen folgte der Hochzeitslader, und in tanzendem Gange schwenkte er seinen hohen Stab, dessen bunte Bänder lustig im Winde flatterten. Dann kam der Pfarrer, inmitten des Paares, das er verbunden „für Leben und Sterben, für Erde und Himmel“. Kuni, in reichem bäuerlichen Gewande, trug den Kopf mit der blitzenden Brautkrone stolz erhoben; eine leichte Blässe lag auf ihrem hübschen Gesichte; sie schaute gerade vor sich hin, mit einem leisen, fast verächtlichen Lächeln, das auf ihren Lippen wie versteinert schien. Mit dem energischen Gange dieser Beiden vermochte der Pointner nicht Schritt zu.halten. Er ging gebückter als sonst und verwandte keinen Blick von der Erde.

„Da – da, Götz – da schau ihn an – mein’ Vater!“ fuhr Karli, die Hand nach dem Fenster streckend, mit bebenden Worten auf. „Schaut er net aus, wie wann er die schwere Sünd’ am Buckel spüret, die er an mir verübt – an mir und mehr noch an ihm selber?“ Schluchzend kehrte er sich vom Fenster ab, schlug den Arm vor die Augen und wankte aus der Stube.

Mitleidigen Blickes schaute Götz ihm nach. Dann wandte er mit nickendem Kopfe die Augen gegen die Kammerthür und raunte mit herbem Lächeln vor sich hin: „Ja, Bauer, jetzt erbarmst mich selber! Das Räuscherl, wo Dir an’zecht hast zum Abschied von Dei’m Buben, das kommt Dir theuer z’stehen.“

Langsamen Ganges folgte er dem Burschen in den Flur hinaus und sah ihn mit schwankenden Schritten über die Treppe steigen. Als Karli die oberste Stufe erreichte, mußte er sich an die Mauer stützen, so zitterten ihm die Kniee. Stöhnend raffte er sich wieder zusammen und suchte seine Kammer. Er stieß die Thür vor sich auf, und da traf sein erster Blick das verblaßte Bild seiner Mutter, das zu Häupten des Bettes an der Wand hing.

„Mutterl – Mutterl, gelt ja – wir zwei – wir g’hören jetzt zu anander!“ weinte er, warf sich über das Bett und vergrub das Gesicht tief in die Kissen. So lag er und rührte sich nicht; nur die Schultern zuckten ihm unter heftigem Schluchzen.

Eine Stunde mochte vergangen sein, als sich wechselnde Stimmen im Flur und Schritte auf der Treppe vernehmen ließen. Erschrocken fuhr Karli in die Höhe. Da öffnete sich schon die Thür, und Götz erschien. Mit einem eigenen Lächeln sprach er den Burschen an: „Karli, Dein Vater is da, und ich, meint er, soll Dir’s sagen – er hätt’s halt gern, wann mit ihm ’nübergingst ins Wirthshaus!“

„Ich? Und ’nübergehn? Na – nie net!“ schrillte es mit zornigen Lauten von Karli’s Lippen. „Ehnder fall’ ich um am Platz!“

„Karli – Bua!“ tönte von draußen eine schüchterne Stimme, und über der Schwelle tauchte der Pointner auf.

„Vater!“ schrie der Bursche, während ihm das Blut mit dunkler Röthe in die Stirne schoß und seine Hände sich zu zuckenden Fäusten ballten.

Dem Pointner zitterten die Backen; er flocht die Hände ineinander, Thränen füllten seine Augen, und mit angstvollen, flehenden Blicken schaute er zu Karli auf. Es war ein Etwas in diesen Blicken, das dem Burschen unwillkürlich die Fäuste öffnete.

„Laß gut sein, Vater,“ stieß er mit versagender Stimme vor sich hin, „laß gut sein – rechten därf ich net mit Dir – und daß wir zwei in der Güt’ miteinander reden, dazu is lang schon z’spat!“

„Na, Karli – na – schau, laß Dir sagen – schau g’rad erst hab’ ich’s g’hört, daß da bist, und da hat’s mir kein’ Ruh nimmer g’lassen, und vom Mahl bin ich weg – und schau, für Dich und mich wär’s besser g’wesen, wenn Alles vorbei g’wesen wär’, bis heim wärst ’kommen – aber jetzt – schau – jetzt – weil jetzt schon da bist, jetzt wirst mir doch so ’was net anthun können, daß net amal zu meiner“ – – der Pointner würgte das Wort hinunter, das ihm auf der Zunge gelegen, „daß Du daheim bleibst, wo ’s halbete Dorf Dei’m Vater z’ Ehren geht! Schau, Karli – g’rad das Einzige thu’ mir net an!“

„Ich kann net, Vater – na – na – ich kann net!“

„Karli, laß Dich erbitten – thu mir so ’was net an!“

Bei dem rührend flehenden Ton dieser Stimme versagten dem Burschen die Worte; er schüttelte nur heftig den Kopf und wandte sich zur Seite.

Da schien der Pointner am Erfolge seiner Bitte zu verzweifeln. Er ließ die Hände auseinanderfallen, seufzte tief auf und neigte mit traurigem Gesichte das Kinn auf die Brust. „No also – wann halt gar net kannst – nachher kannst halt net! Und schau, Karli – ich bin Dir net harb drum, na, g’wiß net – aber – aber was mir da jetzt anthust, das kann Dir schon gar net sagen!“

Langsam kehrte sich der Pointner gegen die Thür, und tiefer und tiefer sanken ihm die Schultern, während er mit zitternd tastenden Füßen über die Schwelle schlich. Es schien, als wäre in diesem Augenblick richtig das Alter über ihn gekommen.

Karli aber fuhr auf, in zitternder Unruh, und als hätte er sich von Götz einen Rath erholen wollen, so flogen seine Augen nach der Stelle, an welcher der Knecht gestanden. Doch Götz war lange schon verschwunden. Eine Weile noch stand der Bursche – in seinen Zügen spiegelte sich der heftige Kampf, den er im Innern stritt. Dann stürzte er aus der Stube, und als er auf der untersten Treppenstufe den Vater gewahrte, rief er ihm mit heiser überschlagender Stimme zu: „Vater – a paar Minuten wann warten magst – nachher – nachher komm’ ich halt!“ Und bevor es der Pointner noch zu einer Antwort brachte, stand Karli schon wieder in seiner Stube, schlug hinter sich die Thür zu, riß mit zitternden Händen die beim Sturze zu bösem Schaden gekommene Uniform vom Leibe und warf sich in seinen bäuerlichen Sonntagsstaat.

Als er dann so verwandelt die Treppe niederstieg, streckte ihm der Pointner von unten die beiden Arme entgegen, mit leuchtenden Augen, mit thränenüberströmten Backen und unter den schluchzenden Worten: „Karli – das vergiß ich Dir net – und mag’s jetzt gehen, wie’s will – eh’ laß’ ich mir d’ Haut übern Buckel ziehen, eh’ daß ich zugib, daß Du in Dei’m Recht verkümmert wirst – na, Karli – das vergiß ich Dir net! Und komm jetzt – komm, mein Bua – komm – komm –“

Mit beiden Händen faßte er den Sohn am Arme und zog ihn mit sich fort ins Freie. Auf der Hausbank saß Götz, und Karli athmete erleichtert auf, als er den herzlichen, ermunternden Blick gewahrte, der ihn aus den Augen des Knechtes traf. Zu einem Worte ließ ihn der Pointner nicht mehr kommen. Er riß ihn mit sich fort, durch das offene Zaunthor, auf die Straße hinaus, vorüber an Häusern und Gehöften. Wer auch den Weg der Beiden kreuzen mochte, bekam vom Pointner die Worte zu hören, die er unter Thränen lachend sprach: „Du – da schau – mein Karli is ’kommen – ganz extra auf den heutigen Tag – ganz extra is er ’kommen – gelt, da schaust!“ Ja freilich schauten die Leute – kopfschüttelnd und lächelnd. Und als die Beiden das Wirthshaus erreichten, in dessen ebenerdiger Stube die „halbeten“ Hochzeitsgäste, die nicht zur Tafel geladenen Burschen und Dirnen schon des baldigen Tanzes harrten, füllten sich alle Fenster mit neugierigen Gesichtern. Das Alles sah der Pointner nicht; er sah nur seinen Buben, er zog ihn über die Schwelle, er schleppte ihn hinter sich die Treppe hinauf, zerrte ihn gegen die Thür des leeren Tanzsaales – und da ließ er nun plötzlich die Hände von ihm und stotterte in Schreck und Sorge: „Karli – thu’s mir z’lieb – und nimm Dich z’samm’!“

Aus der Thür des Nebensaales, in welchem an langer Tafel die Mahlgäste saßen, kam ihnen Kuni entgegen. Während hinter ihr die Thür sich mit Leuten füllte, streckte sie dem Burschen lächelnd die beiden Hände hin, unter den lauten, herzlich klingenden Worten: „Ja Karli – grüß’ Dich Gott! Und schau, a größere Freud’ hätt’ ich schon net haben können, als daß Du jetzt dengerst net fehlen thust an mei’m Ehrentag!“ Da kam ein boshaft spöttischer Zug in ihr Lächeln, und während sie Karli’s Hände schüttelte und drückte, dämpfte sie die Stimme: „Ja, jetzt komm nur gleich! G’rad ’nüber von mir mußt sitzen! Von meiner Familli is ja keiner net da – weißt – daß Dich net

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1887). Leipzig: Ernst Keil, 1887, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1887)_700.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)